Veröffentlicht am 10.12.2008TEXT: J. Claude Rohner

Gewerkschaft gegen Glatt

Im Glattzentrum muss das Verkaufspersonal samstags bis 20 Uhr arbeiten. Die Gewerkschaft Unia kritisiert diese Arbeitsbedingungen:
Das Familienleben bleibe auf der Strecke.

«Kleinere Betriebe verlassen vermehrt das Glattzentrum», sagt Maria-José de Olazabal von der Unia, die als Bereichsleiterin der Gewerkschaft das Einkaufszentrum betreut. Die Arbeitsbedingungen im Glatt seien schlecht, und die langen Arbeitszeiten verschärften das Problem zusätzlich. «Schon früher waren bei vielen Mitarbeiterinnen die Augen gerötet und die Beine abends schwer. Der Umgebungslärm stört, die trockene Luft und das künstliche Licht sind unangenehm, und das ständige Stehen ist seit jeher eine unangenehme Begleiterscheinung des Verkaufsberufs.» Der Wegzug der kleinen Geschäfte hat aber einen anderen Grund: Für sie stehen Umsatz und Aufwand in einem schlechten Verhältnis, das Geschäft lohnt sich nicht mehr. Für den Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Zentrum Glatt, Marcel Stoffel, gehört das aber zur normalen Veränderung der Mieterstruktur, die durch die wechselnden Kundenbedürfnisse bestimmt wird.

Migros dominiert personell und flächenmässig

Auf Druck der Migros, die auch den Globus betreibt, wurden die Ladenöffnungszeiten am Samstag bis acht Uhr abends verlängert. Für das Personal bedeutet das: Der Samstagabend geht flöten. Schliesslich muss noch aufgeräumt und abgerechnet werden. Da kommen die Leute oft erst gegen zehn Uhr nach Hause und sind reif fürs Bett. Die Familie, besonders die Kinder, haben das Nachsehen.
Im Glattzentrum arbeiten mehr als 1200 Personen, die überwiegende Mehrheit bei der Migros und deren Tochter Globus. «Die Migros-Gruppe kann Abstimmungen im Glatt lenken, da sie das Zentrum sowohl personell wie auch flächenmässig beherrscht. Sie kontrolliert den Verwaltungsrat des Zentrums, von Demokratie kann keine Rede sein», beklagt sich de Olazabal.
Dem widerspricht Geschäftsführer Stoffel: «Der Verwaltungsrat der IG Glatt besteht aus neun Mitgliedern, den Mietervertretern. Davon ist ein Mitglied vom Globus und ein Mitglied von der Migros.» Simone Lüthy von der Buchhandlungskette Lüthy und Stocker war an der Mitgliederversammlung. «Die Mehrheit der Mieter war dafür, es gab sonst nur Enthaltungen.» Aber ihr ist die Problematik bewusst. Als grösseres Geschäft mit gegen 30 Angestellten kann die Buchhandlung die Belastung mit wechselnden Schichten auffangen. «Kleine Geschäfte können das nicht. Die Stadt, die Bahn und vor allem der Flughafen mit seinen langen Öffnungszeiten haben uns in Zugzwang gebracht.»
Wer im Glatt arbeitet, wird nicht reich. «Im Schnitt verdienen die Verkäuferinnen zwischen 3000 und 4100 Franken pro Monat», sagt de Olazabal. Die Verlängerung der Öffnungszeiten habe zu einer weiteren Zuspitzung geführt. «Anstelle fester Monatslöhne bieten die Geschäfte immer häufiger Arbeit auf Stundenlohnbasis an, und das erst noch auf Abruf.» Das Personal weiss also nicht, was es nächsten Monat verdienen wird, und es kuscht, weil ihm sonst die Stunden gestrichen werden. Auch die Pensionskassen­beiträge werden laut Unia bei stundenweiser Arbeit nicht mehr bezahlt. Die Firmen setzen auf studentische Hilfskräfte, die nur kurzfristige Einsätze haben und sich deshalb nicht um diese ­Abgaben kümmern. Die Migros streitet das ab.

Angst vor Vergeltungsmassnahmen

Für die Unia ist das ein schwieriges Umfeld. «Die Migros hasst uns», sagt Maria-José de Olazabal. «Sie hat einen GAV ausgehandelt, der ihr einen weiten Spielraum einräumt, und den nutzt sie auch.» Um zuverlässige Daten zu haben, hat die Unia im Glattzentrum eine Umfrage im Detailhandel gemacht. Die Auswertung steht noch aus, aber die ersten Antworten sind eingetroffen und lassen Rückschlüsse auf die Befindlichkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu. Neben den körperlichen Beschwerden wird im Glattzentrum der Samstagabend-Einsatz moniert, der es den Müttern nicht mehr erlaubt, am Samstag ihre Kinder zu sehen. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, da sie enorme Schwierigkeiten haben, samstags jemanden für die Kinderbetreuung zu finden. Auffallend oft wird in der Unia-Umfrage auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beklagt. Täter sind vorwiegend Chefs und Arbeitskollegen. Eine Erklärung dafür hat Maria-José de Olazabal noch nicht.
Die Gewerkschaft hat nicht nur Fragen gestellt, sondern ist auch schon aktiv geworden. Bereits 2007 drangen erste Gerüchte über eine geplante Verlängerung der Arbeitszeiten zur Unia.
«Die Betriebsleitung unter Marcel Stoffel hat nicht darüber informiert, dass eine Abstimmung darüber stattfinden wird», kritisiert de Olazabal. «Doch 2008 wurde gegen den Willen der meisten kleinen Geschäfte die Samstagöffnung bis 20 Uhr von der Migros diktiert. Trotz der Proteste des Verkaufspersonals sind die neuen Öffnungszeiten seit November in Kraft. Die Gegner hatten nicht den Hauch einer Chance.»
Dies wollte die Unia nicht hinnehmen: In einer ersten Aktion stellte die Gewerkschaft eine Stellwand auf, auf der das Personal seinen Unmut ausdrücken konnte. Bei einer zweiten Aktion ­wurden Postkarten verteilt, damit sich die Angestellten im Schutz der Anonymität äussern konnten, da sie Vergeltungsmassnahmen der Chefetage befürchteten. Von fünfhundert Antwortkarten sprach sich eine einzige für die Verlängerung der Öffnungszeiten am Samstag aus. Der Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft Glatt, Marcel Stoffel, nahm die Karten und den Papierbogen zwar entgegen. Passiert ist aber nichts.