Veröffentlicht am 11.02.2009TEXT: Sven Rosemann

«Es werden vermehrt Osteuropäer eingestellt»

Bauwirtschaft und Tourismus, beides Branchen mit starken saisonalen Schwankungen, sind die tragenden Pfeiler
der Oberengadiner Wirtschaft. Francesco Crameri, 52, seit zwölf Jahren Personalberater und Leiter des Regionalen ­Arbeitsvermittlungszentrums in Samedan, spricht über die Herausforderungen in einem vom Tourismus geprägten ­wirtschaftlichen Umfeld.

Herr Crameri, wie hoch ist momentan die Arbeitslosenquote im Engadin?
Francesco Crameri: Im Dezember lag die Arbeitslosenquote bei 2,9 Prozent. Dieser Monat ist stark von den saisonalen Schwankungen geprägt: Die Gastronomie zieht wieder an und gibt vielen Leuten Arbeit. Dafür kommen die Bauarbeiter zu uns, deren Saison zu Ende ist.

Aber im Dorf Samedan wird zurzeit doch noch gebaut, trotz Winter und Schnee ...

Dass zurzeit überdacht gebaut wird, ist eine Ausnahme. Es gibt Gesetze, welche die Bautätigkeit im Winter einschränken, etwa die Aushubsperre: Sie untersagt Grabun­gen, bis der Frühling kommt. Dazu kommen die Lärmverbote. Schliesslich sind wir hier in Kurorten, wo die Touristen ihre Ruhe verlangen. Ich finde das auch richtig.

Hier gibt der Tourismus den Ton an, oder?
Es gibt hier hauptsächlich zwei Branchen: Bau und Gastronomie, wobei letztere sicher die wichtigere ist. Was wir hier nicht haben, ist Industrie.

Warum eigentlich nicht?
Unsere abgeschiedene Lage verursacht enorme Transportkosten. Zudem sind die Bodenpreise im Engadin hoch. Industrielle Betriebe gehören ins Unterland, wo sie richtige Marktchancen haben.

Was können Sie benachteiligten Stellensuchenden anbieten, Personen mit leichter Behinderung zum Beispiel?
Das ist für uns sehr schwierig. Da ­Fabriken fehlen, wo man solche Leute ­einsetzen könnte, haben wir praktisch ­keine Möglichkeiten dazu. Die Baubranche ist stark unter Druck, dort können wir es vergessen. Erst recht in der Gastronomie: Da wird unter den gegebenen Umständen, wie Wirtschaftskrise und erhöhter Arbeitslosigkeit, eine Leistung von 150 Prozent verlangt. Wer da nicht mithalten kann, ist quasi nicht arbeitsmarktfähig. Das ist verrückt, aber leider wahr. Kommt dazu, dass Fremdsprachen immer wichtiger werden, jetzt sogar Russisch.

Werden also vermehrt Ausländer angestellt?
Ja, diesen Trend gibt es. Es werden vermehrt Osteuropäer eingestellt, wenn auch noch nicht sehr ausgeprägt.

Hat denn die Finanzkrise Samedan schon erreicht?

Noch nicht richtig, nein. Durch die Büsche kann man zwar hören, dass einzelne Hoteliers über Absagen klagen, was ich ­persönlich auf die Finanzkrise zurückführe, denn die Schneeverhältnisse sind ja top. Aber genau wissen wir es nicht, und es gibt bis jetzt keinen Anstieg der Arbeitslosenzahl, der sich darauf zurückführen liesse.

Zu einem anderen Thema: Wenn es viel Schnee gibt, holt sich die Gemeinde ­Unterstützung bei Öko-Job, einer ­Stiftung, die Arbeitslose für den Winterdienst rekrutiert. Muss da jeder mit­machen, der dazu in der Lage ist?
Öko-Job ist eine arbeitsmarktliche ­Massnahme, ein Beschäftigungsprogramm. Gemäss Arbeitslosenversicherungsgesetz müssen Versicherte daran teilnehmen, wenn wir sie aufbieten. Aber wenn es darum geht, ein paar Wochen auszuhelfen, plädiere ich für eine Teilzeitanstellung im Zwischenverdienst, damit wir den ersten Arbeitsmarkt nicht konkurrenzieren. Prinzipiell geht es bei allen Beschäftigungs­programmen darum, Langzeitarbeitslosen eine Tagesstruktur zu geben und ihnen beim Wiedereinstieg ins Berufsleben zu helfen.

Was wünschen Sie sich denn persönlich bezüglich der Arbeitssituation in Ihrer Region?

Ach wissen Sie, es wäre schon was, wenn sich die Arbeitgeber wieder besinnen würden, welches Kapital die Angestellten eigentlich darstellen und ihren Belegschaf­ten Sorge trügen, wie es noch vor 25 Jahren der Fall war. Heute ist bekanntlich jeder Arbeitgeber unter Preis- und Zeitdruck. Das macht so ein Ansinnen zu purem Wunschdenken.