«der arbeitsmarkt» 12/2012TEXT: Petra Zillig
Herbert Kuster

Mein Tag als Flohmarkthändler

«Mein Arbeitstag beginnt, wenn den Partygängern die Füsse schmerzen. Um zwei Uhr morgens klingelt mein Wecker. Die Flohmarktschätze sind bereits gepackt, und ich mache mich auf den Weg zum Helvetiaplatz in Zürich. Vor Ort hilft mir ein Freund, die Ware abzuladen. Ich fahre zurück und hole die zweite Ladung. Für einen 10-Meter-Stand braucht es schon ein paar Kisten. Um fünf Uhr gehe ich mit den anderen Stammhändlern frühstücken. Mit dabei ist meine Frau, die ihren eigenen Stand betreibt. Bereits mit 23 Jahren hängte sie ihre Stelle bei einer Versicherung an den Nagel, um professionell auf dem Flohmarkt zu handeln. So hat sich unser Business über die Jahre entwickelt. Ich war Lehrer, half aber in meiner Freizeit meiner Frau. Mit 58 Jahren sah ich den Zeitpunkt gekommen und liess mich frühpensionieren, um mich voll und ganz dem Händlerleben zu widmen.

Professionell betriebener Flohmarkthandel benötigt Vorbereitung. Ich verbringe während der Woche viel Zeit, um Häuser zu räumen – von verstorbenen Menschen oder solchen, die umziehen. Der Erfahrungswert in diesem Geschäft ist das grösste Kapital. Danach legen wir unsere Preise fest, liegen aber auch ab und zu falsch. Im Laufe der Jahre baute ich eine Stammkundschaft auf. Als Aussenstehender glaubt man kaum, was sich gut verkauft. Ich habe Kundschaft, die regelmässig bei mir das Toilettenpapier bezieht. Angefangene Alufolienrollen gehen weg wie warme Semmeln. Was nie mit auf den Markt kommt, sind jegliche Arten von Blumenkisten. Auch wenn diese neu sind, werfe ich sie weg, weil keine Nachfrage da ist. Antike Möbel liegen zurzeit nicht im Trend. Vor kurzem habe ich eine 3-Zimmer-Wohnung geräumt und sechs antike Möbel unter ihrem Wert verkauft. Statt 2000 Franken zahlte der Käufer nur 600 Franken.

Meine Kundschaft kann ich grob in fünf Kategorien einteilen. Zum einen die Sammler, die auf der Suche nach Schätzen sind, um ihre Sammlung zu erweitern. Die Schnäppchenjäger, die zulangen, weil die Ware doch so billig ist. Andere Händler, die Artikel günstig ersteigern, um sie teurer weiterzuverkaufen. Messies, die ihre Wohnung mit unnötigen Errungenschaften füllen. Ich kenne jemanden, der ständig Koffer kauft. Sein Keller quillt bereits über. Er besitzt zwischen 50 und 80 Stück. Dann sind noch die Menschen, die es gar nicht nötig haben, Schnäppchen zu machen, aber ständig in Angst leben, am anderen Tag arm aufzuwachen.

Mit den Händlern geschäfte ich am liebsten. Sie wählen mehrere Sachen aus, nennen einen Preis, und wir werden uns schnell einig. Das bringt zwar weniger Geld, ist aber effizient und unkompliziert. Ich mag es gar nicht, wenn die Kunden noch um ein oder zwei Fränkli handeln. Dann sage ich ihnen immer: «Du hast keine Kultur.» Das verstehen sie sofort. Es gibt auch Menschen, die den Flohmarkt nicht um des Kaufens willen, sondern wegen des sozialen Kontakts aufsuchen. Sie kommen an meinen Stand, schütteln mir die Hand und stolzieren über den Marktplatz, weil sie sich dazugehörig fühlen.

Ich habe schon öfters Leute völlig falsch eingeschätzt. Lange Zeit kam ein älterer Herr, der immer Ware zwischen 60 und 100 Franken kaufte. Er trug jedes Mal dasselbe Jacket und hatte fettige Haare. Er wollte mich zu sich nach Hause einladen, um mir seine Uhrensammlung zu zeigen. Das interessierte mich überhaupt nicht, weil ich schon einige gesehen hatte. Nach seiner vierten Einladung nahm ich an. Was dann kam, überraschte mich sehr. Der ungepflegte Mann logierte in einer grossen Villa mit Seeanstoss. Die Uhrensammlung war beeindruckend. Es waren Stücke dabei, die im Victoria Museum in London ausgestellt sind.

So verläuft mein Tag auf dem Flohmarkt, indem ich Bekannte begrüsse und um die Ware feilsche. Ich verkaufe alles. Nur wenn ich besondere Bücher finde, behalte ich diese. Ansonsten hänge ich nicht an materiellen Werten. Ich kann mich problemlos von allem trennen. Das ist der Fluss der Dinge.

Um ein Uhr packe ich bereits die Sachen ein, bei denen ich sicher bin, dass ich sie beim nächsten Mal verkaufen kann und ich mich nur mal im Preis vertan habe. Um drei Uhr pfeife ich zweimal, und danach ist alles am Stand gratis. Die Leute dürfen sich auf die Auswahl stürzen. Mein Arbeitstag endet um vier. Meine Frau und ich zählen das Geld. Pro Markttag ist es möglich, zwischen 400 und 800 Franken zu verdienen. Nach getaner Arbeit gehen wir chinesisch essen. Das ist unser Ritual. Dass wir uns früh ins Bett legen, versteht sich von selbst.»

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