18.04.2016
FOTO UND TEXT: Julia Antoniou

Gastro-Unternehmer Markus Lichtenstein setzt weiterhin auf die «Rübis&Stübis»-Karte.

Das Beste aus Resten

«Mein Koch will wieder eine ganze Kuh kaufen»

Einen Monat lang hat das Zürcher In-Lokal Frau Gerolds Garten fantasievoll mit Resten gekocht – und seine Gäste und sich selber überzeugt. Nun will Gastro-Unternehmer Markus Lichtenstein das Konzept weiterziehen.

Unter dem Motto «Rübis&Stübis» hat Frau Gerolds Garten während eines Monats die Restenküche zelebriert. Waren Sie und Ihre Crew die Ersten? 
Das nicht, aber wir waren der erste Grossbetrieb im Raum Zürich, der das Thema Foodwaste aufgegriffen hat. 

Stresst Sie die Lebensmittelverschwendung persönlich?
Nein, in der Gastronomie ist sie nicht dramatisch. Die Schlimmen sind die Haushalte. Wir müssen auf die Warenkosten achten und können uns Verschwendung gar nicht leisten. Trotzdem. Das Ganze hat ethische Aspekte. Darum haben wir gefunden: Wir wollen etwas tun, um die Leute zu sensibilisieren und ein Bewusstsein für Foodwaste zu schaffen. Es darf nicht sein, dass alte Tiere – Kühe oder Legehennen – in die Verbrennung gehen, wie dies heute oft der Fall ist. 

Essen Sie selber lieber Hackbraten oder Entrecôte? 
Fein ist beides. Weil ein Tier nicht nur aus Entrecôte besteht, sollten wir auch den Rest essen. Essen darf aber nicht mit einem schlechten Gewissen zu tun haben, sondern muss genussvoll sein. Das Problem ist, dass heute niemand mehr Zeit zum Kochen hat. Gerade für die minderwertigen Stücke braucht es längere Vorbereitungs- und Kochzeiten. Etwa für den beliebten Hackbraten oder für Schmorgerichte. 

«Eigentlich ist Restenverwertung eine dankbare Sache: Jeder, der davon hört, findet’s gut.»

Was machen Sie mit den Resten, die von den Tellern zurückkommen? 
Ausser Brot, das wir wiederverwerten, kommen die Speiseresten im Winter in den Abfall. Im Sommer stellen wir Bioabfall-Container auf, in die unsere Gäste die Speiseresten zusammen mit dem kompostierbaren Geschirr entsorgen können. Die Verantwortung liegt bei unseren Gästen, da sie selber abräumen. Die Container werden abgeholt, der Bioabfall meines Wissens vergärt. 

Bei den Haushalten machen sogenannte biogene Abfälle immer noch mindestens einen Viertel des Abfalls aus. Wie viel Küchenabfall fällt in Frau Gerolds Garten pro Monat an? 

Darüber haben wir keine Zahlen. Je nach Wetter geben wir im Sommer zwischen 150 und 2000 Essen pro Tag aus. Unsere Herausforderung sehe ich vor allem darin, Resten zu verhindern. Dies tun wir, indem wir unser Pasta-Angebot von sagen wir 500 Mal Pesto, 300 Mal Arrabbiata, 400 Mal Bolognese und so weiter nach dem Prinzip «Es hätt, solangs hätt» aufbrauchen. Wir produzieren möglichst wenig voraus. Dank leistungsfähiger Geräte kocht das Wasser ja heute innerhalb einer Minute. 

Könnte die Gastronomie mehr tun, um biogene Abfälle zu rezyklieren?
In der Gastronomie hat man mehr Möglichkeiten, Resten zu verwerten, als im Privathaushalt: mit Personalessen oder Mittagssuppen. Es gibt zwei Sündenfälle: grosse Portionen und Buffets. Jeder Betrieb sollte eigene Lösungen erarbeiten, um Resten zu vermeiden. Beispielsweise Supplements anbieten. Ich kenne einen Zürcher Betrieb, da müssen Kunden, die nachschöpfen, aber nicht ausessen, 20 Franken Busse bezahlen. Sinnvolle Massnahmen sind auch eine kleine Karte oder Tagesangebote.

