Veröffentlicht am 15.01.2009TEXT: Philipp Gafner

Flüchtlingsanlehre bleibt Edelprojekt

phg. Das erfolgreiche Modell der Flüchtlingsanlehre des Bundesamts für Migration soll die Arbeitslosenquote von anerkannten Flüchtlingen senken. Doch es hinterlässt in den Kantonen noch kaum Spuren.

Die Schweiz erfreut sich grosser Beliebtheit als Asylland: 6588 Menschen wurden im Jahr 2008 als Flüchtlinge anerkannt oder vorläufig aufgenommen, wie das Bundesamt für Migration diese Woche bekannt gab. Was wollen diese Leute? Schutz und ein besseres Leben. Was sollen diese Leute? Arbeiten! - meint alt Bundesrat Christoph Blocher. Doch nur jeder vierte Flüchtling in der Schweiz fand in den vergangenen Jahren eine Arbeit. Entrüstet über die hohe Arbeitslosigkeit unter den Flüchtlingen beauftragte der damalige Departementsvorsteher das Bundesamt für Migration (BFM) mit einer neuen Arbeitsmarktmassnahme - der «Flüchtlingsanlehre».

2006 startete das BFM unter anderem in Zusammenarbeit mit Wirtschafts- und Branchenverbänden sowie den kantonalen Flüchtlingskoordinatorinnen und -koordinatoren das Pilotprojekt. Die «Flüchtlingsanlehre» bezweckte, anerkannte Flüchtlinge sowie vorläufig Aufgenommene in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren und Erkenntnisse über die berufliche Integration von Flüchtlingen zu gewinnen. Im September 2008 wurde es mit einer Evaluationsstudie abgeschlossen.

Die Erkenntnis: Sprache, Bildung und Arbeitsmarktwissen sind Schlüsselfaktoren für eine gelungene berufliche Integration. Der Erfolg: 51 Flüchtlinge nahmen an drei Ausbildungsprojekten zur beruflichen Qualifizierung und zur Sprachförderung in den Bereichen Hotellerie und Gastronomie, Logistik, Bau, Haushalt und Verkauf teil. Laut BFM fand jede und jeder zweite Teilnehmende im Anschluss eine Stelle. Diese Erwerbsquote überstieg die Erfahrungswerte von rund 25 Prozent in den Vorjahren um das Doppelte. Die Kosten: Über eine Million Franken oder gut 20 000 Franken pro Teilnehmende.

Integrationsförderung à la Föderalismus

Mit solcher Kelle können die Kantone keinesfalls anrichten. Die Umsetzung der Empfehlungen aus dem Pilotprojekt des Bundes obliegt den Kantonen. Sie erhalten vom BFM für jeden anerkannten Flüchtling und für jede vorläufig aufgenommene Person eine jährliche Integrationspauschale von 6000 Franken, was im letzten Jahr rund 36 Millionen Franken ausmachte. Diese pauschale Abgeltung der Integrationskosten löste die Beiträge an Einzelprojekte ab, die der Bund bis Ende 2007 an die Kantone ausrichtete.

Wie viele Kantone das Modell der «Flüchlingsanlehre» eingeführt haben, weiss derzeit niemand genau. Bei der Konferenz der Kantonsregierungen hat man keinen Überblick über die kantonalen Massnahmen und Aktivitäten in diesem Bereich. Für Thomas Minger, Leiter Innenpolitik bei der Konferenz der Kantonsregierungen (KDK), macht das Pilotprojekt des BFM insofern Sinn, als es «die Best Practice gewisser Kantone mit hoher Erwerbsquote untersucht und unterstützt hat. Daraus resultierten Empfehlungen für die anderen Kantone, die so den Erfahrungsvorsprung nutzen können.» Von Kanton zu Kanton gebe es heute sehr unterschiedliche Aktivitäten zur Berufsintegration der Flüchtlinge und man betreibe sie verschieden intensiv.

