«der arbeitsmarkt» 12/2007

Die Wurst des Anstosses

Der Cervelat verdankt seine charakteristische Krümmung Rinderdärmen. Diese stammten bisher zu achtzig Prozent aus Brasilien, von wo sie nicht
mehr importiert werden dürfen. Damit gerät unsere Nationalwurst in Gefahr.

Was in Deutschland die Currywust, in Österreich die Klobasse und in Italien die Mortadella, ist in  schweizerischen Landen der ­Cervelat. Er ist unumstritten die Schweizer Lieblingswurst, ja man kann ihn sogar als Schweizer Kulturgut bezeichnen. Rund die Hälfte der hierzulande konsumierten Brühwürste oder ein Drittel der gesamten Wurstproduktion wird in Form von Cervelats konsumiert. Bei der Migros zum Beispiel steht der Cervelat auf Platz eins der meistverkauften Schweizer Produkte. Kein Wunder, ging ein entsetzter Aufschrei vom Boden- bis zum Genfersee, als diesen Herbst in den Medien das nahe Ende des Cervelats verkündet ­wurde.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Nationalwurst für Schlagzeilen sorgt. Sie erregte nämlich schon vor mehr als hundert Jahren die Gemüter. Im so genannten Basler Wurstkrieg stand der Cervelat 1890 im Mittelpunkt eines Preisstreites zwischen Metzgern und der Bevölkerung. Die Basler Metzger erhöhten den Cervelatpreis, um die steigenden Schlachtviehkosten aufzufangen. Diese Aktion stiess aber auf grossen Widerstand. Eine Gruppe von Basler Demonstranten gründete gar einen Antiwurstverein und rief die Öffentlichkeit auf, keine Würste mehr zu konsumieren. Der Druck zeigte Wirkung, und die Metzger sahen sich gezwungen, die Preiserhöhung rückgängig zu machen.
Heute hängt die Zukunft des Cervelats an einem Darm. Seit in der Schweiz und der EU die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE), besser bekannt als Rinderwahnsinn, auftritt, werden 80 Prozent der für Cervelathäute verwendeten Rinderdärme aus Brasilien eingeführt. Gemäss Balz Horber, Direktor des SFF, haben die Brasilianer ihrerseits Zuchtrinder aus Europa eingeführt. In Brasilien verzichtet man aber im Gegensatz zur EU auf Überwachungsmassnahmen. Das hat dazu geführt, dass diese Rinderdärme den Anforderungen der EU in Sachen Hygiene nicht mehr genügen. Da die Schweiz ein bilaterales Abkommen mit der EU hat, ist sie abhängig von den EU-Entscheidungen. Die Hygienevorschriften werden mit denjenigen der EU gleichgesetzt. In einem Schreiben des Bundesamts für Veterinärwesen (BVET) steht: «Das Auftreten von BSE bei einheimischen Rindern in Brasilien […] wird aufgrund einer Neubeurteilung des wissenschaftlichen Lenkungsausschusses der EU nicht mehr als ‹sehr unwahrscheinlich› eingestuft.» Seit dem 1.April 2006 gilt für Rinderdärme ein Importstopp, obwohl in Brasilien noch kein Fall der Rinderseuche BSE aufgetaucht ist. Hingegen ist vereinzelt die Maul- und Klauen­seuche aufgetreten.
Noch werden Cervelats mit den «richtigen» Hüllen hergestellt. Das liegt daran, dass sich Därme gut lagern lassen. Ein grosses Lager mit Rinderdärmen aus Brasilien ist noch vorhanden. Die Därme aus Brasilien sind als Cervelathüllen optimal: Sie sind fettarm und ideal im Durchmesser. Deshalb ist die Wursthautbranche auf der Suche nach Alternativen. So einfach ist das Finden von neuen Darmexporteuren jedoch nicht. Laut Cathy Maret vom BVET fällt nach Brasilien auch Paraguay als Rinderdarmlieferant für den Cervelat weg. Da das Land es verpasst hat, sein Dossier bei der Weltorganisation für Tiergesundheit einzureichen, wird es vorerst nicht auf die Liste der BSE-unbedenklichen Staaten aufgenommen. Rinderdärme aus Argentinien und Uruguay wiederum eignen sich nur beschränkt, weil sie erstens zu fett und zu gross im Durchmesser sind, zweitens weil es nicht möglich ist, die Schweizer Qualitätsanforderungen in diesen Ländern durchzusetzen.
Laut dem Geschäftsführer der Max Ramp AG Natur- und Kunstdarm, Daniel Mäder, lohnt es sich zudem nur begrenzt, in Australien und Neuseeland in die Rinderdarm­produktion zu investieren, da diese Staaten keine traditionelle Darmgewinnung in diesem Bereich kennen und aufgrund der dort vorkommenden Rinderrassen auch keine geeigneten Därme vorhanden sind. Nur ein Teil vom Rinderdarm, nämlich das zum Kranzdarm gehörende Ileum, auch Hüftdarm oder Krummdarm genannt, könnte allenfalls BSE-Prionen enthalten.
Die USA importieren brasilianisches Rindfleisch ohne das Ileum. Um ein ähnliches Zulassungsverfahren bei der EU durchzubringen, ist SFF-Direktor Balz Horber nach Brüssel gepilgert. Dort musste er feststellen, dass die EU dringendere Probleme hat, als der kleinen Schweiz unter die Arme zu ­greifen. «Immerhin haben wir Verbündete gewonnen. Es wird sich deshalb etwas tun, die Marschrichtung zeichnet sich ab», weiss Balz Horber. «Die Gesetze werden flexibler. Aber der Zeitfaktor ist entscheidend.» Für Daniel Mäder handelt es sich schlicht um einen Wirtschaftskrieg: «Allen voran die Iren denken, dass die Brasilianer ihr Fleisch zu günstig verkaufen.» Als Folge schrumpfender Exporte musste Irland im Jahr 2001 Rindfleisch vernichten.
Eine Möglichkeit, die langsam knapp werdenden Rinderdärme zu ersetzen, ist, Schweinedärme zu benutzen, wie es etwa beim St.Galler Schüblig getan wird. Der Schweinedarm kann genauso gegessen werden wie der Rinderdarm. Der Nachteil ist aber, dass er weniger elastisch ist, schnell spröde wird und dass sich der ­Cervelat schlecht aus seiner Haut schälen lassen würde. Daniel Mäder sagt diesbezüglich: «Mit dem Schweinedarm würde der ­Cervelat, entgegen Befürchtungen seiner Liebhaber, nicht dünner und länger werden. Dafür wäre seine Oberfläche leicht struk­turiert.»
Eine andere Möglichkeit wäre, Kunstdarm zu verwenden. Daniel Mäder weiss: «Bis zu einem Durchmesser von 35 Millimetern ist es möglich, eine gebogene Wurst wie den Cervelat herzustellen. Ein Riesen-Cervelat hingegen wäre im Kunstdarm gerade. Cervelats im Kunstdarm bedeuten zudem einen massiven Verlust an Wurstkultur.» Dass sie unkontrolliert aufplatzen könnten und nicht mehr schön aussähen, spricht auch nicht gerade für die Version Kunstdarm. Würden Cervelats in Zukunft aus Kunstdärmen hergestellt, würden die Schweizer Volkswürste zudem teurer werden.
Das werden ihre Liebhaber wohl gern bezahlen, Hauptsache, sie bleiben uns erhalten. Und so düster sieht die Zukunft ja auch nicht aus. Balz Horber jedenfalls ist sich sicher: «Cervelats wird es weiterhin geben! Denn der Wurstinhalt bleibt ja gleich.» 

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