Veröffentlicht am 02.06.2010TEXT: Richard Ammann

Die Magie des Jahrmarkts von heute

Die Branche der Marktfahrer hat sich Laufe der Jahrzehnte stark entwickelt und gewandelt. Einst Grundversorger, ist der Jahrmarkt heute ein Ort der Begegnung und ein Einkaufserlebnis mit garantiertem Unterhaltungswert. Der Schweizerische Verband der Marktfahrer feiert sein rundes Jubiläum mit Festivitäten in Zürich und Bern.

Maimarktnachmittag in der Altstadt von Brugg. Den Besucher empfangen - in zunehmender Lautstärke - Stimmen und Klangfetzen, die unverkennbar den unterhaltsamen Bummel mit Einkaufserlebnis ankünden. Am Eingang links grüsst musikalisch der Stand des Studios B aus Luzern mit einem volkstümlichen Schlager, der auf die CD- und Kassettenraritäten in seiner Auslage aufmerksam macht. Geschäftsführer George Häller, seit vierzig Jahren in diesem Business tätig, stellt Interessenten gerne sein illustres Angebot vor, das von alten, wenig bekannten Songs von Johnny Cash bis zu Melanie Oeschs «Jodelzauber» reicht. «Allerdings», fügt er mit Kennermiene hinzu, «lässt nach dem Höhenflug der letzten zwei Jahre mit zahlreichen Fernsehauftritten das Interesse an der Sängerin aus dem Berner Oberland und ihrer Begleitkapelle nun verständlicherweise etwas nach.» Neue Favoritin von Häller ist nun, wie er der Kundschaft erklärt, Julia Steiner aus der Innerschweiz, die ergreifend «Mis Wäggital» intoniert.

Weihwasserwedel und Radiatorenbeseli

Schräg gegenüber hat Emma Suter aus Muttenz ihr Verkaufszelt aufgeschlagen. Seit dreissig Jahren bringt sie Bürsten unter die Leute, und zwar mit einem Sortiment, wie es bei keinem Grossverteiler zu finden ist. In verschiedensten Grössen, Formen und Farben liegen, hängen oder stehen sie in Reih und Glied in der Auslage. Ganz feine dünne für die Kaffeemaschine, dicke, wulstige, die auf dem Friedhof als Weihwasserwedel Verwendung finden. Auch das Radiatorenbeseli fehlt nicht, ebenso die aus feinem Federstahldraht gefertigte Bürste für die Bürste, mit der sich verhedderte Haare aus den Borsten entfernen lassen.
Aufgeregt tritt eine ältere Dame hinzu. Sie hat im Angebot einen Flaschenputzer mit idealem Durchmesser entdeckt, den sie bei Grossverteilern vergeblich gesucht hat. Rasch hat Emma Suter mit ihr den gewünschten Handel abgewickelt. Sie findet dazu noch Zeit, der Kundin und ein paar weiteren Interessenten ein besonderes Utensil aus ihrem Angebot vorzuführen, nämlich den langstieligen Rückenkratzer mit Rollen für die Nackenmassage, der für jeden strapazierten Body - und wer hat das nicht - eine Wohltat ist.
Kein Jahrmarkt ohne kulinarisches Angebot! Frisch gebrannte Mandeln und Rahmtäfeli gehören zu den Klassikern.
Luzerner Spezialitäten bietet eine Schau­käserei aus Ettiswil an - verschiedene Rauchwürste, würzigen Grau-Flue-Chäs vom Napf und darüber hinaus erst noch «rüüdig guete Entlebucher Bergchäs». Nur das aus dem Zürcher Oberland kommende Mostbröckli fällt geografisch etwas aus dem Rahmen, tut dem guten Gesamteindruck des Angebotes aber keinen Abbruch. Weiter gehts an Ständen mit Waren vorbei, die man tatsächlich nur oder vor allem auf Jahrmärkten findet. Lukas Stadelmann aus Schötz führt am Modell seinen «Turbo-Pflegebalsam» für alle Arten von Leder vor. Ein Bergschuh wird hier, mechanisch gesteuert, im Fünf-Sekunden-Takt in Wasser eingetaucht, wobei während der Intervalle sichtbar wird, wie das flüssige Element spurlos am eingecremten Leder abperlt. Gleich nebenan gibt es «exakte Nagelzwicker» (für Hände und Füsse), Scheren, Pinzetten und Skalpelle, und etwas weiter des Weges, bevor es zur Aare hinuntergeht, macht Hans Wyder aus Rickenbach LU «Mut zum Hut»: Mit seinem Plakataushang lädt er die interessierte Männerwelt zur Anprobe von Dächlikappen und Kopfbedeckungen aus Filz und Leder ein.