Verheissungsvoller Ansatz für Integration

Im Kanton Graubünden zum Beispiel arbeiteten Ende 2005 rund 7 Prozent der Flüchtlinge, aktuell sind es knapp 20 Prozent. Doch das ist keine Folge der «Flüchtlingsanlehre», die im Bündnerland noch nicht zum Einsatz kam. «Aufgrund der geringen Anzahl von Flüchtlingen - durchschnittlich rund 36 Anerkennungen über die letzten 10 Jahre - entwickelte der Kanton bis vor kurzem keine zielgruppenspezifischen Projekte zur beruflichen Integration», sagt Patricia Ganter, die kantonale Integrationsdelegierte. Der Kanton suchte individuelle Lösungen in bestehenden Beschäftigungs- und Arbeitsprogrammen. Doch das soll sich nun ändern. Ganter beurteilt das Pilotprojekt des BFM, an dem ihr Kanton nicht teilgenommen hat, als wertvoll: «Das Pilotprojekt bietet einen verheissungsvollen Ansatz für die Integrationsförderung von Flüchtlingen.» Dies betreffe vor allem den Spracherwerb, die berufliche Qualifizierung und den Zugang zum touristisch-gastronomischen Arbeitsmarkt, der im Kanton sehr wichtig sei und zahlreiche Arbeitsplätze auch für niedrigqualifizierte Personen bereitstelle. Die Flüchtlingsanlehre soll nun als Vorbild dienen: «Aktuell entwickeln wir ein Konzept zur sprachlichen und beruflichen Integrationsförderung von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen. Es sieht vor, mit den Integrationspauschalen die Integrationsförderung zu systematisieren und zu standardisieren», sagt Ganter. Geplant sei die Schaffung von spezifischen Angeboten für den Spracherwerb und im Anschluss daran von Kollektivprogrammen für die Grundfachförderung in der Hauswirtschaft, im Holz- und Baubereich sowie in der Gastronomie.

Kleines versus grosses Budget

Im Kanton Schaffhausen hat das Modell der «Flüchtlingsanlehre» hingegen keine Spuren hinterlassen. «Edelprojekte wie die Flüchtlingsanlehren kann sich womöglich der Kanton Zürich leisten. Dafür haben wir hier zu wenig Flüchtlinge und ein zu kleines Budget», sagt Kurt Zubler von der Integrationsfachstelle für die Region Schaffhausen. Der Kanton unterhält jedoch ein eigenes Coaching- und Bildungsprojekt, das der Bund mitfinanziert. Daneben führt er das Integrationsprojekt «arbeit+» des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks weiter und schult jugendliche Migranten zwischen 16 und 22 Jahren intensiv im Hinblick auf eine mögliche Berufs- oder Anlehre.

Der Kanton Zürich, der die meisten Flüchtlinge beherbergt, finanziert mit rund 4,5 Millionen Franken Bildungs- und Beschäftigungsprogramme verschiedenster Anbieter für vorläufig Aufgenommene und Flüchtlinge. Das Pilotprojekt des Bundes wurde hier wohlwollend aufgenommen: «Die Flüchtlingsanlehre erachten wir als gutes Projekt. Derzeit sind wir daran, mit Anbietern ins Gespräch zu kommen. Erst danach können wir entscheiden, ob wir diese Anlehren unterstützen. Wir gehen aber davon aus», sagt Ruedi Hofstetter, Chef des Kantonalen Sozialamtes. Wie viele Flüchtlinge schon heute berufliche Integrationsprogramme besuchen, sei schwierig zu sagen. Im Kanton Zürich sind die Gemeinden für die Ausrichtung der Sozialhilfe zuständig. Sie müssen die entsprechenden Massnahmen für Flüchtlinge bewilligen.

Vollbeschäftigung ist eine Illusion

Unterschiedliche Prioritäten und fehlender Koordinationswille in den Kantonen erschweren die berufliche Integration der Flüchtlinge. «Die Erwerbsquote von Flüchtlingen ist in der ganzen Schweiz weiterhin ausgesprochen tief», sagt die Bündner Integrationsdelegierte Patricia Ganter. «Wenn die Integrationsbemühungen in der Sprachschulung und in der beruflichen Qualifizierung intensiviert und systematisiert und die Branchenverbände dabei eingebunden werden, kann eine Erhöhung der Erwerbsquote erreicht werden. Wie es das neue Konzept des Bundes zur Integrationsförderung vorsieht.» Eine annähernde Vollbeschäftigung der anerkannten Flüchtlinge und der vorläufig aufgenommenen Personen im Land, wie sie alt Bundesrat Blocher vorschwebte, bleibt indes eine Illusion.