Veröffentlicht am 20.06.2013TEXT: Mario WalserFOTO: zVg Jochen Hanselmann

Drucken in der dritten Dimension

Ein Stuhl aus dem Drucker? Was vor Jahren nur in Science Fiction Filmen möglich war, ist heute Realität. 3D-Drucker fertigen Objekte, indem sie Materialien sukzessive aufschichten. Experte Jochen Hanselmann über Möbel aus Kunststoff, Unterkiefer aus Titan und die Möglichkeiten der neuen Technologie.

Zur Person 
Jochen Hanselmann, 44, ist studierter Betriebswirt sowie Gründer und Leiter mehrerer Internet und 3D-Druck-Startups. Der Initiant des «3D-Druck Round Tables Zürich» und des «3D-Printing Meetups Winterthur», ist auch als Blogger, Twitterer sowie bei Xing und Facebook aktiv und immer wieder als Referent an einschlägigen Veranstaltungen anzutreffen.

 Jochen Hanselmann, ist mit dem 3D-Drucker sekundenschnell alles herstellbar, was das Konsumentenherz begehrt?
Nein, im Moment sicher noch nicht. Die seit 2011 sehr intensive Berichterstattung in den Medien erweckt den Eindruck, dass der 3D-Druck schon weit verbreitet und einfach in der Anwendung ist. Soweit ist die Entwicklung technisch aber noch nicht vorangeschritten.

Was genau ist 3D-Druck?
Mit dem 3D-Druck-Verfahren ist die Fabrizierung eines physischen, also dreidimensionalen Objektes aus einer digitalen, also im Computer entworfenen Designvorlage möglich. Sei dies nun ein Hörgerät, ein Stuhl oder ein Kleiderhaken. Das zu druckende Objekt muss aber als digitales, dreidimensionales Modell in einer Computerdatei existieren bevor es gedruckt werden kann. Datenbanken mit solchen Modellen existieren noch nicht viele. Der inzwischen etablierte Begriff «3D-Druck» ist aber etwas irreführend. Das Verfahren hat nur wenig mit dem klassischen Druck auf Papier gemein.

Was ist der Unterschied?
Aus einer im Computer erstellten Designvorlage entsteht ein realer, dreidimensionaler Gegenstand. Diesen baut der Drucker durch die Anlagerung von Materialien wie Kunststoff, Kunstharz oder Metall Schicht für Schicht auf – bis hin zum fertigen Produkt. Beispielsweise kann der Laie bereits mit einem Einsteiger-3D-Drucker eine funktionstüchtige, wasserdichte Blumenvase herstellen. Das ist mit einem klassischen Laser- oder Tintenstrahl-Papierdrucker natürlich nicht machbar.

Wo sind momentan die Grenzen der Technologie?
Im privaten, dem sogenannten «Consumer-Bereich» wird hauptsächlich mit PLA- und ABS-Kunststoffen gearbeitet. Und die Drucker sind nach wie vor sehr langsam. Seit neuem sind Apps für Smartphones auf dem Markt, die das gewünschte Produkt scannen und die Daten an den Computer übermitteln, zur digitalen Nachbearbeitung. All das erfordert vorerst noch immer einige Erfahrung, ist aber auch für Einsteiger relativ schnell lernbar. Um komplexere Dinge auszudrucken, empfehle ich interessierten Anwendern, einen 3D-Druck Dienstleister wie etwa Shapeways zu nutzen oder in ein «Fab Lab» zu gehen. Das ist eine Art High-Tech-Werkstatt, die allen Interessierten die Möglichkeit bietet, sich mit Experten auszutauschen und günstig auf einem 3D-Drucker zu produzieren. In Zürich, Bern, Neuenburg, Lugano und Luzern existieren bereits solche Fab Labs.

Können Sie etwas zur Entwicklung dieser Technologie sagen?
Ende der 1980er Jahre kosteten die ersten einfachen 3D-Drucker noch rund eine halbe Million Franken. 2005 wurde eine Initiative namens «RepRap» gestartet, mit dem Ziel eine Maschine auf «Open Source»-Basis zu entwickeln, die möglichst alle ihre Bauteile auch selbst reproduzieren kann. Open Source bedeutet, dass sowohl Soft- als auch Hardware beliebig kopiert, verbreitet und genutzt werden dürfen. Das war der Startschuss zur Verbreitung der 3D-Drucker auf der Ebene der privaten Konsumenten. Heute stehen wir in etwa dort, wo der PC vor rund 30 Jahren war. Also noch in den Kinderschuhen.

