Veröffentlicht am 12.03.2008TEXT: Daniela Svoboda

Altersbeschwerde Stellensuche

Arbeitskräftemangel hin oder her: Schweizer Firmen setzen immer noch auf die Jüngeren. Für ältere Stellensuchende ist die Arbeitssuche nach wie vor schwierig.

Nie hätte Michael Höchli, ehemaliger Chefanalyst bei der ZKB, gedacht, dass er einmal keine Arbeit finden würde. Aber mit genau diesem Problem ist er seit seiner Rückkehr aus Irland konfrontiert. Der 55-jährige Banker hat vor sieben Jahren seinen sicheren Arbeitsplatz als Finanzanalyst und Leiter einer Analystengruppe aufgegeben, um etwas Neues zu beginnen. In Irland war er daran, einen Weinfachhandel aufzubauen. Aus familiären Gründen entschloss er sich jedoch, wieder in die Schweiz zurückzukehren.
Mit grosser Zuversicht begab er sich auf Arbeitssuche. Mit seinem Leistungsausweis war er sich sicher, schnell eine Stelle zu finden. Nach drei Monaten, in denen er nur Absagen erhielt, war er tief enttäuscht und überzeugt, dass Ältere auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. «Im Raum Zürich herrscht der Jugendwahn.»

Viel Commitment, aber nur wenig konkrete Resultate
Michael Höchli ist kein Einzelfall. Trotz Arbeitskräftemangels in einzelnen Branchen bleibt es auch für gut qualifizierte ältere Stellensuchende schwierig, eine Stelle zu finden. Laut einer Studie von Manpower haben 37 Prozent der Schweizer Unternehmen Schwierigkeiten bei der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften. Nur 17 Prozent der Unternehmen geben jedoch an, gezielt ältere Mitarbeitende zu rekrutieren. Die Personalchefs setzen trotz der vorausgesagten Überalterung der Gesellschaft noch nicht auf diese Bevölkerungsgruppe.
Charles Bélaz, Generaldirektor von Manpower Schweiz, ist dennoch überzeugt, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Allerdings befinde man sich noch am Anfang der Entwicklung. «Die Kultur der Frühpensionierung ändert man nicht in drei Monaten, das braucht Jahre.» Den Unternehmen bleibe in Zukunft aber gar nichts anderes übrig, als umzudenken. Die Suche nach Arbeitskräften im Ausland stösst seiner Meinung nach bereits an Grenzen. Charles Bélaz bezeichnet die 55- bis 58-Jährigen denn auch als «starke Kategorie».
In den Schweizer Firmen ist von solchen Zukunftsszenarien noch wenig zu spüren. Fragt man bei Unternehmen nach, ob der demographische Wandel ein Thema sei, wird dies zwar überall mit Nachdruck bejaht. Die Überlegungen scheinen sich aber bis jetzt auf Konzepte und Arbeitspapiere zu beschränken. Bei der Post hat laut dem Pressesprecher Oliver Flüeler eine «Sensibilisierung» der Führungskräfte stattgefunden. Man versuche, ältere Mitarbeitende vermehrt in Projektarbeiten einzubeziehen. ABB wiederum hat seit zwei Jahren ein Arbeitspapier, das sich «Generation 50+» nennt. Das Ziel dieses Arbeitspapiers ist laut ABB-Sprecher Lukas Inderfurth, die Mitarbeitenden in den 15 Jahren bis zur Pensionierung weiter an die Firma zu binden. Erreichen möchte dies ABB mit «Wertschätzungen und gezielter Weiterbildung».
Zu Konkreterem als zu Konzepten ist man in den Schweizer Unternehmen aber noch nicht gekommen. Eine gezielte Rekrutierung von älteren Mitarbeitenden steht bei keiner der angefragten Firmen auf dem Programm.
Martina Zölch, Professorin für Personalmanagement und Organisation an der Fachhochschule Nordwestschweiz, beurteilt die Entwicklung in den Schweizer Unternehmen denn auch eher skeptisch. Von einem Umdenken würde sie nicht sprechen, eher von einem kleinen Trend. «Eine Sensibilisierung gegenüber dem Thema hat stattgefunden. Aber das heisst noch nicht, dass man auch wirklich handelt.» Durch den konjunkturellen Aufschwung seien die Ausgrenzungen wegen des Alters zwar kleiner geworden, sie seien aber immer noch vorhanden. Seit rund einem Jahr ist aber eine kleine Trendwende zu beobachten. Stellenvermittlungen und Arbeitsämter melden leichte Verbesserungen bei der Vermittlung von über 50-Jährigen. Adecco beispielsweise konnte 2006 und 2007 wieder mehr Ältere vermitteln. 2005 waren rund 12 Prozent der vermittelten Personen bei Adecco über fünfzig, 2006 stieg der Anteil der über 50-Jährigen auf 13 Prozent. Generaldirektor Michael Agoras rechnet damit, dass 2007 rund 14 Prozent der von Adecco vermittelten Personen über fünfzig sein werden. Trotz der leichten Verbesserung sieht er aber nach wie vor grosse Schwierigkeiten für diese Altersgruppe. «Das Alter bleibt ein Selektionskriterium.»
Die grössten Chancen auf eine Arbeit hat ein über 50-Jähriger laut Agoras, wenn er nicht arbeitslos ist. Möchte jemand aus eigenem Antrieb seine Stelle wechseln, dann sei das in der Regel problemlos möglich, und dann spiele das Alter auch keine Rolle. «Da kann man dann auch über sechzig sein.» Habe man seine Arbeit jedoch verloren, sei es trotz guter Qualifikationen schwierig, und das Alter spiele wieder eine Rolle.

