Veröffentlicht am 20.11.2014TEXT: Kathrin FinkFOTO: Kathrin FInk

Von links nach rechts: Barbara Bourouba, Valentin Vogt, Beat W. Zemp

«Eine Lehre zu machen, ist alles andere als eine Schande»

«Anspruchsmentalität»: Das Motto der Women’s Business Conference in Zürich spiegelte sich auch in der Diskussion zum Thema Akademisierung wider. Sowohl der Präsident der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer wie auch Vertreter der Privatwirtschaft traten für das duale Bildungssystem ein.

«In der Schweiz gibt es zu viele Maturanden. Müsste man nicht das duale Bildungssystem fördern?», fragte Moderatorin Susanne Wille eingangs die Dreierrunde. Barbara Bourouba, HR-Chefin bei Holcim, bestätigt, dass es beim Baustoffhersteller schwierig sei, gute Lehrlinge zu finden – obwohl zweimal so viele Jugendliche eine Lehre und nicht das Gymnasium wählten. Beat Zemp, Präsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer, entgegnet, dass ihn die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jedes Jahr rüge, weil die Maturanden-Quote hier gegenüber dem Ausland so niedrig sei: «Das Ausland versteht unser duales Bildungssystem nicht. Es versteht nicht, dass wir nicht nur Akademiker haben.» Auch Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt begegnen im Ausland seltsamen Fragen: «Ich wurde schon mehrmals gefragt, wie viel unser Staat die Firmen dafür zahle, dass sie Lehrlinge ausbilden.»

Numerus Clausus bei den Geisteswissenschaften?

Die Berufslehre scheint im Ausland und bei ausländischen Firmen in der Schweiz immer noch einen schwierigen Stand zu haben. Valentin Vogt sieht eine Tendenz, die Berufslehre zu akademisieren und das Universitätsstudium praxisnaher zu gestalten. Dieser Entwicklung steht er allerdings kritisch gegenüber. «Man sollte die beiden Systeme nicht vermischen.» Jeder Zweig habe seine Stärken: die gut ausgebildeten Berufsleute und die auf Forschung spezialisierten Akademiker. Um einem Überschuss an Akademikern in gewissen Bereichen vorzubeugen, schlägt der Arbeitgeberpräsident einen Numerus Clausus vor, zum Beispiel bei den Geisteswissenschaften. «So hätten wir nur Top-Soziologen auf dem Markt. Die anderen müssten sich gezwungenermassen nach einem alternativen Studium umsehen.»

Neben der Frage, ob eine Lehre oder ein Studium besser sei, gibt es für Beat Zemp ein ganz anderes Problem: Die zehn Prozent Jugendlichen, die gar keine Ausbildung machen. Sie haben ein drei Mal grösseres Risiko in ihrem Leben arbeitslos zu werden. «In Basel haben wir frühpädagogische Massnahmen eingeführt, um dieses Risiko zu verkleinern.» Es sei oft absehbar, welche Kinder schulisch ins Hintertreffen geraten. Man müsse die Eltern in die Pflicht nehmen und mit ihnen Erziehungsmassnahmen anschauen.

Während gewisse Eltern zu wenig hinsehen, schauen andere umso mehr hin. Nach dem Motto der Veranstaltung «Anspruchsmentalität», stellen manche Eltern überspitzte Anforderungen an ihren Nachwuchs. «Einige Eltern wollen ihre Kinder auf Teufel komm raus ins Gymnasium pushen», sagt Beat Zemp. Er kenne Fälle, bei denen Elterngespräche unter Polizeischutz stattfanden, weil die Lehrer im Vorfeld bedroht wurden. Das könne einfach nicht sein in einem Land, das ein gutes duales Bildungssystem hat. «Eine Lehre zu machen ist alles andere, als eine Schande.»

Mehr «out of the box» denken

Von der Akademisierung zu den 50 000 Akademikerinnen, die nicht berufstätig sind: Moderatorin Susanne Wille konfrontierte die HR-Verantwortliche Barbara Bouroubas mit der Tatsache, dass der Frauenanteil bei Holcim lediglich 17 Prozent beträgt. «Das liegt aber auch an der Branche», konterte die HR-Chefin. «Als ich bei Helsana arbeitete, hatten wir einen Anteil von 70 Prozent Frauen.» Dagegen hält Beat Zemp, dass es bei den Lehrern zu viele Frauen habe: «In meiner Schule in Liestal mussten die Herren- zu Damentoiletten umgebaut werden.» Dabei würden Schulen händeringend nach Männern suchen. Es sei für Kinder und Jugendliche wichtig, Bezugspersonen beider Geschlechter zu haben. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt meint, dass die Schweiz bei dieser Problematik mehr «out oft he box» denken und kreative Wege gehen müssten. Für ihn steht fest: «Wenn mehr Frauen in die Wirtschaft sollen, müssen Teilzeit-Männer her.»