Veröffentlicht am 25.08.2014TEXT: Joël FreiFOTO: Daniel Uhl

Schwester Benedikta im Saal der Bürgergemeinde Solothurn. Hier fand ihr Bewerbungsgespräch statt.

Einsiedlerin im Gespräch

«Die Biografie von Niklaus von Flüe bewegte mich sehr»

Die 51-jährige Schwester Benedikta ist die neue Einsiedlerin in der Verenaschlucht bei Solothurn. 119 Personen haben sich für die Stelle beworben. Speziell dabei: gesucht wurde eine «offene und kommunikative» Person, da die Einsiedelei St. Verena ein beliebtes Ausflugsziel ist.

Seit dem 1. Juli bewohnen Sie die Klause der Einsiedelei. Ist das Leben in der Verenaschlucht so, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Ja, schon. Zurzeit ist viel los und ich habe viele Begegnungen mit den unterschiedlichsten Leuten. Manche kommen hierher spazieren, weil es so idyllisch ist oder um den keltischen «Kraftort» zu besuchen. Andere haben Fragen zur Schlucht oder möchten, dass ich für sie bete. Ich bin aber nicht ausgelaugt oder ausgebrannt. Ich habe gewusst, dass viel los sein wird.

Was hat Sie an der Stelle als Einsiedlerin gereizt?

Jemand hat mich auf das Stelleninserat hingewiesen. Im bündnerischen Tersnaus war ich glücklich, aber mein Wunsch war, in eine bestehende Einsiedelei mit Kapelle einzuziehen. Jetzt habe ich sogar zwei Kapellen! Gereizt haben mich der Unterhalt der Gotteshäuser und die Begegnungen mit Menschen. Ich sagte mir: Wenn Gott will, werde ich Einsiedlerin in der Verenaschlucht, wenn nicht, hätte ich die Aufgabe auch jemand anderem gegönnt.

Im Stelleninserat wurde eine «offene und kommunikative Person» gesucht. Warum muss eine Einsiedlerin diese Charaktereigenschaften aufweisen?

Grundsätzlich beruft Gott einen Menschen zum Einsiedler oder zur Einsiedlerin. Man wird berufen, egal ob man introvertiert oder extrovertiert ist. In Solothurn ist speziell, dass es unglaublich viele Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen gibt. Wichtig ist, dass man keine Berührungsängste hat und offen gegenüber anderen Glaubensformen ist. Wenn mich jemand fragt, dann sage ich ihm, was ich glaube. Ich muss aber niemanden bekehren. Ich lasse die anderen wie sie sind. Ich selber möchte ja auch, dass man mich so annimmt, wie ich bin.

Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Arbeit?

Die Begegnungen mit Menschen und die Hingabe im Gebet. Mir gefällt auch, dass ich für die Gotteshäuser zuständig bin und in der Klause wohnen darf.

Sie nahmen Schauspielunterricht und Sologesangsstunden. Die Gebete in der Kapelle singen Sie, statt sie zu sprechen. Was sind die Rückmeldungen von den Besuchern der Einsiedelei zu Ihrem Gesang?

Pro Tag bete ich fünfmal, zweimal in meiner Klause und dreimal – um 8, 12 und 16 Uhr – öffentlich in der Kapelle. In Klöstern werden Gebete vielfach gesungen – allerdings mit vorgegebenem Text. Im Unterschied dazu singe ich frei, teilweise mit bestehenden Melodien. Die Rückmeldungen, die ich bekam, sind sehr erfreulich, manche fühlen sich berührt. Es geht aber nicht darum, dass ich Gesangsstunden genommen habe und für mich singe, sondern dass ich Gott preise, ihm klage und für andere Fürbitte einlege.

Sie waren verheiratet, zogen vier Kinder gross und führten fast 20 Jahre lang ein offenes Haus für Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenslagen. Was hat Sie dazu bewegt, Einsiedlerin zu werden?

Mit 13 Jahren las ich die Biografie von Niklaus von Flüe, die mich sehr bewegte. Das Leiden der Menschen hat mich immer schon bewegt, und ich hätte es gerne gemildert. Ich bin jedoch an meine Grenzen gestossen. Doch Gott hat unendliche Ressourcen. Ich habe Christus für mich entdeckt, wurde nicht gläubig geboren. Als Christin bin ich dazu bestimmt, für Menschen da zu sein. An einem Tag vor 12 Jahren hat Gott zu mir gesprochen: «Ich möchte, dass du die Arbeit niederlegst und ein Leben des Gebets führst». Das offene Haus und der Mittagstisch, den ich führte, war meine Familie. Ich wollte gar nicht damit aufhören. Für drei Tage arbeitete ich weiter, dann habe ich mich ergeben. Beim Gebet habe ich ein Drängen in mir gespürt, mein Leben zu vertiefen. Auch Freunde sagten mir: «Du bist zum Gebet berufen». Dann ist der Punkt gekommen, als mein Mann sagte: «Auch ich bin von Gott berufen, aber deine Berufung betrifft nur dich alleine». Ich musste mich der Entscheidung stellen. Wie geht es weiter? Wo gehöre ich hin? Schliesslich habe ich in einem Kloster Zeit verbracht, um mich auf mein einsiedlerisches Leben vorzubereiten.

Die Einsiedelei St. Verena ist auch eine Touristenattraktion. Wie gehen Sie damit um, im Fokus des Interesses zu stehen?

Dies ist mir schon vorher bewusst gewesen. Beim Vorstellungsgespräch hat man mir gesagt, dass ich eine öffentliche Person sein werde. Ich weiss aber, wann ich mich zurückziehen muss. Das Gärtchen der Klause ist umzäunt. Wenn die Gartentüre zu ist, bin ich am Schweigen und möchte nicht gestört werden. Wenn Besucher dann trotzdem an die Haustüre klopfen, mache ich nicht auf. Ich habe ein Plakat aufgehängt, das um Rücksichtnahme bittet. Ich helfe schliesslich niemandem, wenn ich ausbrenne.

Einsiedelei Der erste Eremit haust 1441 bei der Einsiedelei, dies geht aus historischen Dokumenten hervor. Er lebt in einer Höhle hinter der St. Martinskapelle, die 1462 erstmals erwähnt wird. Ab 1624 wohnen die Einsiedler in der heutigen Klause. Das zweite Gotteshaus, die Verenakapelle, enthält einen Altar mit Alabasterstatuen und eine szenisch gestaltete Heiliggrabdarstellung. Seit 1876 ist die Einsiedelei im Besitz der Bürgergemeinde Solothurn.
Heilige Verena Diese frühchristliche Jungfrau aus thebäischem Geschlecht, besucht als Pilgerin die Märtyrergräber in Mailand und Acaunum (Saint-Maurice). Dort soll um das Jahr 300 eine römische Legion von christlichem Glauben (die sogenannte Thebäische Legion) den Märtyrertod gestorben sein. Als Gottgeweihte lebt Verena bei Solothurn und stirbt in Zurzach. Adlige mit Kinderwunsch pilgern an ihr Grab, darunter König Konrad von Hochburgund. 
Verenaschlucht Der Sage nach soll sich die heilige Verena hier niedergelassen haben. Die idyllische Schlucht am Stadtrand von Solothurn wurde durch einen Bruch im Kalkstein angerissen und später von Gletschern und dem St. Katharinenbach ausgeformt. Ein Diplomat von Louis XVI, Louis Auguste Le Tonnelier de Breteuil, der vor der französischen Revolution in die Schweiz flüchten muss, legt 1791 einen Spazierweg im Stil eines romantischen Landschaftsgartens an.