Mit Infoplakaten an den Wänden lud «Rübis&Stübis» die Gäste ein, sich vertieft mit dem verschwenderischen Umgang mit Lebensmitteln zu beschäftigen ...  
Ja, die Illustrationen haben wir selber anhand von Informationen des Vereins Foodwaste.ch erarbeitet. Unsere Grafikerin hat sie sehr anschaulich umgesetzt. Sie haben übrigens auch intern beim Personal viel bewirkt. 

Wie ist es zur Zusammenarbeit mit Foodwaste.ch gekommen? 
Foodwaste.ch ist ein Projekt der Organisation Foodways. Ich habe mit Markus Hurschler von Foodways schon 2014 im Zusammenhang mit der Lancierung des Street-Food-Festivals ein Projekt gemacht. Da ging’s aber um das Recycling von Abfall. Bei «Rübis&Stübis» wollten wir ein Menü aufbauen, das auf wenig oder gar nicht verwendeten Lebensmitteln basiert. Hurschler hat uns unterstützt, unsere Lieferantenbeziehungen in diesem Sinne zu nutzen. 

Gibt es Verordnungen, die den Umgang mit Resten betreffen?
Generell gelten im Umgang mit Lebensmitteln die Ablaufdaten. Die meisten Lebensmittel wären lange über das Ablaufdatum haltbar. Aber die Bauernlobby versucht, sie möglichst kurz zu halten. Eine Diskussion über dieses Thema zu führen, wäre längst überfällig. 

Wer am meisten Essen vergeudet

Gemäss Zahlen von Foodwaste.ch aus dem Jahr 2014 fallen in der Schweiz insgesamt 2 300 000 Tonnen Speiseabfälle pro Jahr an, davon 1 035 000 Tonnen (45 Prozent) in den privaten Haushalten und 115 000 Tonnen (5 Prozent) in der Gastronomie. Die restlichen 50 Prozent der Speiseabfälle stammen aus der verarbeitenden Lebensmittelindustrie und dem Handel (30 Prozent), der Landwirtschaft (13 Prozent), dem Detail- (5 Prozent) und dem Grosshandel (2 Prozent).  Rund ein Drittel der Haushaltabfälle ist Bioabfall, davon wäre etwa die Hälfte noch geniessbar.

War es schwierig, Lieferanten für die ganzen Kühe, alte Legehennen und das «angetütschte» Gemüse ausfindig zu machen? 
Nein, gar nicht. Sobald wir angefangen hatten, mit verschiedenen Leuten über das Thema zu sprechen, kam die Sache ins Laufen. Jeder kennt jemanden, der ... Über unseren Texter stiessen wir beispielswiese auf www.kuhteilen.ch. Schön war, dass wir bei unseren Lieferanten offene Türen einrannten, als wir sie nach verwertbaren Restprodukten nachfragten. Unser Fischhändler bot uns Hummerkarkassen an. Sie fallen an, wenn Hummerfleisch aus den Schalen gelöst wird. Daraus machen wir Suppe. Auch der Früchtehändler fand unser Konzept inspirierend. Ich ging auch auf Globus zu. Die Delikatessenabteilung gibt schon vieles, was sie der anspruchsvollen Kundschaft nicht mehr anbieten will, an Organisationen wie «Tischlein deck dich» weiter. Im Gespräch mit Food-Scout Richard Kägi kamen wir auf die Pata-negra-Knochen. Mit den gratis erhaltenen Schinkenabschnitten und Brot füllten wir unsere Hühner oder würzten unsere Saucen – eine smarte Sache. 

Früher war Restenverwertung Alltag. Mussten Ihre Köche dazulernen oder umdenken, um diese Art von Küche anzubieten?
Vor allem «from nose to tail» braucht ein Umdenken. Was mache ich aus einem ganzen Lachs: marinieren, Tatar, Fish and Chips? Oder aus einer ganzen Kuh: Gulasch, Pulled Cow oder Hacktätschli? Die Köche müssen Erfahrungen sammeln und ausprobieren, wie sich das Fleisch von älteren Tieren verhält. 

