Veröffentlicht am 01.07.2010TEXT: Antje Hentschel

Gelebtes Marketing

Schwarz zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Kollektionen. Christa de Carouge und ihr gleichnamiges Label sind seit über dreissig Jahren fester Bestandteil der Schweizer Modewelt. Teil ihres Erfolgsgeheimnisses: Sie trägt ihre Kreationen selbst. Und konsequent in Schwarz.

Carouge. Das Städtchen im Kanton Genf ist für Christa de Carouge Heimat und namensgebend zugleich. Christa Furrer, wie die Modedesignerin bürgerlich heisst, wollte einen ganz persönlichen Namen. Einen Künstlernamen für sich und einen unverwechselbaren Namen für die Marke, für die sie steht. Ausgehend von ihrem damaligen Wohnort und der Tatsache, dass Furrer französisch «Führer» ausgesprochen wird und damit schlechte Erinnerungen an die Kriegszeit weckt, entscheidet sie sich 1978 für «Christa de Carouge». «Abgesehen davon, dass der Name schön tönt, war er auch als Marketingidee ausschlaggebend für die Entscheidung», erzählt sie. Vorsichtshalber geht sie zum Bürgermeister von Carouge, um ihre Umbenennung absegnen zu lassen. Dieser ist nicht nur damit einverstanden, sondern freut sich besonders, als Christa de Carouge den Namen 1988 mit nach Zürich nimmt und so dafür sorgt, dass von da an auch die Zürcher wissen, wo Carouge liegt.
Christa de Carouge trägt ihre eigene Mode, und sie trägt sie ausschliesslich in Schwarz. Das Image als modische Aussen­seiterin pflegt sie seit ihrem Betreten der Modebühne. In die Kunst der Vermarktung hat sie ihre erste Chefin eingeweiht, mit der sie heute eine enge Freundschaft verbindet. «Jeder Kunde war bei ihr eine Persönlichkeit und wurde individuell bedient», erinnert sich Christa de Carouge. «Auch für das leibliche Wohl der Kundschaft war gesorgt.» In der Werbeagentur Gisler und Gisler arbeitet sie nach ihrer Grafikerlehre während sieben Jahren und betreut auch grössere Marken. Von der Art ihrer Chefin, mit den Kunden um­zugehen, ist sie so beeindruckt, dass sie dieses Konzept später übernimmt. Die Nähe zu ihrer nationalen und internationalen Kundschaft ist denn auch eines der Erfolgsrezepte von Christa de Carouge. Schon in Carouge gab es jeden Samstag einen Picknicktisch mit Käse, Brot, Wurst und Wein. Das sorgte für ein gutes Ambiente. Auch in ihrem Laden in Zürich bietet sie ihren Kundinnen, die aus den verschiedensten Branchen kommen, immer einen Kaffee oder ein Glas Wasser an - vor allem aber hat sie ein offenes Ohr für deren Anliegen. Auch wenn sie privater Natur sind. Männer, die ihre Frauen begleiten, schätzen es, dass Christa de Carouge einen gekühlten Weisswein parat hat. Oder einen kleinen Schnaps, wenn Beratung und Shopping einmal gar kein Ende nehmen wollen.

