Veröffentlicht am 27.05.2014TEXT: Mario WittenwilerFOTO: Simone Gloor

Sand im Getriebe

In der Medienbranche ebnen Einsätze als Freelancer oft den Weg für eine Festanstellung. Beim RAV gemeldete Journalisten gehen dieser Möglichkeit aus Angst vor einem Papierkrieg und finanziellen Nachteilen aus dem Weg.

Der Journalist Manfred Stahl (Name geändert) sucht seit sechs Monaten einen Job. Als Finanzexperte schrieb er in der Vergangenheit neben seiner Festanstellung bei einer mittelgrossen Tageszeitung regelmässig als Freelancer für Fachmagazine der Finanzbranche. Als sich vor einem Dreivierteljahr wegen Sparmassnahmen bei seiner Zeitung die Kündigung abzeichnete, meldete er sich rechtzeitig beim RAV an, um eine Lohnlücke zu vermeiden. Nach einem Monat auf Arbeitssuche bittet ihn ein früherer Arbeitgeber – eine kleine Innerschweizer Handelszeitung –, einen Artikel zur Lage der Pensionskassen im Tessin zu verfassen.

«Sammelzahlung nicht möglich»

Manfred Stahl fragt bei seiner RAV-Beraterin nach, ob es eine Möglichkeit gäbe, bei weiteren regelmässigen, aber terminlich nicht vereinbarten Aufträgen für die Innerschweizer Zeitung den gesamtem Verdienst des Jahres einmalig zu deklarieren. Von den Innerschweizern hatte er für diese Lösung grünes Licht erhalten. Zudem stellte der Chefredaktor ihm bei guter Zusammenarbeit eine feste Zusammenarbeit in Aussicht. Seine RAV-Beraterin verwies ihn mit seinem Anliegen an die Arbeitslosenkasse. Diese stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass eine Arbeit in dem Monat als Zwischenverdienst zu melden sei, in dem sie geleistet worden sei. Eine «Sammelzahlung» sei nicht möglich. Das ist auch der offizielle Standpunkt des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), der Dienstherrin der Arbeitslosenkassen. Die Möglichkeit einer «Sammelzahlung» sei nicht nur gesetzeswidrig, sondern «würde zu Ungleichbehandlungen, unhaltbaren Ergebnissen oder gar Missbräuchen führen».

Manfred Stahl wies seinen Artikel über die Tessiner Pensionskassen in seinem ersten Monat als RAV-Versicherter als Zwischenverdienst aus. Mehrmals hakte er bei der Buchhaltung der kleinen Handelszeitung nach, dass sie ihm für den Artikel einen Lohnausweis zukommen lasse.

Festanstellung zerschlägt sich

Ein paar Wochen später beim Abendessen mit seiner Frau in einem italienischen Restaurant: Der Kellner teilt Manfred Stahl mit, dass seine Kreditkarte gesperrt sei. Dieser ruft bei seiner Bank an, wo man ihn aufklärt, dass seit zwei Monaten keine Zahlungen auf dem Konto eingegangen seien. Erschrocken fragt er telefonisch bei seiner Arbeitslosenkasse nach. «Wir warten immer noch auf den Lohnausweis von der Innerschweizer Handelszeitung für ihren Zwischenverdienst. Solange wir das Dokument nicht haben, können wir ihnen auch für die Folgemonate kein Geld überweisen.»

Aufgebracht ruft Manfred Stahl den Buchhaltungsverantwortlichen der kleinen Handelszeitung auf dessen privaten Handy an. Dieser weilt beruflich im Ausland und wird vom Anruf geweckt. Er reagiert entnervt. Die unangenehme Situation belastet das Arbeitsverhältnis derart, dass Manfred Stahl keine Freelance-Aufträge mehr von der Zeitung erhält. Die Hoffnung auf eine Festanstellung zerschlägt sich.

Lösung Schwarzarbeit?

Hat Manfred Stahl nun richtig gehandelt, weil er die Anweisungen seiner Arbeitslosenkasse befolgte? Oder falsch, weil er sich damit möglicherweise um eine feste Anstellung brachte? In einem persönlichen Gespräch mit einem Freund, der in einer anderen Stadt als RAV-Berater tätig ist, rät dieser ihm informell dazu, Einkünfte als Freelancer in Zukunft nicht mehr bei der Arbeitslosenkasse zu deklarieren. Finanziell wäre diese «Schwarzarbeit» für ihn lukrativer: Von den vereinbarten 500 Franken Honorar für den Artikel über die Pensionskassen gehen 90 Prozent direkt an die Arbeitslosenkasse. Manfred Stahl möchte aber nicht gegen das Recht verstossen und Einstelltage riskieren.

Der Fehler im System ist für Arbeitssuchende in der Medienbranche aber nicht nur finanzieller Natur: Aufträge als Freelancer sind für Journalisten unabdingbar, um sich im Gespräch zu halten und im Markt zu bleiben.

Neutrales Formular Zwischenverdienst

Norbert Schweizer (Name geändert) ist seit einem Jahr arbeitssuchender Journalist. «Ich nehme seither keine Freelance-Aufträge an, weil es sich finanziell nicht lohnt. Zudem will ich keinen Papierkrieg mit meiner Arbeitslosenkasse.» Er sei sich bewusst, dass ihm dadurch die Chance auf eine Festanstellung entgehen könnte.

«Sollte nun doch im einen oder anderen begründeten Fall die Zwischenverdienstbescheinigung einer Festanstellung im Wege stehen, dann dürfen die Arbeitslosenkassen ausnahmsweise auf die Zwischenverdienstbescheinigung verzichten, sofern die Arbeitslosenentschädigung aufgrund von anderen Dokumenten, insbesondere mit Hilfe von Lohnabrechnungen/Arbeitsverträgen zuverlässig berechnet werden kann», schreibt Marie Avet, die stellvertretende Leiterin Kommunikation und Mediensprecherin des SECO auf Anfrage. Dabei ist der Journalist aber vom Goodwill seiner Kasse abhängig. Ein Lösungsansatz könnte in einem neutral gehaltenen Zwischenverdienstformular liegen, das nicht mit der für Freelance-Journalisten als demütigend zu empfindenden Aufschrift der Arbeitslosenversicherung beschrieben ist.

Gebeutelte Branche
Im Kanton Zürich waren im April dieses Jahres 70 Journalisten als arbeitslos gemeldet. In den beiden Vorjahren waren es zum gleichen Zeitpunkt 85 (2013), 69 (2012), 90 (2011) und 130 Personen (2010). Die Zahlen zeigen einen relativen Rückgang der Arbeitslosigkeit in der Branche im Kanton mit der höchsten Mediendichte. Gesamtschweizerisch waren im April dieses Jahres 1132 «Medienschaffende und verwandte Berufe» arbeitslos gemeldet. Diese Zahl zeigt in Bezug auf die Vorjahre eine relative Stabilität.
Quellen: Amt für Wirtschaft und Arbeit Zürich und Bundesamt für Statistik