Veröffentlicht am 24.02.2014TEXT: Vanessa KuhnFOTO: Simone Gloor

Bangen um Filmförderung

Das Abstimmungsergebnis vom 9. Februar zur SVP-Zuwanderungsinitiative hat weitreichende Konsequenzen. Nicht nur Forschungsprojekte wurden auf Eis gelegt, auch Kulturschaffende spüren die Auswirkungen.

Auf Schweizer Filmschaffende könnten harte Zeiten zukommen. Sowohl die Filmförderung als auch die Weiterbildung stehen auf dem Spiel. Die Beteiligung der Schweiz beim europäischen Filmförderungsprogramm MEDIA (siehe Kasten) hängt vom Ausgang der Verhandlungen mit der EU ab.

Nach dem Abstimmungsergebnis vom 9. Februar hat die Schweiz die Verhandlungen mit Kroatien zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit ausgesetzt. Dies wiederum hat die Europäische Kommission veranlasst, die Schweizer Teilnahme an bestimmten Forschungs- und Kulturförderprogrammen in Frage zu stellen. Solange die Schweiz das Zusatzprotokoll zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien nicht ratifiziert, ist auch die Filmförderung ungewiss.

Fördergelder gestoppt

Corinna Marschall ist Geschäftsführerin von MEDIA Desk Suisse. Bei ihr laufen die Fäden der Schweizer Filmschaffenden im Bezug auf Anträge und Finanzierungen zusammen. «Von diesen Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz hängt sehr viel ab. Brüssel nimmt im Moment keine Anträge von Schweizer Filmschaffenden an. Die ganze Filmbranche in der Schweiz ist betroffen, von der Drehbuchentwicklung bis zum Verleih. MEDIA bietet aber auch Weiterbildungen an, die rege genutzt wurden. Sie sind wichtige Bausteine für die Vernetzung der Filmschaffenden untereinander.»

In der Regel übernimmt MEDIA maximal 50 Prozent der Gesamtkosten eines Filmprojekts. Den anderen Teil der Finanzierung muss der Antragsteller garantieren. Die Förderbeiträge des MEDIA-Programms sind nichtrückzahlbare Zuschüsse. Das Gesamtbudget des Programms für die Jahre 2007 bis 2013 betrug 755 Millionen Euro. Auch die Schweiz zahlte im Rahmen der Bilateralen Abkommen II einen Beitrag in diesen Topf ein und profitierte zwischen 2006 und 2012 von ingesamt 24 Millionen Franken an Fördergeldern. 

«Slate Funding»

Filmschaffende arbeiten zusammen. Viele Projekte sind Co-Produktionen, die vor Grenzen keinen Halt machen. Ein Bestandteil der Unterstützung ist das sogenannte «Slate funding» für europäische Projekte mit hohem künstlerischem Wert und kultureller Vielfalt. «Durch den Beitrag, den die Antragsteller bekamen, konnten sie drei bis fünf Projekte parallel bearbeiten. Sollte eines nicht realisierbar sein, war das nicht so schlimm. Dadurch kommen nur die besten Filme ins Kino», sagt Corinna Marschall. «Gerade für die in der Schweiz meist kleinen und mittleren Produktionsfirmen bietet die Paketförderung ‹Slate funding› eine grössere Planungssicherheit. Die Schweiz hat dazu kein Alternativmodell.» 

Vielfalt in Gefahr

Die Verleiher, die europäische Produktionen in die Kinos bringen, hat das MEDIA-Programm bis anhin ebenfalls unterstützt. Als Konsequenz des Verhandlungsstops mit Brüssel ist diese finanzielle Hilfe zurzeit für Schweizer Verleiher nicht abrufbar. «Durch die Beiträge konnte ein vielfältiges Angebot von Filmen in den Kinos gewährleistet werden. Die Konkurrenz durch Filme aus den USA ist enorm. Sie verfügen über sehr hohe Marketingbudgets. Ohne die Fördergelder können wir dieser grossen Konkurrenz nichts entgegensetzen», führt Corinna Marschall aus. «Arthouse-Filme sind ein wichtiger Bestandteil im Schweizer Angebot.» In der Schweiz wird jede dritte Kinokarte für einen europäischen Film gekauft.

Ungewisse Zukunft

Filmfestivals wie Locarno oder das Dokumentarfilmfestival in Nyon sind ebenfalls betroffen. «Seit Jahren wurden diese Filmfestivals unterstützt und sie rechnen mit diesen Geldern. Das heisst, Locarno und auch Nyon werden Programmpunkte streichen müssen, weil Geld fehlt. Wie die Auswirkung genau sein wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar», sagt Corinna Marschall.

Momentan dürfen Schweizer Filmschaffende keine Anträge bei der EU stellen. Corinna Marschall kann nicht abschätzen, wie lange der Prozess dauern wird. «Bis dahin müssen wir versuchen, eine Lösung für die Schweizer Filmindustrie zu finden. Auf jeden Fall versuchen wir die Gelder zu sichern, die für Filmschaffende bis anhin zur Verfügung standen.»

Laut dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung konnten zwischen 2006 und 2012 mit Hilfe von MEDIA 114 Schweizer Projekte von 36 Produktionsgesellschaften aus drei Sprachregionen durchgeführt werden. 250 Filmschaffende haben in diesem Zeitraum an einer MEDIA-Weiterbildung teilgenommen. 

Das MEDIA-Programm wurde 1991 gegründet und laufend den Bedürfnissen der Filmschaffenden angepasst. «Creative Europe» heisst das neue europäische Rahmenprogramm für die Bereiche Audiovisuelles und Kultur, in das MEDIA seit Januar 2014 integriert ist. Das Ziel ist, die Filme ausserhalb ihres Herkunftslands zu verbreiten, die Filmschaffenden zu qualifizieren, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Audiovisionsbranche zu steigern und neue Publikumsgruppen zu gewinnen. Das Programm hat die Europäische Kommission eingerichtet.
Verteilung des Geldes (Planung 2014, in Euro)
Produktion: 33,3 Millionen
Promotion: 15,82 Millionen
Distribution: 37,6 Millionen
Screening: 10,5 Millionen
Training: 7,5 Millionen
Insgesamt sind 30 europäische Länder Mitglied. Die Teilnahme der Länder, die nicht der EU angehören, hängt jeweils von der Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens ab.

Die fünf erfolgreichsten Schweizerfilme (1975 bis 2012)
1.     «Die Schweizermacher» (1987) von Rolf Lyssy, Fiction
2.     «Achtung, fertig, Charly!» (2003) von Mike Eschmann, Fiction
3.     «Die Herbstzeitlosen» (2006) von Bettina Oberli, Fiction
4.     «Mein Name ist Eugen» (2005) von Michael Steiner, Fiction
5.     «Les petites Fugues» (1979) von Yves Yersin, Fiction
Der Box-Office-Anteil der Schweizer Filme betrug 2013 laut Bundesamt für Statistik 8,5 Prozent 
(Quelle: swiss audiovisual guide 2013/14)