Von der Lieblingsfarbe zum eigenen Modelabel

Die Individualität, die sie in der Mode lebt, überträgt sie auf die Beratung und Begleitung ihrer Kundinnen. «Auch das gehört zu den Aufgaben einer Modedesignerin», findet Christa de Carouge. Anderen zu helfen, ihren eigenen Stil zu finden. Die modische Selbstfindung von Christa de Carouge beginnt in den Sechzigerjahren. 1965 steigt sie in die Modewelt ein, in die Swinging-Mode, wie sie sagt. Mary Quant, Courrèges und Cacharel sind die Ikonen dieser Zeit. Für Christa de Carouge hat die Mode da eigentlich angefangen. «Wir wollten unseren Hunger, mal ganz anders zu sein, stillen und das Klassische etwas abstreifen.» Die Zeit habe die Möglichkeit geboten, neue Trends zu erfahren und auszuleben, in Musik, Theater, Tanz und Literatur. Unkonventionelles wird salonfähig und ermöglicht einer ganzen Generation, die eigenen Grenzen zu überschreiten. «Damals ist mit allem ein Ausbruch passiert, das hat gut getan», meint die Modedesignerin. «1968 hat es dann noch einmal richtig geknallt!»
Auf dieser Welle schwimmt sie eine Weile mit, bis sie müde davon wird. Nach ihrer Scheidung nimmt sie sich eine zweijährige Auszeit, um sich selbst zu finden und das auf die Beine zu stellen, was sie machen will. Sie setzt es 1978 in Carouge um. 1983 folgt die erste Modeschau in Genf, nur mit schwarzen Kleidern. Ohne professionelle Mannequins. Sie wird ein Hit, ein Gongschlag in die Modewelt. Christa de Carouge hat buchstäblich ins Schwarze getroffen. Seit dieser Präsentation ist sie «la dame en noir», die Frau in Schwarz. «Schwarz ist meine Lieblingsfarbe aller Zeiten», sagt sie. Das Faible für die Farbe paart sich mit ihrem handwerklichen Können. Erste praktische Erfahrung mit Stoffen machte sie mit ihrer Mutter, die nach dem Krieg als Schneiderin Seidenblusen in Heimarbeit herstellte. Besonders fasziniert war Christa de Carouge von den Knopflöchern, die ihre Mutter fertigte. «Sie waren so schön, so genau genäht. Ich habe ihr zugeschaut und wollte auch eines machen.» Auf einem zurechtgeschnittenen Probestück durfte sie als kleines Mädchen üben. Ihre Mutter, die bis ins hohe Alter bei ihr im Atelier mitarbeitete, lehrte sie, präzise zu arbeiten. «Wir haben praktisch nie Kleider gekauft, sondern alles selbst gemacht», erinnert sich Christa de Carouge.
Als Teenager fasst sie eines Tages den Entschluss, ein Kleid zu realisieren. Ohne Schnittmuster, direkt auf dem Stoff. «Ich habe eine irre Freude an solchen Sachen und würde am liebsten immer so arbeiten», sagt sie. Für Einzelstücke geht sie auch heute noch dieser Leidenschaft nach. «Kreativität fängt mit dem Ausprobieren an.» Spontane Kreativität und Exaktheit sind für Christa de Carouge keine Gegensätze. Sie ergänzen sich optimal. Das lernt sie an der Kunstgewerbeschule, die sie vor ihrer Erstausbildung besucht. Die Fähigkeiten, die sie sich dort aneignet, begleiten Christa de Carouge bis heute. An dieser Schule liebt sie vor allem die Strenge. Das Lehrmaterial. Die Genauigkeit. Das Anspitzen der Bleistifte beim wissenschaftlichen Zeichnen. Einen Gegenstand eingehend zu betrachten. Das Fassliche ist nebst dem Visuellen wesentlich für die Modedesignerin. Trotz zunehmender Technik und der Umstellung vieler Bereiche auf den Computer. Das Virtuelle könne das Greifbare nicht ersetzen. «Solange wir uns anziehen, brauchen wir diese Sinnlichkeit. Das kann nie verloren gehen.»

Materielles: Stoff und Finanzen

Handwerkliche Fertigkeit, Kreativität und Präzision sind das Kapital von Christa de Carouge. Sponsoring gibt es in ihrer Welt nicht. Auch fremdes Geld, selbst von Banken, kommt für sie nicht in Frage, denn: «Es gehört einem ja nicht. Man muss es zurückzahlen, und wenn das einmal nicht mehr geht, kommt man in den grössten Clinch.» Zu ihrem Kapital gehört auch der gute Draht zur Presse, den sie seit langem pflegt. Im Gegensatz zu einem Werbeinserat, das in einer Tageszeitung erscheint und am nächsten Tag im Altpapier landet, bleibt ein persönliches Porträt über ihre Arbeit im Gedächtnis der Leute, weiss Christa de Carouge aus Erfahrung. Ansonsten gilt für sie umsichtiger Umgang mit ihren Ressourcen. «Ich habe immer so gearbeitet, dass ich wieder in eine höhere Qualitätsstufe investieren konnte.» Ausserdem ist ihr wichtig, sich nicht mit vielen Filialen zu verzetteln, sondern, wie sie sagt, lieber einen guten Laden in einer guten Stadt zu haben.
Newcomern rät sie, sich auszuprobieren. «Man muss die Inspiration zuerst fühlen, sie muss aus dem Bauch und dem Kopf kommen, und die Kreativität muss in den Händen sein.» Ausreden über fehlende finanzielle Mittel lässt Christa de Carouge nicht gelten. «Man kann mit allem etwas machen, auch mit einem kleinen Budget. Man kann überall etwas finden, günstiges Material, oder sogar gratis etwas bekommen.» Die Schwierigkeiten auf dem aktuellen Modemarkt sieht sie eher darin, dass die billigen Hersteller zunehmend die teuren Marken kopieren. Heutzutage kaufe auch eine gut betuchte Frau ohne Hemmungen in einem H & M ein. Das mache es schwieriger, sich im oberen Preissegment zu etablieren. Grundvoraussetzung sei, Freude an dem zu haben, was man macht. Und die eigenen Kreationen selber zu tragen. «Wenn ich in Jeans und Blouson herumlaufen würde, käme niemand in meinen Laden», ist Christa de Carouge überzeugt.
Von der Seide, ihrem ehemals bevorzugten Material, hat sie sich mittlerweile verabschiedet. Nach langem Suchen und anschliessendem Härtetest auf Alltagstauglichkeit hat sie sich für eine hoch veredelte Mikrofaser entschieden. Eine, die pflegeleichter als Seide ist und auch bei häufigem Waschen die Farb­intensität behält. Schwarz bleibt schwarz. Ob in Seide oder Mikrofaser. Wichtig sei, aktuell zu bleiben. Ausgetretene Pfade verlassen und Neues wagen. Flexibel sein. Die Rückmeldungen der Kundschaft geben ihr Recht.
Auf Bewährtes setzt Christa de Carouge dennoch. Ihre Mit­arbeitenden stammen, mit einer Ausnahme, aus ihrem Familien- und Freundeskreis. «Ich möchte einfach nicht noch einmal jemanden auf meinen Stil eintrimmen. Aber ich habe immer Leute, die ich anrufen kann, wenn ich Hilfe brauche.» Bei der Produktion ist sie ebenso wählerisch. Ihre Kreationen werden in der Schweiz hergestellt, von zwei Ateliers in Rorschach und St. Margrethen. Mit diesen beiden Häusern arbeitet Christa de Carouge schon seit zwanzig Jahren zusammen.

