Veröffentlicht am 26.09.2012TEXT: Marion RoncaFOTO: Johny Nemer

Eigenständigkeit und Herausforderung sind Schweizer Stellensuchenden wichtig.

Was Schweizer Arbeitnehmende wollen

mr. In der Schweiz zeigt über die Hälfte aller Angestellten nicht vollen Einsatz im Job. Warum das so ist, wie Unternehmen das Engagement ihrer Mitarbeitenden fördern können und was den Beschäftigten wichtig ist, beleuchtet die Global Workforce Study 2012.

Der Erfolg eines Unternehmens hängt nicht wenig von seiner Fähigkeit ab, gute Leute anzuwerben und ihr Engagement dauerhaft zu sichern. Dazu müssen Arbeitgeber eine genaue Vorstellung davon haben, welche Arbeitsbedingungen auf dem Markt als attraktiv gelten.

Die global tätige Unternehmens­beratung Towers Watson veröffentlicht unter dem Titel «Global Workforce Study» alle zwei Jahre eine Studie über Gewinnung, Bindung und Engagement von Mitarbeitenden. Darin zeigt Towers Watson auf, was Arbeitnehmende wollen und mit welchen Mitteln sie sich für die Unternehmensziele gewinnen lassen.

In der aktuellen Studie für das Jahr 2012 wurden weltweit über 32 000 Lohnempfänger befragt. Zwei Befunde dominieren den Bericht: Als Folge der Wirtschaftskrise zählen Arbeitsplatzsicherheit und Grundgehalt wieder verstärkt zu den Attraktivitätskriterien. Und: In der Schweiz und in Europa ist über die Hälfte der Arbeitnehmenden im Job nicht engagiert.

Was sie anzieht …

Ob Bewerberinnen und Bewerber eine Stelle als attraktiv empfinden, entscheiden in Europa vor allem zwei Kriterien: die Grundvergütung und die Arbeitsplatzsicherheit. In der Schweiz kommen laut der Erhebung von Towers Watson noch zwei weitere Kriterien hinzu: das Mass an Eigenständigkeit im Job und die Aussicht auf eine herausfordernde Tätigkeit.

Die Verfasser erklären diese Abweichung vor allem mit den unterschiedlichen Arbeitsmarktsituationen. Der Vergleich der Arbeitslosenraten Spaniens (25 %), Griechenlands (23 %), Irlands (15 %), Frankreichs (10 %) und Italiens (11 %) mit derjenigen der Schweiz (2,8 %) gibt ihnen recht. Der Schweizer Fokus auf Eigenständigkeit und Herausforderung dürfte tatsächlich weniger dem helvetischen Eigensinn anzurechnen zu sein als dem realen Spielraum bei der Jobsuche.

Vergleicht man die Ergebnisse der Global Workforce Study 2012 mit denjenigen von 2005, lässt sich definitiv bestätigen, dass das Bedürfnis der europäischen Arbeitnehmenden nach Arbeitsplatzsicherheit mit der Wirtschaftskrise zusammenhängt. 2005 erachteten nämlich Beschäftigte aus Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien und Holland noch unisono «eine herausfordernde Tätigkeit» als wichtigsten Aspekt bei der Jobsuche.

… und warum sie bleiben

Ein etwas anderes Bild geben die Kriterien ab, die darüber entscheiden, ob es einem Unternehmen gelingt, seine Mitarbeitenden an sich zu binden. Laut der aktuellen Studie sind sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weltweit einig, dass die Höhe der Grundvergütung, die Karrieremöglichkeiten, das Verhältnis zum Vorgesetzten und die Arbeitsplatzsicherheit sie zum Bleiben oder zum Gehen veranlassen.

Anders als bei der Personalgewinnung entscheiden also bei der Bindung global traditionelle Werte. Auch in der Schweiz: «Obwohl die Wirtschaftslage in der Schweiz im Gegensatz zum Ausland recht stabil ist, werden offensichtlich auch bei uns Mitarbeiter von Existenzängsten geplagt», erklärt Hans Münch, Senior Manager bei Towers Watson Schweiz.

