Veröffentlicht am 27.08.2013TEXT: Sidonia HämmigFOTO: Romed Fritsche

Die Suche nach Ausgeglichenheit

Sidonia Hämmig
Journalistin «der arbeitsmarkt»

Flughafen Zürich, der erste Tag meiner Ferien. Ich sitze im Wartebereich und schreibe das letzte E-Mail für die Arbeit. Nachher, denke ich, bin ich entspannter und kann den Urlaub geniessen. Meine Reisebegleitung schaut mich verständnislos an und hält mich für einen Workaholic. Ich versuche zu erklären, dass ich unbedingt noch heute eine Antwort geben muss. Davon hängt ab, ob das Treffen klappt oder nicht. Für diesen Termin habe ich stundenlang recherchiert und befürchte nun, eventuell doch die falsche Expertin gefunden zu haben, dass das Interview nicht das gewünschte Ergebnis bringt, dass der Redaktionsschluss näher rückt und ich keinen Text habe. Diese Gedanken lassen mich auch während des Urlaubs nicht ganz los und so komme ich zurück und habe das Gefühl, dass ich nicht richtig weg war. Obwohl ich extra nach Bali ging, um wie Julia Roberts im Film «Eat Pray Love» meinen inneren Frieden zu finden. Nach den Ferien verläuft zwar nicht alles reibungslos, aber am Ende habe ich doch einen Text und das ganze Grübeln hat sich nicht gelohnt.

Nach mehreren Gesprächen merke ich, ich bin nicht alleine mit diesem Problem. Eine Freundin zum Beispiel brauchte in den Ferien mehrere Tage, bis sie abschalten konnte. Eine andere beantwortet sowieso auch geschäftliche E-Mails während des Urlaubs. Dass dies auf die Dauer nicht gesund sein kann, ist allen klar. Doch das Abschalten fällt schwer, vor allem Personen, die sehr gewissenhaft sind und sich Fehler nur schwer verzeihen können.

Damit Angestellte für die Arbeit neue Kräfte haben, sind Phasen des Ausgleichs jedoch wichtig. Experten raten, dass sie die Bereiche Ernährung, Bewegung und Entspannung in der Freizeit gleichberechtigt berücksichtigen sollten. Gut wäre, jedem Bereich zwei Stunden am Tag zu widmen. Sie raten, diese Zeiten bewusst einzuplanen und mit sozialen Kontakten zu verbinden. Doch wer bitteschön, stellt mir diese sechs Stunden zur freien Verfügung? Ich weiss ja nicht, wie das andere machen, aber ich kriege das nicht auf die Reihe. Ich versuche daher, während des Essens zu entspannen oder zähle die kurze Velofahrt vom Bahnhof nach Hause als Bewegung. Das Schummeln ist mir bewusst. Doch wenn ich einen Abend unter der Woche mit einer Freundin ein Feierabendgetränk geniessen kann, bin ich meinem Ziel schon näher: Beim Balanceakt zwischen Arbeit und Freizeit nicht auf die falsche Seite zu kippen.

Mein ultimatives Rezept gegen das Gedankenkarussell ist jedoch Riverrafting. Nur widerwillig stimmte ich in den Ferien dazu ein, eine solche Tour zu machen. Den ganzen Tag war ich nicht sicher, ob ich diese Spinnerei für Adrenalinjunkies am Ende überleben werde. Ich bin so konzentriert, dass ich sonst nichts denken kann. Der Schluss der Tour bildet eine Stromschnelle, die vier Meter steil in die Tiefe stürzt. Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal solche Angst hatte. Ungläubig frage ich, ob ich nicht am Ufer entlang hinunterlaufen kann. Das geht nicht. Als der Guide das Boot langsam nach vorne stösst, liege ich darin, halte mich an den Schnüren fest und schaue in den Himmel, innerlich betend fahren wir bergab, das Wasser klatscht über meinen Kopf, ich schliesse erschrocken die Augen und schon ist der Spuk vorbei. Ich bin so erleichtert, dass ich das Gefühl habe, jetzt kann ich alles schaffen. Das Ganze ist für mich eine Grenzerfahrung, daher wirkt die Arbeit plötzlich viel weniger wichtig.

Ich muss jedoch nicht immer eine Extremsportart ausprobieren. Was mir auch hilft, ist die Erkenntnis, dass ich Abschalten darf. Denn das viele Überlegen in den Ferien führte im Nachhinein gesehen auch zu keiner neuen Lösung. Auch wenn ich im Moment keine feste Stelle habe, dadurch sehr abhängig bin und viel Zeit in die Planung meiner Zukunft investieren muss. Ich darf mir trotzdem Zeiten herausnehmen, in denen ich eine sinnfreie Sendung im Fernsehen schaue, mich durch Youtube hindurchklicke oder am Wochenende Pedalo fahren gehe. Und das ohne Gedanken daran, was alles in Zukunft oder bei der Arbeit schiefgehen könnte. Sondern mit dem positiven Erlebnis im Hinterkopf, dass ich sogar eine vier Meter lange Stromschnelle hinuntergestürzt bin und weiss, wenn ich das geschafft habe, schaffe ich noch vieles andere auch.