Ergänzendes Angebot zum Detailhandel

Das Szenario in der Brugger Altstadt zeigt das typische Gesicht des Jahrmarktes, wie es sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte entwickelt hat. Früher versorgte der Markt die Bevölkerung schwergewichtig mit Frischprodukten und Artikeln für den täglichen Gebrauch. Heute ist der Jahrmarkt, Märt, Märit oder wie immer auch dieses Ereignis von Region zu Region genannt wird, ein Einkaufserlebnis mit abwechslungsreichem, den Detailhandel ergänzendem Angebot. Es reicht von Kunsthandwerk, Bekleidung und Haushalthilfe bis zu kulinarischen Köstlichkeiten. Die zahlreichen Marktveranstaltungen in allen Gegenden der Schweiz zählen übers Jahr Millionen von Besuchern und Besucherinnen. Fast täglich finden an mehreren Orten im Land Messen, Kilbenen, Floh- und jahreszeitlich definierte Märkte statt. Wenn man den Schweizerischen Markt­kalender überfliegt, kommt man auf gegen 1500 derartige Veranstaltungen pro Jahr.
Der Schweizerische Marktverband (SMV) will dieses Kulturgut erhalten, pflegen und vor allem fördern. In seiner Geschichte hat er wechselvolle und schwierige Jahre gehabt wie auch Zeiten des Aufschwungs erleben dürfen. Das Aufkommen der Selbstbedienungsläden und Shoppingcenter hat den Markthandel ebenso herausgefordert wie neuerdings der zunehmende Verkauf über das Internet. Im Sinne einer ständigen Aufgabe gilt es hier, die Attraktivität der Jahrmärkte durch Anpassung an den Zeitgeist und den Publikumsgeschmack zu erhalten.

Zunehmend mit Rahmenprogrammen

Engagiert kämpfte der SMV über Jahre gegen kantonale Patentgebühren, bis diese markthemmenden Bestimmungen ausser Kraft gesetzt wurden. Ebenso tatkräftig arbeitete der Verband an der Vollzugsverordnung für das Reisendengewerbe sowie am Binnenmarktgesetz mit. Es versteht sich ausserdem von selbst, dass die Marktreglemente vielerorts auf den Erfahrungen und Impulsen des SMV fussen. Örtlichen Behörden stehen die Verbandssektionen bei der Marktorganisation mit Rat und Tat bei; unter anderem geht es oft um eine faire Verteilung der knappen Standplätze. Organisatoren von Marktveranstaltungen unterstützt der Verband mit Werbekonzepten und eigenen technischen Hilfsmitteln wie universell einsetzbaren Stromversorgungsanlagen für den Betrieb ganzer Märkte. Zunehmend werden auch Rahmenprogramme auf die Beine gestellt. Beispielhaft war etwa das Gauklertreffen, das den Frauenfelder Jahrmarkt im April dieses Jahres als Publikumsmagnet bereichert hat.

Unterhaltung für Gross und Klein

Auch der Besuch des eingangs beschriebenen Maimarkts in Brugg gipfelt in Show und Magie. Plötzlich steht Zauberkünstler Peter Ledermann im vorbeiflanierenden Publikum, führt seinen neuesten Trick, das «heisse Portemonnaie», vor. Er tut so, als ob er einem Interessenten den Münzentrick, einen Zauberartikel, verkaufen will, zieht seine Geldbörse hervor, und dann passierts - aus dem Notenfach des Portemonnaies schiesst eine Stichflamme hervor, die dem Kunden einen gehörigen Schrecken einjagt und ihm erst einmal einen Aufschrei entlockt. Erst nachdem der Betroffene realisiert hat, dass er selber, unfreiwillig, Teil einer magischen Shownummer geworden ist, entspannen sich seine Gesichtszüge zu einem verblüfften Lachen. Der Zauberer hat inzwischen sein Portemonnaie zugeklappt, die züngelnden Flammen haben sich, ohne Beschädigung der dort untergebrachten Geldscheine, ins Notenfach zurückgezogen. Der Kunde ist so angetan von dieser befeuernden Art von Zauberkunst, dass er gleich auch den «heissen» Portemonnaietrick miterwirbt.
Ledermann, der sich den Künstlernamen «Swiss Angel» zugelegt hat und auf Anfrage auch kompakte Shows zeigt, betreibt seinen Stand zusammen mit seiner Partnerin Jacky Graf aus Ebikon. Sie hat sich auf den Handel mit Spiel- und Umziehpuppen spezialisiert und führt diese auch gekonnt vor. «S Lotti schilet, s Lotti schilet ...» legt sie gerade einer Mädchenpuppe singend in den Mund, entsprechende Mimik und Gestik dazu synchronisierend. Verzaubert bleiben Besucher und Besucherinnen stehen, ergötzen sich an der Mani Matter interpretierenden Puppe. Flugs zeigt ihnen Jacky auch ihre anderen Figuren, die von Pirat, Hexe und Pippi Langstrumpf bis zu Tiermotiven wie Affe, Schnecke und Ratte reichen. Sie eignen sich, führt die Händlerin dazu aus, als Geschenk für alle Altersgruppen, vom Kind bis zum Grosi im Altersheim. Besonders gut zur Geltung kommen sprechende Puppen mit witzigen Reden an Anlässen verschiedenster Art, unter anderem an Hochzeiten.
Graf ist vor vier Jahren in den Markthandel eingestiegen. Sie war vorher in ihrem erlernten Beruf als medizinische Praxisassistentin tätig, ehe sie ihren heutigen Partner kennenlernte und sich rasch in die Magie im Allgemeinen und die Puppenwelt im Besonderen verliebte. Längst brennt bei ihr ein inneres Feuer, wenn sie in einem Kinder­garten eine Vorführung macht und glänzende Kinderäuglein zum Leuchten bringt. Das Ganze, kombiniert mit der Freiheit des Markthandels, ist für sie ein Realität gewordener Lebenstraum.