Der Kellner, der mich bedient hat, war gut informiert – und spürbar begeistert vom Gastrokonzept. Haben Sie spezielle Schulungen durchgeführt? 
Das freut mich. Wir haben intensiv geschult; das ist sehr wichtig. Man muss den ganzen Betrieb involvieren und inspirieren, damit ein Konzept kommunikativ gut bei den Gästen ankommt. Besonders wenn vieles nicht auf den ersten Blick erkennbar ist – wie bei «Rübis&Stübis».

«Mit den gratis erhaltenen Schinkenabschnitten und Brot füllten wir unsere Hühner oder würzten unsere Saucen – eine smarte Sache.»

Ihr Gastrokonzept steht unter dem Patronat von TV-Koch Erik Hämmerli. Was war seine Rolle?
Erik Hämmerli ist mein allerbester Freund. Wir haben schon oft übers Restenkochen gesprochen und fühlten uns danach jedes Mal toll. (Lacht.) Bei «Rübis&Stübis» ging’s ums Umsetzen. Erik half mit, unsere Ideen in ein Angebotskonzept hinüberzuführen. Was nicht ganz einfach war im März, wo eigentlich nichts Saison hat. 

Wie ist «Rübis&Stübis» bei den Gästen angekommen?
Der Anfang harzte ein wenig. Das Konzept von «Rübis&Stübis» ist schwieriger zu vermitteln als Fondue und Raclette, das wir in der Winterstube anbieten. Die letzten zwei Wochen liefen aber extrem gut. Eigentlich ist Restenverwertung eine dankbare Sache: Jeder, der davon hört, findet’s gut.

Was war Ihr Lieblingsgericht aus der «Rübis&Stübis»-Küche?
Unser Kuhragout. Ich ging mit dem 17-Punkte-Gault-Millau-Koch Sven Wassmer essen. Mmmh, wir waren uns einig: Es war wirklich genau so, wie ein Ragout schmecken muss.

Haben Sie einen ultimativen Restenverwertungstipp?
Wenn ich jetzt Suppe aus Zapfenwein sage, lachen mich meine Köche aus! Darum bringe ich besser das Beispiel mit den dreifarbigen Peperoni. Statt die Resten im Kühlschrank vergammeln zu lassen, schlage ich vor, sie zu einem Confit zu verarbeiten: zerkleinern, im Öl anziehen, mit einem Resten Weisswein ablöschen, in ein Glas abfüllen. Schmeckt wunderbar zu kaltem Fleisch oder Käse.

Wie geht es weiter mit «Rübis&Stübis»? Sind Ihre Erwartungen erfüllt worden? 
Voll. Wir wollen die Marke «Rübis&Stübis» weiterziehen und die Erfahrungen, die wir gemacht haben, in unseren Betrieb integrieren – undogmatisch und unaufgeregt. Das war von Anfang an so angedacht. Schon auf den Sommer hin. Mein Koch will wieder eine ganze Kuh kaufen und sie zu Sauce Bolognese, Ragout und so weiter verarbeiten. Zudem möchten wir weitere Rezeptideen aufarbeiten und sie vielleicht einmal in einen Blog oder ein Buch einfliessen lassen. 

«Rübis&Stübis»

Abgesäbelte Knochen von Pata-negra-Schinken landen normalerweise im Abfall, unproduktive Legehühner in der Verbrennungsanlage, krummes Gemüse verrottet auf dem Feld. Als Gegenprogramm lud das Zürcher In-Restaurant Frau Gerolds Garten im März zum genussvollen Restenessen. Unter dem Motto «Rübis&Stübis» standen Gerichte auf der Karte, die vom kreativen Umgang mit Ausschussware zeugten, die es in der Schweiz normalerweise nicht auf den Teller schafft: Das Fleisch – rund 180 Kilo – lieferte eine ganze gut dreijährige Kuh. Die Suppenhühner stammten von einem Betrieb, der sich einjähriger Legehühner erbarmt. Die Köche verarbeiteten zudem einheimischen Beifisch sowie Gemüse und Früchte zweiter Wahl. Das Konzept erarbeitete Gastronom und Weinhändler Markus Lichtenstein zusammen mit dem TV-Koch Erik Hämmerli. Inhaltliche Unterstützung bot Foodways.ch. Originell aufbereitete Informationsplakate an den Wänden ermöglichten Interessierten, ihren Horizont zu Lebensmittelverschwendung zu erweitern. 

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