Vergleicht man die Kriterien der Arbeitnehmerbindung von 2012 mit denen von 2005, zeigt sich, dass sich auch in diesem Bereich ein massiver Prioritätenwandel vollzogen hat. Vor der Finanzkrise betrachteten europäische Arbeitnehmende noch «das ernsthafte Interesse des Top-Managements am Wohlbefinden der Mitarbeiter» als wichtigstes Kriterium.

Wer alles gibt, wer nicht und warum

Und wie steht es mit dem Engagement der Arbeitnehmenden? Die Annahme, dass die Angst vor Jobverlust sie seit der Finanzkrise zu Höchstleistung antreibt, wäre naheliegend. Doch weit gefehlt: Gemäss den Ergebnissen von Towers Watson sind in der Schweiz nur gerade 49 Prozent der Beschäftigten engagiert. Der europäische Schnitt bringt es gar auf 48 Prozent. Global ist die Lage nicht ganz so dramatisch. Dank der Motivation der Arbeitnehmenden in den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens und Südamerikas gelten weltweit 57 Prozent der Beschäftigten als engagiert.

Bedenkt man, dass in der Workforce Study 2012 nicht nur alle Sektoren und Branchen berücksichtigt wurden, sondern auch sämtliche Hierarchiestufen, ist dieser Befund alarmierend. Towers Watson zufolge ist die hohe «innere Kündigungsrate» vor allem auf die Unzufriedenheit der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen und dem Management zurückzuführen. Von den Arbeitnehmenden, die sich selbst als nicht engagiert bezeichnen, sollen nur gerade 15 Prozent der Ansicht sein, das Topmanagement habe ein ernsthaftes Interesse am Wohlbefinden der Mitarbeiter. Von den Engagierten glauben dies 68 Prozent.

Brachliegendes Potenzial nutzbar machen

Für Towers Watson gibt es verschiedene Möglichkeiten, das brachliegende Potenzial der nicht engagierten Mitarbeitenden für das Unternehmen und seine Ziele (wieder) nutzbar zu machen. Dabei unterscheidet die Unternehmensberatung zwischen Strategien, die die Orientierung und Führung der Mitarbeiter betreffen, und solchen des Stressmanagements.

Für eine bessere Führung der Mitarbeitenden empfiehlt Towers Watson unter anderem eine offene und transparente Kommunikationskultur: Arbeitgeber sollten sich im Erklären des Lohnsystems, der Karriere-, Lern- und Weiterbildungs­möglichkeiten und dem Wert der Gesamtentschädigung verbessern. Nach dem Prinzip «reden kostet nichts» sollen sie die Arbeitnehmenden also mit Überzeugungsarbeit dazu bringen, ihre Arbeitssituation als besser zu empfinden als bisher.

Im Bereich des Stressmanagements empfiehlt Towers Watson eine strategische Personalplanung anstelle von herkömmlichen Massnahmen wie Stellenabbau oder Lohnkürzungen. Auf diese Weise können heikle Themen wie Arbeitsplatzsicherheit und Grundvergütung vermieden werden. Dank flexibleren Beschäftigungsmodellen wie Sabbaticals, Kurzarbeit und Teilzeitpensen könnten auf lange Sicht gleichfalls die Lohnkosten gesenkt werden, ohne die Mitarbeitenden zu verunsichern.

Towers Watson

Die Unternehmensberatung Towers Watson bietet Dienstleistungen im Bereich HR-, Finanz-, und Risikomanagement an. Sie beschäftigt weltweit rund 14 000 Mitarbeitende. In der Schweiz unterhält Towers Watson Niederlassungen in Zürich und Lausanne, der Hauptsitz befindet sich in New York.

Die Global Workforce Study wird alle zwei Jahre durchgeführt. Für die Ausgabe von 2012 wurden mehr als 32 000 Mitarbeiter in 28 Ländern befragt, in der Schweiz mehr als 750.

Die Global Workforce Study 2012 ist kostenpflichtig. Ältere Ausgaben der Studie finden sich auf der Website der Unternehmensberatung Towers Watson.