Veröffentlicht am 30.04.2014TEXT: Joël FreiFOTO: Marga Schuttenhelm

Ein Bauarbeiter packt an. Geht es nach der SVP, arbeiten bald wieder Saisonniers hierzulande.

Wie viel ist ein Ausländer wert?

Joël Frei
Journalist «der arbeitsmarkt»

«Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher als die anderen.» So steht es in George Orwells «Farm der Tiere». Nach diesem Gleichheitsprinzip will die SVP auch die «Farm der Menschen» in der Schweiz bewirtschaften, nachdem ihre Zuwanderungsinitiative angenommen wurde.

Denn wie anders ist es zu erklären, dass Heinz Brand, SVP-Nationalrat und Chef des bündnerischen Migrationsamts vorschlägt: «Ausländer, die für jeweils einen Kurzaufenthalt wie eine Saison in der Schweiz arbeiten, sollen nur noch die Kurzaufenthaltsbewilligung ohne Recht auf Familiennachzug erhalten.» Um die Wirtschaft nicht zu vergraulen, die nach qualifizierten Fachkräften verlangt, möchte der Politiker die Initiative mit einem Zweiklassensystem umsetzen: «Hoch qualifizierte Arbeitnehmer aus der EU und Drittstaaten sollten sich weiterhin mit ihren Familienangehörigen in der Schweiz niederlassen können.» Damit würde die SVP das Saisonnierstatut durch die Hintertür wiedereinführen, das für EU-Bürger galt, bis die bilateralen Verträge 2002 in Kraft traten.

Die Rückkehr der Underdogs

Das Saisonnierstatut schuf eine Unterschicht bestehend aus ausländischen Arbeitskräften. Die Saisonniers waren die austauschbaren Billigarbeiter in einem Kontingentsystem, das nun wiederbelebt werden soll. Saisonniers bauten Häuser und Strassen, servierten in Restaurants oder montierten Teile am Fliessband. Integration war für sie nicht vorgesehen: Sie durften pro Jahr maximal neun Monate im Land bleiben, ihre Familie mussten sie im Herkunftsland zurücklassen.

Für die nächste Saison musste der Saisonnier aufs Neue eine Arbeitsbewilligung beantragen. Erst nach vier Saisons konnte er ein Gesuch stellen, um die Familie in die Schweiz zu holen. Fehlte nur ein einziger Tag, scheiterte er an der Bürokratie. Lief die Wirtschaft schlecht und ein Saisonnier wurde arbeitslos, konnte man ihn einfach zurückschicken. Fremdarbeiter als Ventile des Arbeitsmarkts: Arbeitslosigkeit wurde so ins Ausland exportiert.

Die Kunst, Menschen zu schubladisieren

Billige, ungelernte und damit austauschbare Arbeitskräfte auf der einen, «hoch qualifizierte» Arbeitnehmer auf der anderen Seite. Solche Kategorien reduzieren den Menschen auf seinen «Marktwert» und auf seine Funktion als Rädchen im Getriebe der Wirtschaft.

Auf die Spitze getrieben wurde die Kategorisierung und Einteilung der Menschen in Schubladen unter dem kommunistischen Diktator Ceaușescu in Rumänien. Damals verhandelte die Bundesrepublik Deutschland unter grösster Geheimhaltung mit dem berüchtigten rumänischen Geheimdienst Securitate über den Freikauf von Menschen der deutschen Minderheit in Rumänien, den sogenannten Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. 

Im Buch «Kauf von Freiheit» beschreibt der deutsche Anwalt und Verhandlungsführer Heinz-Günther Hüsch, wie er zwischen 1968 und 1989 die Ausreise von rund 210’000 Rumäniendeutschen erwirken konnte. Für diese Migranten, heute würde man sie wohl als «Wirtschaftsflüchtlinge» bezeichnen, bezahlte Deutschland insgesamt über eine Milliarde Deutsche Mark. Jeder Mensch, welcher der Misere in Rumänien entrinnen wollte, wurde in eine der fünf Kategorien eingeteilt und sein monetärer «Marktwert» bestimmt, welcher die Bundesrepublik an Rumänien entrichten musste:

Quelle: Kauf von Freiheit, Honterus Verlag, 2013

Haben Sie sich dabei ertappt, wie Sie sich selber in eine dieser Kategorien einteilten? Wenn ja, wie viel sind Sie wert? Und: Sind sie zufrieden mit dieser Summe?

Wer hat Anrecht auf ein Familienleben?

Nehmen wir an, dass die SVP mit ihrem Vorschlag durchkommt, das Saisonnierstatut wiedereinzuführen, und dass gleichzeitig eine Kategorie für «hoch qualifizierte» Fachkräfte geschaffen wird, die das Privileg erhalten, ein Familienleben führen zu dürfen. Nehmen wir also an, dass es grundsätzlich zwei Kategorien von ausländischen Arbeitnehmern geben wird. In diesem Fall müsste der Bund dem Parlament ein Gesetz vorlegen, das zweifelsfrei regelt, welche Kriterien anzuwenden sind, um zu bestimmen, ob jemand in den Genuss dieses «Familienprivilegs» kommt oder eben nicht.

Wann wird einem Immigranten ein Familienleben zugestanden? Wie wird festgelegt, was die «austauschbaren» von den «hoch qualifizierten» Arbeitnehmern unterscheidet? Richten sich die Kriterien nach dem Lohn oder nach der Wertschöpfung der Branche, in der die Arbeitskräfte arbeiten wollen? Erhöhen sich ihre Chancen auf Familienzusammenführung, falls sie einen Beruf ausüben, der von der Wirtschaft besonders gesucht wird? Werden zur Beurteilung eines Arbeitsgesuchs Statistiken herangezogen, um die Anzahl nicht besetzter Stellen in der IT-Branche oder im Gesundheitssektor zu ermitteln? Oder werden die Kriterien gar daran festgemacht, ob jemand Vorgesetzter ist, mittleres Kader oder nur einfacher Angestellter?

Wie dem auch sei: Wird das Saisonnierstatut wiederbelebt und mit einem Zweiklassensystem erweitert, werden wir die Rückkehr des Systems erleben, das Max Frisch mit den Worten kritisierte: «Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.»

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