Inspiration und Vision

Christa de Carouge sieht sich selbst als Architektin. In ihren Kleidern sollen die Leute wohnen können. Haus oder Wohnung seien ja auch eine Hülle für einen selbst. Sie mache die Hülle davor. «Nach der Haut komme ich», bringt sie es auf den Punkt. Das sei keine Mode, sondern Stil. Selbstvermarktung mit Stil. Und das komme an: «Auf mein Selbstmarketing habe ich nur positive Reaktionen bekommen.» Existenziell wichtig ist ihr beim Selbstmarketing die Ästhetik. Coco Chanel, die Erfinderin des «kleinen Schwarzen», die für sie Emanzipation und Selbstmarketing auf hohem Niveau symbolisiert, nennt Christa de Carouge «die Frau mit dem ästhetischen Blick». Ein Kostüm von ihr würde sie aufgrund der eher konventionellen Schnitte zwar nicht tragen, aber: «Madame Chanel ist für mich ein riesiges Vorbild, eine absolute Wahnsinnsfrau.» Die Natürlichkeit und der Tragekomfort, die sie in der Mode umsetzte, faszinieren sie.
Ihre Vorbilder finden sich aber nicht nur in der Modebranche. Es können einfach Menschen sein, an die sie gern denkt. Zum Beispiel die deutsche Tänzerin und Choreografin Pina Bausch, die sich auf ihren Reisen inspirieren liess. «Ich arbeite auf eine ähnliche Weise wie sie. Es ist das Ausleben von Erlebtem», sagt de Carouge. Ihre Inspiration holt sie sich auch bei buddhistischen Mönchen oder bei Pierre Soulages, dem französischen Maler und Grafiker, der sich in seiner Kunst ebenfalls der dunkelsten aller Farben verschrieben hat. Der «Schwarzmaler» gibt seinen Bildern auf der Leinwand ähnliche Strukturen wie Christa de Carouge auf ihren Stoffen. Ihm fühlt sie sich verbunden. Eine Seelenverwandtschaft, die sie in diesem Jahr mit einer Hommage an ihn feiern will. Solche Events, mit denen sie jeweils die neue Kollektion präsentiert, sind fester Bestandteil des Marketings von Christa de Carouge. Für ihre kommenden Kreationen hat sie zusammen mit der Choreografin Denise Lampart eine Präsentation erarbeitet. Die Modelle werden ineinander verschachtelte Kleider in verschiedensten Rottönen tragen. Darunter ein schwarzer Kontrast in Form einer Tatouage, ebenfalls auf Stoff. Heissen soll die Herbst-Performance «Ohne Titel». «Es geht mir um la violence, l'amour et la passion», sagt Christa de Carouge zum Inhalt. Damit verarbeite sie auch das Miterleben des Sterbens ihres Mannes im vergangenen Jahr.
Solange es geht und es ihr Freude bereitet, möchte die 74-Jährige weiterarbeiten. Ihr Credo: «Von dieser modernen Welt das nehmen, was gut für uns ist, und es weiterentwickeln. Einfach nicht stehen bleiben.» Den Zeitpunkt, an dem die Dinge eines Tages dann doch stehen bleiben sollen, möchte Christa de Carouge selbst bestimmen. Unnatürliche Lebensverlängerung - davon hält sie nichts. «Ich kämpfe fürs Gehen, wenn man Lust hat. Das kann mit 80, 90 oder später sein. Das kann man selbst entscheiden.» Da ist sie genauso konsequent wie bei ihrer Arbeit.