26.04.2017
FOTOS UND TEXT: Claudia Kienberger

Sabine Chavannes Bibliothek versprüht Fernweh. Sie reist auch daheim mit ihren Büchern in die Sahara.

Mein Tag als

Inhaberin von Indigo Reisen

Unter dem endlosen Sternenhimmel der Sahara hat Sabine Chavannes, 58, vor über 30 Jahren ihre Bestimmung gefunden. Was nach verklärender Romantik, verwunschenen Oasen und gefährlichen Abenteuern tönt, ist ihr Alltag. Mit Kameltrekkings in der Sahara verdient die Bernerin ihren Lebensunterhalt. 

«Die Sahara ist mein Zuhause.»

«Mein beruflicher Wirkungsort in Gümligen bei Bern ist zugleich mein Zuhause. Da ich kein öffentlich zugängliches Reisebüro habe, pflege ich meine Kundenbeziehungen am Telefon oder per E-Mail. Die Firmenwebsite ist meine einzige Werbeplattform. Ich bin an sieben Tagen die Woche für die Kunden erreichbar. Wenn ich Lust habe, in meinem Garten zu arbeiten, tue ich das und verschiebe zum Beispiel das Schreiben eines Reiseberichts auf später. Diese Freiheit schätze ich sehr.

Als ich vor 30 Jahren von einer Freundin ihre kleine Wüstenreisen-Kundenkartei aus der Not heraus übernahm, war mir nicht klar, was auf mich zukommen würde. Ich bin gelernte Buchhändlerin und hatte nicht geplant, ins Reisegeschäft einzusteigen. Die Faszination für die Wüste entdeckte ich beim Lesen entsprechender Literatur und später auf gemeinsamen Reisen mit meiner Vorgängerin.

Indigo Reisen entwickelte sich unerwartet erfolgreich. In den 90er-Jahren standen Menschen für Wüstenreisen in Libyen Schlange, heute verkauft sich Algerien wieder gut. Da sich die geopolitische Situation und die Sicherheitslage schnell ändern, habe ich mein Angebot immer wieder angepasst und um Mauretanien, Marokko, Tunesien, Ägypten, Tschad und Sudan erweitert. Das Reisegeschäft ist unberechenbar, deswegen arbeite ich alleine. Ich bin glücklicherweise in einer Nische tätig und biete ausschliesslich Kameltouren an. Etliche Reisebüros haben in der Vergangenheit ihre Wüstenreisen aus dem Programm gestrichen. Ich habe einen langen Atem und bin mit wenig zufrieden. Das hat mich die Wüste gelehrt.

Zwischen Oktober und April organisiere ich jeweils dreissig bis fünfzig Gruppen- respektive Individualreisen. Der persönliche und telefonische Kontakt zu meinen Kunden ist das A und O. Viele Menschen haben falsche Vorstellungen von einer Wüstenreise, und nicht jeder eignet sich für ein Kameltrekking. Die meisten Kunden sind Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, über 40, gebildet und oft wiederkehrende Wüstenfans. Meine Destinationen sind weder Last-Minute- noch Abenteuerreisen und nicht online buchbar. Die Organisation eines Trekkings ist zeitaufwendig: Die Kamele müssen Tage zuvor aus der Wüste vor Ort geholt werden. Die Route wird so geplant, dass die Tiere an den Rastplätzen genügend Weideflächen vorfinden und der Wasser- und Lebensmittelvorrat für die Gruppe unterwegs aufgefüllt werden kann.

Wer in der Wüste unterwegs ist, passt sich am besten den Kleidersitten an. Foto: ©Indigo Reisen

Ich werde oft gefragt, wie ich mir als Frau bei den Wüstenstämmen Respekt verschaffe. In Wirklichkeit ist es einfach, mit den Beduinen oder den Tuaregs zu verhandeln. Jeder ist froh, dass ich ihm Kunden und letztendlich Geld bringe. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, gehen respektvoll und höflich miteinander um. Ich kenne keine zuverlässigeren Menschen als die Nomaden. Ich spreche regelmässig – wenn möglich via Skype oder Mobile – mit meinen Partnern. Sie halten mich auch bezüglich der Sicherheit im Reisegebiet auf dem Laufenden. Wenn die Einheimischen kein gutes Gefühl haben, sagen sie es mir. Ich vertraue ihnen, denn die Sicherheit meiner Kunden ist das Wichtigste. Aus diesem Grund habe ich schon Trekkings annulliert. Unser europäisches Denken lasse ich schon lange zu Hause. Ich passe mich den Sitten an und habe nicht das Gefühl, ich wisse es besser als die Einheimischen.

Die Sahara ist für mich der schönste und abwechslungsreichste Ort mit einer Karawanenkultur. In der Wüste unterwegs zu sein, bedeutet für mich, zu Hause zu sein, Freiheit und Raum zu erleben. Ich fühle mich als Teil eines Ganzen: egal, ob ich in Südalgerien, Mauretanien oder im Tschad unterwegs bin. Die Wüste auf dem Kamel oder zu Fuss zu durchqueren, ist für mich so vertraut wie mein Leben hier.

«Andere reinigen sich beim Psychologen, ich reise in die Sahara.»

Leider ist es mir aus Zeitgründen nicht möglich, jedes Trekking zu begleiten, aber ich versuche, alle zwei Monate mitzureisen. Das persönliche Wiedersehen ist nicht nur für meine Partner vor Ort wichtig, sondern auch für meine Gäste. Es gibt Kunden, die schliessen sich nur dem Trekking an, wenn ich dabei bin. Ich muss nach einer gewissen Zeit zurück in die Wüste, weil mir die Weite und die gutgelaunten Nomaden fehlen: Andere reinigen sich beim Psychologen, ich reise in die Sahara. Trotz meiner Leidenschaft für die Wüste könnte ich nie in einer Oase leben. Ins Kino gehen oder in einem Buchladen stöbern, geniesse ich hier ebenso wie die funktionierende Infrastruktur.

Ich möchte Indigo Reisen so lange wie möglich betreiben, denn ich stelle es mir furchtbar vor, nicht mehr zu arbeiten. Ideen habe ich viele: Ich würde gerne die iranische Wüste ins Programm aufnehmen, aber ich stosse derzeit an meine Kapazitätsgrenzen.

Ich bin sehr dankbar, dass ich damals meiner Bestimmung gefolgt bin und genau das mache, was mich beglückt. Denn die Wüste ist mein Leben.»

Sitzecke wie bei den Nomaden. Im Bildband Tuaregfrauen mit traditionellem Gesichtsschmuck.