Veröffentlicht am 10.02.2014FOTO UND TEXT: Nicola Mohler

Lernutensilien in der Alphabetisierungsklasse der Informationsstelle für Ausländerinnen- und Ausländerfragen (isa) in Bern.

Von A bis Z

Viele Migrantinnen und Migranten schreiben ihre Muttersprache nicht mit lateinischen Buchstaben. Um Deutsch zu schreiben und zu lesen, müssen sie erst das unsrige Alphabet lernen. Ein Besuch im Klassenzimmer eines Alphabetisierungskurses.

«Ich will gut schreiben lernen», sagt Cynthia (Name geändert) aus Thailand in gebrochenem Deutsch. Seit 22 Jahren lebt die 50-Jährige in der Schweiz. Von einer Freundin erfuhr sie von den Alphabetisierungskursen der Informationsstelle für Ausländerinnen- und Ausländerfragen (isa) in Bern (siehe Kasten). Diesen Kurs besucht die Thailänderin, die eine 30-Prozent-Stelle inne hat, bereits zum dritten Mal. «Die Teilnehmenden wiederholen Klassen oft oder steigen nach einer Pause wieder ein. Dass sie eine Stufe nach der anderen ohne Repetition absolvieren, ist eher selten», sagt Lehrer Hansmartin Zimmermann.

«Unser Ziel ist, dass die Schülerinnen und Schüler der Alphabetisierungskurse danach die regulären Deutschkurse der isa besuchen können.» Die Niveaus der acht Teilnehmenden an diesem Abend sind unterschiedlich: Einige sprechen fliessend, haben aber Mühe zu schreiben. Andere schreiben fehlerlos nach Gehör, sprechen aber stockend.

Verschiedene Kompetenzen


Der Kurs beginnt wie immer: Die Teilnehmenden notieren Tag und Datum in ihr Heft. «D-O-N-N-E-R-S- T-A-G», buchstabiert Cynthia für die ganze Klasse. Das Alphabet kennt sie gut, lesen geht auch leicht, nur das Schreiben macht ihr Mühe. «Das Schreiben ist für die meisten Teilnehmer die grösste Schwierigkeit», sagt Hansmartin Zimmermann, der seit 1996 für die isa unterrichtet.

Die Herausforderung für den Linguisten mit Patent Sekundarschullehrer ist, alle Teilnehmenden mit ihren verschiedenen Kenntnissen mit einzubeziehen. Deshalb macht er in jeder Stunde Lese-, Sprech- und Schreibübungen, sodass alle mit ihren Teilkompetenzen vom Unterricht profitieren. An einer grossen Uhr lesen die erwachsenen Schülerinnen und Schüler die Zeit ab, anhand von Bildern benennen sie die dargestellten Früchte und Gemüsearten und schreiben deren Namen. Danach lösen sie schriftlich das von Hansmartin Zimmermann kreierte Arbeitsblatt.

Wie schnell sie Fortschritte erzielen, hängt meist davon ab, ob die Migranten in ihrem Herkunftsland eine Schule besuchten oder nicht. Für lerngewohnte Menschen, die in ihrer Muttersprache schreiben können, rechnet die isa mit rund eineinhalb Jahren, bis die Personen auf deutsch schreiben und lesen können. Migranten ohne Schulhintergrund hingegen brauchen zweieinhalb bis drei Jahre.

Selbstvertrauen schenken

Hansmartin Zimmermann gefällt seine Arbeit: «In diesem niederschwelligen Bereich kann ich einiges bewegen. Die Leute realisieren, wie wichtig Sprachkenntnisse und Bildung sind.» Zu Beginn seien die Lernenden manchmal verunsichert. Durch die Sprachkenntnisse würden sie aber an Selbstvertrauen gewinnen.

Einige der Teilnehmenden meldet die regionale Arbeitsvermittlung bei den Sprachkursen an, andere kommen über die Sozialdienste. Und einzelne bezahlen den Kurs selber. «Die Gruppen sind immer international zusammengesetzt. Manchmal dominieren bestimmte Länder, wie etwa Eritrea oder Somalia. Doch das wechselt ständig», sagt Hansmartin Zimmermann.

Fleissige Schüler

Die drei Männer wie auch die fünf anwesenden Frauen kommen jeden Dienstag und Donnerstag von 19.45 bis 21.25 Uhr an die Nägeligasse in Bern und pauken Deutsch. Die Stimmung ist gut. Weiss ein Teilnehmer nicht weiter, hilft der Tischnachbar. «Diese Klasse hat schon ein gutes Niveau und macht fleissig mit», lobt Hansmartin Zimmermann seine Schülerinnen und Schüler.

Alle acht Teilnehmenden haben eine Arbeitsstelle. Suren (Name geändert) aus Sri Lanka arbeitet in einem Pflegezentrum. Seine mündlichen Sprachkenntnisse sind gut. Seit sechs Jahren lebt er in der Schweiz und wurde im Internet auf den Kurs aufmerksam. Schnell löst er das von Hansmartin Zimmermann verteilte Arbeitsblatt. Einzig bei der Aufgabe aus folgenden Buchstaben ein Getränk heraus zu lesen, kommt er ins Stocken: «A A E F G N N O R S T». Doch auch dieses Rätsel entschlüsselt er nach Absprache mit seinem syrischen Tischnachbarn: Orangensaft. «Ich will gut schreiben lernen. Die Sprache richtig lernen», sagt Suren motiviert und widmet sich wieder den Aufgaben.

«Ich lerne Deutsch»
Die Informationsstelle für Ausländerinnen- und Ausländerfragen (isa) ist die Fachstelle für Integrations- und Migrationsfragen in der Region Bern und setzt sich seit 40 Jahren für die Integration von Migrantinnen und Migranten ein. Sie ist ein politisch und konfessionell unabhängiger Verein, der sich über Leistungsverträge mit dem Kanton Bern sowie über Beiträge der Landeskirchen finanziert. Die isa will die Partizipation der ausländischen Bevölkerung und einen besseren Zugang zu bestehenden Ressourcen und Strukturen fördern. Ihre Alphabetisierungskurse richten sich an Menschen, die Deutsch als erste Fremdsprache lernen oder das lateinische Alphabet nicht kennen. Hauptziel ist, dass die Betroffenen die deutsche Sprache lernen und sich so im Alltag besser orientieren können.