Veröffentlicht am 06.11.2013FOTO UND TEXT: Nicola Mohler

Israelische Soldaten patrouillieren im Westjordanland.

Die Welt verändern 

Nicola Mohler
Journalistin «der arbeitsmarkt»

Ich sitze in der hauseigenen Bar. Wie jeden Freitag machen wir ein Barbecue, um die Woche ausklingen zu lassen. Es ist mein zweiter Freitag in meinem vorläufigen Heim im Westjordanland. Hier im Compound einer internationalen Beobachtungsmission esse ich nicht nur, sondern ich schlafe, arbeite, wasche meine Wäsche und treibe Sport.

Ich sitze nun an diesem Ort und fühle mich klein. Klein deshalb, weil meine neuen Kollegen von ihren vielen vorausgegangenen Auslandeinsätzen erzählen. Da plaudert Luigi von seinen Missionen im Irak, Afghanistan und dem Kosovo. Oder Rafel, der in Nepal und in Kolumbien als Entwicklungshelfer tätig war. Auch Sven sitzt mit am Tisch, der wie ich seinen ersten Auslandeinsatz angetreten ist. Hier lerne ich viele spannende Menschen kennen, mit deren Geschichten ich mich vollsauge.

Die Welt verändern. Das wollte ich auch. Deshalb habe ich mich, wie hunderte von anderen Hochschulabgängern, bei der UNO und diversen internationalen Organisationen beworben.

Nach verschiedenen unbezahlten Praktika im Nahen Osten schickt mich mein erster richtiger Arbeitgeber ins Westjordanland. Mit dem Wissen, dass ich keinen Frieden in den lang andauernden Konflikt bringe, gehe ich raus ins Feld. Aber irgendwo verhakt sich die Hoffnung in meiner Hirnrinde: Doch, ich kann zur Verbesserung der Situation beitragen. Nostalgisch erinnere ich mich heute an meinen Einsatz in den besetzten Gebieten zurück, daran wie lebendig ich mich fühlte, wie alles irgendwie Sinn machte.

Doch je länger ich vor Ort war, desto kritischer wurde ich: Können Hilfsorganisationen wirklich etwas bewirken oder wollen sie nicht einfach ihre Präsenz markieren und ihr Budget für das nächste Jahr sichern? Was bringt die Arbeit wirklich? Profitieren tatsächlich die Richtigen von der Hilfe?

Während der Arbeit in einem Konfliktgebiet wird die dort vorherrschende Realität zur Normalität. Das macht – obwohl es furchtbar ist – Sinn und schützt vor Wahnsinn.

Die hohe Waffenpräsenz ertrage ich zu Beginn nur schwer. Nach einer Woche schaltet mein Gehirn um, das Herz schlägt nicht mehr so schnell. Dass ich Waffen vor mir sehe, hinter mir spüre oder unter den Kleidern antizipiere, gehört kurz nach meiner Ankunft zum Alltag. Ich stehe zum ersten Mal vor der heiligen Stätte, wo Abraham begraben liegt; links ein bewaffneter Checkpoint, rechts von mir israelische Touristen, die zum Schutz Waffen tragen. Nervös bin ich, mir ist ein bisschen mulmig zumute. Zwei Wochen später stehe ich am gleichen Ort. Von Nervosität keine Spur. Dies ist die Realität. Ungerechtigkeit und Gewaltbereitschaft sind die neue Normalität. Besuchen mich Freunde, die empört von den Umständen sind, dann sehe ich kurz wieder klar. Doch bald darauf dominiert mich wieder die Normalität, die keine sein sollte.

Ein paar Monate nach meinem Einsatz geschieht etwas, das sich tief in meine Haut brennt. Ich bin im Auto in der Nähe von Florenz Richtung Rom unterwegs, als ich kurz vor Mitternacht eine SMS erhalte: Sven ist tot.
Übelkeit überkommt mich. In Rom angekommen, würge ich meine ganze Wut und Trauer aus meinem Magen. Er, der nach Mazare Sharif ging, um am Aufbau eines Rechtsstaates in Afghanistan mitzuhelfen. Sein Engagement bezahlte er mit seinem Leben. Nachdem ein Amerikaner einen Koran verbrannte, stürmten verärgerte Muslime das UNO-Gebäude vor Ort. Sven war zur falschen Zeit am falschen Ort.

Seit diesem Vorfall frage ich mich: Wieso eine Arbeit verrichten, die vielleicht gar nicht willkommen ist? Natürlich schätzt die Mehrheit der Bevölkerung, die von den Geldern der Entwicklungs- und Friedenspolitik profitiert, dass sie Brunnen gebaut kriegen oder über ihre Rechte aufgeklärt werden. Doch nicht alle sind damit zufrieden. Einige fühlen, dass ihnen eine vom Westen als richtig empfundene Praxis übergestülpt wird. Wer hat denn nun recht?

Die Arbeit in einem Konfliktgebiet erlebte ich als spannend, bereichernd – und sehr frustrierend. Dort, wo ich das Leben intensiver fühlte, kommen Fremde zusammen, teilen ihr Leben für eine bestimmte Zeit und gehen wieder. Sie bewegen sich nicht in der lokalen Gesellschaft, sondern meist in einer internationalen Blase. Ich verstehe, dass dieser spezielle Lebensstil zur Sucht werden kann. Auch ich bin ihm verfallen. Doch nach rund vier Monaten hatte ich mich vollgesogen mit den spannenden Geschichten meiner Kollegen, hatte keine Energie mehr, jedem neuen Gegenüber meine Lebensgeschichte zu erzählen. Ich wurde müde und sehnte mich nach meinen Freunden, denen ich mich nicht erklären musste.

Mein Auslandeinsatz war einmalig, aufregend und lehrreich. Er hat mir Einblick in eine internationale Welt gegeben. Mein Einsatz lässt mich meinen anfänglichen Wunsch, die Welt zu verändern, kritisch hinterfragen. Stehen bei den zahlreichen Auslandeinsätzen internationaler Organisationen tatsächlich die Armen im Zentrum oder überwiegt die eigene Profilierung?

Der Erdball braucht Menschen, die weiterhin an die Wichtigkeit dieser Arbeit glauben und sie ausführen. Auch ich will noch immer die Welt zu einem besseren Ort machen. Aber in einem kleineren Rahmen.