Chancen gibt es dort, wo keine Jüngeren mehr zu finden sind
Peter Ziegler, 61-jährig und arbeitsloser Chemiker, hat genau diese Erfahrung gemacht. Seit über einem Jahr ist er auf Stellensuche, nach 250 Absagen und vier Bewerbungsgesprächen fällt es ihm schwer, nicht die Hoffnung zu verlieren. Mehrmals bekam er zu hören, dass er zu alt sei. Bei einem Stellenvermittlungsbüro sagte man ihm, dass hier über 40-Jährige nicht vermittelt werden könnten. Fachlich sei er zwar gut, hörte er bei einer anderen Absage, aber er komme wegen seines Alters nicht in die engere Auswahl.
Nicht erstaunt über diese Erfahrungen ist Walter Abderhalden, stellvertretender Leiter des Amts für Arbeit St.Gallen (AfA). Eine leichte Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt für ältere, gut qualifizierte Stellensuchende hat aber auch er festgestellt. Es würden tendenziell wieder mehr über 50-Jährige eingestellt, sagt Walter Abderhalden. Das Alter ist seiner Ansicht nach aber nach wie vor ein Risikofaktor. «Die Jüngeren haben stärker vom Aufschwung profitiert als die Älteren.»
Um 35 Prozent hat sich die Zahl der Stellensuchenden bei den unter 24-Jährigen im Vergleich zum Vorjahr reduziert. Bei den 24- bis 50-Jährigen hat die Zahl der Stellensuchenden um 19 Prozent abgenommen, bei den über 50-Jährigen sank sie um 14 Prozent.
Eine leichte Verbesserung, aber keine komplette Trendwende, so fasst Christian Breu, stellvertretender Leiter des RAV St.Gallen, die Situation für ältere Stellensuchende zusammen. Firmen und Unternehmen setzen trotz guter Konjunktur und Arbeitskräftemangel in einzelnen Branchen nicht auf die «Karte 50+». Über 50-Jährige werden nur dort vermehrt eingestellt, wo der Arbeitsmarkt bei den Jüngeren ausgetrocknet ist. Und dies ist laut Breu zurzeit vor allem in der Maschinenindustrie der Fall. «Wenn ein Polymechaniker jetzt zur Tür hereinkäme, dann wäre er keine 48 Stunden hier.» Das Alter würde in diesem Fall eher eine untergeordnete Rolle spielen. Im Dienstleistungsbereich dagegen sieht es laut Christian Breu ganz anders aus. Für kaufmännische Berufe und Stellen im Finanz- und Versicherungssektor gibt es genügend Stellensuchende, über 50-Jährige haben es da bedeutend schwerer.

