Veröffentlicht am 14.11.2012TEXT: Regula PfeiferFOTO: Marga Schuttenhelm

Der miterziehende Vater ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit.

Wie viel arbeiten, damit es auch für Mütter stimmt?

rp. Wie müsste eine Zweiverdiener-Familie aussehen, damit die Kinder nicht auf Kosten der Karriere der Frau gehen? Darüber sprach die deutsche Ökonomin und Frauen- und Geschlechterforscherin Christina Klenner an einer Tagung der Gewerkschaft Syndicom.

Der Mann ist Vollzeit erwerbstätig, die Frau erledigt den Haushalt und erzieht die Kinder: Dieses Ideal der 50er-Jahre war 1992 noch in 38 Prozent der Schweizer Haushalte mit Kindern (7- bis 14-Jährige) Tatsache. Bis 2010 schrumpfte der Anteil auf 22 Prozent. Der Trend weg vom männlichen Familienernährer hin zur Zweiverdiener-Familie ist voll im Gang.

Die Frauen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in den Erwerbsmarkt eingestiegen sind, taten dies vorwiegend über Teilzeit. Die Schweiz ist quasi ein Teilzeitparadies. Sie steht mit einer Quote von 58 Prozent europaweit an zweiter Stelle, hinter den Niederlanden und vor Deutschland. Doch Teilzeit hat Haken: Der Lohn ist vergleichsweise niedrig und der berufliche Aufstieg behindert. Oft sind die Frauen schlecht sozialversichert und die Familienarbeit bleibt an ihnen hängen.

So, wie sie heute aussieht, ist Teilzeitarbeit also keineswegs eine geschlechtergerechte Familienlösung, wie Christina Klenner aufzeigte. Deren Bedingungen müssten stark verbessert werden, forderte sie. Teilzeitarbeit müsste diskriminierungsfrei, an jedem noch so qualifizierten Arbeitsplatz möglich und für Männer enttabuisiert werden.

Vollzeit-Vollzeit belastet zu stark

Wäre es besser, wenn die Eltern beide Vollzeit arbeiteten?, fragte die Referentin rhetorisch. Doch sieht sie das ebenso wenig als Lösung des Problems, wie die meisten Schweizer Familien. Denn der Anteil Familien mit zwei Vollzeiterwerbstätigen stagniert hierzulande bei rund 11 Prozent.

Die ehemalige Ostdeutsche Klenner hat Paare in den neuen Bundesländern zum Thema befragt. In Vollzeit-Vollzeit-Familien sei der Druck aller Beteiligten enorm und jede kleine Veränderung im Alltag bedürfe eines riesigen Zeitmanagements, stellte sie fest. Unter solchen Bedingungen sei es für eine Frau schwierig, beruflich weiterzukommen – und überhaupt gesund zu bleiben.

Auch für die USA – in der Vollzeitpaare verbreitet sind – haben Forschende erhärtet, dass der Stress sich in solchen Familien psychisch niederschlägt. Und in Tschechien, wo es heute noch kaum Teilzeitmöglichkeiten gibt, stehen die Frauen vor der Wahl: ganz oder gar nicht arbeiten. Dies führt laut Klenner zu starken Ausgrenzungen.

Dass Mann und Frau Teilzeit arbeiten und so beide auch genug Zeit für Arbeit und Kinder haben, ist keine breitenwirksame Lösung. Denn in Europa wie in der Schweiz spielt das egalitäre Teilzeitmodell nur eine marginale Rolle. In der Schweiz leben dies erst vier Prozent der Familien.

Optimal: allgemeine Arbeitszeitverkürzung

Die optimale Lösung einer geschlechtergerechten Zweiverdiener-Familie sieht Klenner in einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung. Doch das ist ebensowenig mehrheitsfähig, wie die über 25-jährige Debatte in Deutschland zeigt. Vielleicht liegt es daran, dass 35 Wochenstunden für Eltern noch zu viel sind, mutmasste Klenner. Oder dass schlecht Verdienende lieber mehr Geld als mehr Zeit haben.

Solange eine solche Arbeitszeitkürzung auf sich warten lässt, sollte laut der Referentin zumindest ein Arbeitszeitstandard von 30 bis 32 Wochenstunden für Arbeitnehmende mit Familienpflichten eingeführt werden. Gut Verdienende könnten den damit verbundenen Einkommensverlust selbst übernehmen, gering Verdienende müssten einen Einkommensausgleich erhalten.

Wichtig fand die Referentin auch den Wechsel von der Wochenarbeitszeit zur Jahresarbeitszeit. So könnten die Ehepaare ihre Einsätze flexibel gestalten – mal der Mann ein paar Wochen Vollzeit arbeiten, mal die Frau, und für die Kinder würde der jeweils andere Elternteil sorgen. Sogar über das Jahr hinaus, auf Lebensphasen bezogene Arbeitszeiten wünscht sich die Ökonomin. Diese sollten sozialrechtlich abgesichert sein.

Viele Interessen, unterschiedliche Lösungen

Es war also nicht eine einzige Lösung, welche die Spezialistin für Frauen- und Genderforschung an der Tagung der Syndicom-Frauen in Zürich präsentierte. Und das gibt es auch nicht, liess Klenner durchblicken. Denn die Interessen der Eltern seien sehr unterschiedlich. Es brauche verschiedene Modelle, um diesen gerecht zu werden.

Diese Vielfältigkeit macht die Sache nicht einfach – jedenfalls nicht für Gewerkschaften. Was ist also der Tipp der Expertin an die Vertreter der Arbeitnehmenden? Arbeitszeitfragen, empfahl Christine Klenner den anwesenden Gewerkschafterinnen, sollten immer in den Kontext von Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Geschlechtergerechtigkeit gestellt werden. Zudem müsse ihre eigene Organisation mit frauenfreundlichem Beispiel vorangehen.