18.04.2016
TEXT: Julia AntoniouFOTO: zVg.

Frau Gerolds Kuh – durch den Fleischwolf gelassen – hinterliess einen bleibenden Eindruck.

Über den eigenen Tellerrand hinausgegessen

Vier Testesser haben sich in «Frau Gerolds Garten» in Zürich zum genüsslichen Restenessen getroffen. «Rübis&Stübis» lautete das Gastrokonzept, das zum Leerputzen der Teller aufforderte. Der Hackbraten mit der kräftigen Pata-negra-Sauce hat sich tief und nachhaltig in den Synapsen eingenistet.

Der Kellner bemerkt mich unverzüglich und führt mich zum reservierten Tisch. Ich nehme auf der Bank mit der gestrickten Restendecke Platz und fühle mich in Frau Gerolds Winterstube gleich «angeheimelt». Das Strickpuzzle unter meinem Allerwertesten passt bestens zum retromässig angehauchten Foodkonzept. «Rübis&Stübis» ist angesagt: eine Küche, die das restlose Verwerten und Veredeln von Resten zelebriert. Wie anno dazumal, als Foodwaste noch ein Fremdwort war und die restlose Verwertung «from nose to tail» das Selbstverständlichste der Welt.

Räuschling versus Riesling

Wir sind zu viert und komplett. Der Plan für das anonyme Testessen wird basisdemokratisch gefällt: keine Vorspeisen, obwohl das Tatar von der Huft des Evolènerinds (16 Franken) oder der Blattsalat mit gehobeltem Gemüse (9.50 Franken) das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Dafür viermal verschiedene Hauptgänge, jeder ein anderer: den Gemüseteller (27 Franken), das gelbe Suppenhuhn-Curry (27 Franken), den Rindshackbraten im Schweinenetz (32 Franken) und die Egliknusperli vom Zürisee (32.50 Franken). 

«Edelfisch – du hast Glück gehabt», sagt Allen, unser Kellner, «meistens steht Schwale auf der Karte.» Oder Pech? Ich hätte gern sogenannt minderwertigen Beifang aus dem Zürisee gekostet. Wenig Glück habe ich vorerst auch mit dem heimischen Räuschling, den ich zum beschwingten Auftakt bestelle. Ich merke gleich, dass er mir zu viel Säure hat. Ich klaube nach diplomatischen Worten auf die Frage, ob er mir munde. Ich dürfe problemlos umbestellen, überbrückt Allen den schwierigen Moment. Das nenne ich Service! Ich entscheide mich für eine Flasche deutschen Riesling Blauschiefer (49 Franken) von Bastgen. Dieser schmeckt mir ausgezeichnet und ist erst noch günstiger. 

Grüner Hipsterbart, kuhige Geschmackstiefe

Service nenne ich auch, dass Allen uns Hintergrundinformationen zum Essen liefert, das wir alsbald degustieren werden (siehe Kasten). Die Gerichte präsentieren sich gut – abgesehen vom Suppenhuhn-Curry, das etwas matschig aussieht und als einziger Teller ohne das Trendgemüse Federkohl daherkommt. Auf den grünen Hipsterbart will heuer wohl kein Restaurant verzichten! Wir kosten übers Kreuz und loben die Leckerheiten. Das Curry: zart das «Huhn» und rund im Geschmack. Das Egli: knusprig die Panade und doch nicht trocken. Der Hackbraten: aromatisch und vollgaumig – ein Genusserlebnis «durch die Pata-negra-Sauce in Nachreiche um ein Vielfaches potenziert», fügt der eloquente Kollege an. Einzig den Vegiteller – verschiedene Gemüse in Butter geschwenkt und mit etwas Peterli darüber – findet das vierköpfige Gastrokritikergremium etwas uninspiriert. Meine Freundin tröstet sich mit meinen breit geschnittenen Pommes mitsamt Tatar-Sösseli. Alles schmeckt tipptopp. Wir essen «rübis und stübis» auf und bestellen gleich noch ein feines Waldbeer-Crumble (7.50 Franken) mit vier Löffeln «für den Gluscht». 

Ob der gastrokritischen Auseinandersetzung finden die hübschen Plakate zu Foodwaste an den Wänden wenig Beachtung. Doch das gesellige Über-den eigenen-Tellerrand-Hinausessen hat kulinarische Freude bereitet. Zudem hat es mit etwas über 50 Franken pro Person kein grosses Loch ins Portemonnaie gerissen. Nachhaltig beeindruckt haben mich die kuhige Geschmackstiefe des Hackbratens und die zuvorkommende Gästebetreuung.  

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