Firmen interessieren sich mehr für Ruhestandsregelungen
Für Edgar Sidamgrotzki, Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit (AWA) im Kanton Thurgau, ist denn auch klar, dass die leicht zurückgegangenen Zahlen bei den älteren Stellensuchenden nur der Konjunktur zuzuschreiben sind. An der Einstellung in den Firmen hat sich seiner Meinung nach nichts geändert. Unternehmen würden immer noch bevorzugt Jüngere einstellen, da sie billiger und leichter zu «formen» seien. Edgar Sidamgrotzki fordert aus diesem Grund Diskussionen über die Rahmenbedingungen. Die Lohnnebenkosten dürften nicht zu einer Altersfalle werden.
Fragt man bei Firmen nach, ob das Alter eines Bewerbers eine Rolle spiele, dann erhält man überall die gleiche Antwort, ob es nun IBM, Swiss, ABB oder Zurich ist. Nicht das Alter sei entscheidend, sondern die Fähigkeiten, die der Stellensuchende aufweise. Bei allen angefragten Firmen war aber der Grossteil der in den letzten zwölf Monaten neu eingestellten Mitarbeitenden unter fünfzig. Bei IBM beträgt der Anteil der über 50-Jährigen bei den Neueintritten 10 bis 15 Prozent. Bei ABB sind rund 10 Prozent der neu Angestellten über fünfzig, bei Zurich waren in den letzten neun Monaten 5 Prozent der neuen Mitarbeitenden über fünfzig. Die CS erfasst laut eigenen Angaben die neuen Mitarbeitenden nicht nach dem Alter, die Swiss hat in den letzten zwölf Monaten niemanden über fünfzig eingestellt. «Es melden sich vor allem Jüngere auf die Stelleninserate», sagt der Personalleiter der Swiss, Marco de Dea. Den Grund dafür vermutet er unter anderem im Lohnsystem der Swiss. Bei der Fluggesellschaft gibt es keine nach Altersklassen abgestuften Löhne. Flight Attendants müssen dazu körperlich fit sein und keine Beschwerden aufweisen.
Lieber als über die Rekrutierung über 50-jähriger Stellensuchender sprechen die Personalverantwortlichen über die eigenen älteren Mitarbeitenden und deren Übergang in den Ruhestand. Flexible Pensionierung erscheint da als Zauberwort. Mehrere Unternehmen haben in den vergangenen ein, zwei Jahren Modelle erarbeitet, die Mitarbeitenden einen fliessenden Übergang in den Ruhestand ermöglichen. Bei Zurich können die Mitarbeitenden neu ab dem frühestmöglichen Pensionsalter stufenweise aussteigen. Ziel dieser Massnahmen ist es, die Mitarbeitenden dazu zu bewegen, länger zu arbeiten. «Wir möchten das Fachwissen der älteren Mitarbeitenden länger an uns binden», sagt der Personalchef von Zurich Schweiz, Chris Dunkel.

Lieber erfahrene Mitarbeitende im Unternehmen halten
Bei IBM bietet man seit Anfang dieses Jahres das Modell einer 50-prozentigen Teilrente an. Die Mitarbeitenden können eine Rente beziehen und gleichzeitig in einem 50-Prozent-Pensum weiterarbeiten. Der Personalchef von IBM Schweiz, Hans-Jürg Roth, sieht nur Vorteile in einem solchen Modell. Die Firma könne so auf das Fachwissen und die Fähigkeiten zurückgreifen, die sie brauche, und auch für die Mitarbeitenden sei dies ideal. Schliesslich hat das Modell auch finanzielle Vorteile. Hans-Jürg Roth: «Es ist deutlich aufwändiger, eine neue Person einzustellen, als einen erfahrenen Mitarbeitenden im Unternehmen zu halten.»
Das bekommt Michael Höchli zu spüren. Doch der ehemalige Chefanalyst bei der ZKB hat noch nicht resigniert. Vor zwei Monaten nahm er einen Aushilfsjob beim Flughafen an. Er sorgt dort zusammen mit anderen «rüstigen Senioren», wie es in der Stellenausschreibung heisst, für die Verschiebung von Waren zwischen Terminal und den Flugzeugen. Michael Höchli arbeitet im Schichtbetrieb vier Stunden pro Tag und erhält einen Stundenlohn von 25 Franken. Auf die Frage, ob er sich nicht für überqualifiziert für diese Arbeit halte, winkt er ab. «Sie müssen aufhören, so zu denken.»