Veröffentlicht am 06.06.2013TEXT: Stefan WichmannFOTO: Ruedi Lehner

Preisaufschlag für die Schweiz

Einkaufen ist in der Schweiz viel teurer als anderswo. Die «Geiz-ist-geil»-Mentalität hat hierzulande kaum Erfolg, da Schweizer Produkte einen guten Ruf haben und für Qualität und Nachhaltigkeit stehen. Über die Vor- und Nachteile dieses Umstands diskutierten im Zürcher Kaufleuten namhafte Experten.

Die Preispolitik der Schweiz hat den Vorteil, dass der Niedriglohnsektor einen sehr geringen Anteil am Arbeitsmarkt hat. Nach dem Bankrott der Schlecker Drogeriekette in Deutschland, waren beispielsweise 25 000 Menschen auf einen Schlag arbeitslos. Hauptgrund war ein massloses Lohndumping, um die niedrigsten Preise anbieten zu können, sowie Missmanagement im stark umkämpften Drogeriemarkt. Solche Szenarien sind in der Schweiz rar. Reformbedarf besteht aber trotzdem, denn starre Strukturen in der Politik behindern den freien Wettbewerb und damit die Preise. Der Staat muss zudem Subventionen wiederkehrend prüfen und anpassen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und keine unnötigen Steuergelder auszugeben. Durch eine verstärkte Preissensibilisierung der Bevölkerung, zum Beispiel im Bereich der Mobilfunkkosten und Versicherungen, sowie beim vernetzten Einkaufen – also der Kombination aus Online-Shopping und des Einkaufens vor Ort – könnten aber auch Konsumenten eine Menge Geld sparen.

Reformbedarf in der Landwirtschaft

An dem von Handel Schweiz, dem Dachverband des Schweizerischen Handels, organisierten Symposium «Hochpreisinsel Schweiz – Auswege aus dem Dilemma» referierten Urs Klemm, Wirtschaftsingenieur und Experte in Lebensmittelsicherheit, und Martin Schläpfer, Leiter der Direktion Wirtschaftspolitik beim Migros-Genossenschaftsbund. Urs Klemm war unter anderem Leiter der Facheinheit Lebensmittelsicherheit und Europakoordinator des Codex Alimentarius, der sich weltweit für Lebensmittelstandards einsetzt. Martin Schläpfer war wiederum jahrelang Bundeshausredaktor und kennt die politische Bühne genau. Die beiden Experten analysierten Probleme im Zusammenhang mit der Schweizer Preispolitik und versuchten, Lösungsansätze aufzuzeigen.

So begründete Urs Klemm das Phänomen «Hochpreisinsel Schweiz» mit dem mangelnden Preisbewusstsein: «Schweizer Konsumenten akzeptieren schon seit langer Zeit höhere Preise.» Ein Beispiel dafür sei das öffentliche Rundfunk- und Fernsehprogramm, mit seinen 18 Sendern, das die Schweizerinnen und Schweizer  rund 1,6 Milliarden Franken im Jahr koste. Urs Klemm befürwortet eine Reformierung von Radio- und Fernsehgebühren. Die Bürger selbst könnten aber auch andernorts viel sparen, ist Klemm überzeugt, zum Beispiel in dem sie ihre Mobilfunktarife anpassten. Fast zwei Milliarden Franken liessen sich so einsparen.

Aufgrund der grossen Lobby im Bundesparlament bestehe ausserdem in der Landwirtschaft erheblicher Reformbedarf: «Wir subventionieren unsere Landwirtschaft mit 5,7 Milliarden Franken im Jahr, bei einer Wertschöpfung von 3,9 Milliarden Franken entsteht somit jedes Jahr ein Fehlbetrag von 1,8 Milliarden.» Dieses Vorgehen sei in der freien Marktwirtschaft unmöglich. Eine geringere Spendierfreudigkeit des Staates und ein stärkeres Preisbewusstsein im Volk ist nach Meinung von Urs Klemm unerlässlich, um den steigenden Preisen entgegenzuwirken.

Arbeit als Kostenfaktor

Martin Schläpfer, Leiter der Direktion Wirtschaftspolitik bei der Migros, beklagte insbesondere die aus seiner Sicht «sehr konservative Politik des Bundes». Im Gegensatz zu uns betreibe Deutschland eine sehr liberale Preispolitik, die in der Bevölkerung zu einem gesteigerten Preisbewusstsein geführt habe. «Discounter haben dort einen Marktanteil von 40 Prozent. Das ist in der Schweiz undenkbar», sagte Martin Schläpfer. Ein weiterer Grund für die hohen Preise in der Schweiz sei auch der Kostenfaktor Arbeit. Ungelernte Kräfte profitierten in der Schweiz vom gesetzlichen Mindestlohn von 3600 Franken, während derjenige in Deutschland bei 1500 Franken liege.

Ein grosses Problem ist laut Martin Schläpfer die sogenannte Kaufkraftabschöpfungskette: «Die Hersteller internationaler Markenprodukte verlangen in der Schweiz wesentlich höhere Preise.» So ist beispielsweise der Einkaufspreis von Milupa Babymilch mit durchschnittlich 4,54 Franken fast dreimal so teuer wie der Endverbraucherpreis in Deutschland mit 1,67 Franken. Laut Martin Schläpfer verlangen aber die Kunden solche «Must-in-Stock»-Produkte, wie etwa auch Nivea Creme oder Coca Cola. Solche Markenprodukte gehörten zum Selbstverständnis der Kunden, auch oder gerade wegen der hohen Preise. Auch KMU sind von den sehr hohen Anschaffungspreisen betroffen und geben diese an ihre Kunden weiter. Hier bestehe Handlungsbedarf, bekräftigte Martin Schläpfer in seinem Referat: «Der Bund muss seine Importpolitik überdenken und beispielsweise mehr Parallelimporte ermöglichen, damit der Detailhandel, KMU und die Industrie von niedrigeren Anschaffungspreisen im Ausland profitieren können.»

Das Symposium war informativ und hat zum Umdenken angeregt. Und schliesslich kam auch der Humor nicht zu kurz. So gab Urs Klemm zu, sich seit kurzem mit Klingen vom Aldi zu rasieren, die 20 Prozent von dem kosten, was Gilette verlangt: «und es hat sich noch keine Frau beschwert.» Das an die Referate anschliessende Brainstorming brachte viele gute Ideen zum Vorschein. Einigkeit herrschte insbesondere darüber, dem Preisdiktat internationaler Hersteller nicht mehr bedingungslos folgen zu wollen und sich vermehrt wieder dem wahren Wert eines Produktes zu besinnen.