Also heute noch ein teurer Spass?
Geräte für das 3D-Drucken mit Metall kosten im Moment knapp eine halbe Million Franken. Drucker, die gleichzeitig in verschiedenen Kunststoffen produzieren können kosten zirka 150 000 Franken. Ebenfalls zuverlässige Geräte, die in recht guter Qualität Kunststoffteile herstellen können, sind zwischen 20 000 und 50 000 Franken erhältlich. Einstiegsgeräte und Bausätze für Consumer-Drucker sind aber schon für rund 1000 Franken zu haben. Die grösste Investition ist also der Drucker. Die Software für den Privatgebrauch ist teilweise sogar kostenlos.

Ist die Technologie nachhaltig?
Ja, das ist ein grosser Vorteil. Eine CNC-Maschine fräst ein Objekt aus einem Metallblock und produziert viel Abfall. Ein 3D-Drucker arbeitet nur mit dem tatsächlich benötigten Material. So werden bis zu 90 Prozent an Material eingespart. Die Unternehmen können auf Nachfrage und vor Ort produzieren. So fallen praktisch keine Lager- und Transportkosten an, das Risiko einer fehlenden Abnahme besteht nicht mehr. Künftig ist auch vorstellbar, dass sich jedermann zu Hause einfache Ersatzteile von Produkten herstellt. Heute lohnt sich teilweise die Reparatur nur aufgrund eines wenige Rappen teuren Ersatzteiles nicht, und das ganze Produkt wird weggeworfen. Und dank teilweise biokompatiblen, also für Lebewesen unbedenklichen Werkstoffen, wird die Umwelt nicht zusätzlich belastet.

Wo wendet die Industrie diese Technik schon an?
Im industriellen Bereich wenden sie vor allem die 500 weltweit umsatzstärksten Unternehmen an. Auch Schweizer Unternehmen wie der Hörgerätehersteller Sonova, Uhrenhersteller wie Swatch und IWC aber auch die Firma Trisa als Herstellerin von Zahnbürsten gehören zu den Nutzern dieser neuen Technologie. Der 3D-Druck ist vor allem im Bereich der Produkteentwicklung sehr gefragt, beispielsweise um Prototypen herzustellen.

Wie muss sich der Laie das vorstellen?
Die Unternehmen können Prototypen von Zahnbürsten und Uhrgehäusen herstellen und diese schnell und problemlos im Computer wieder ändern. Gleiches gilt auch für Architekten, die ihre Häusermodelle mit einem 3D-Drucker anfertigen. Produkt-Designer können beispielsweise ein Gehäuse am PC entwerfen, im Büro auf einem 3D-Drucker in wenigen Stunden produzieren und anschliessend die Grösse, Handlichkeit und Form des Objekts direkt vor Ort testen. Früher kostete es bereits sehr viel Geld, die Prototypen und die Werkzeuge herzustellen. Zudem fielen hohe Transport- und Lagerkosten an. Auch der Skaleneffekt spielte eine wichtige Rolle: das heisst die Herstellung war für eine Firma nur rentabel, wenn sie auch grossen Mengen produzieren und verkaufen konnte.

Und über das Prototyping hinaus?
Die Technologie hat insbesondere der Medizin völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Eine 83-jährige Frau aus Belgien hat vor rund einem Jahr einen Unterkiefer aus Titan erhalten, gedruckt in 3D. Der Schweizer Hörgeräte-Produzent Sonova druckt seine In-Ear-Hörgeräte so. Ein 17-jähriger Amerikaner hat eine Unterarmprothese für Kinder entwickelt – die Materialkosten betragen ganze 250 Dollar. Aber auch das Militär nutzt die Technologie fleissig. Die amerikanische Armee hat Container mit grossen 3D-Druckern in Kampfgebieten im Einsatz und kann so nötige Ersatzteile, beispielsweise für F15-Kampfjets, vor Ort drucken.

Und was druckt sich «Otto Normalverbraucher»?
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Manche Konsumenten drucken sich zum Beispiel Schutzhüllen für ihre iPhones, Ersatzteile für ihre Eisenbahn-, Flugzeug- oder Automodelle, Halterungen jeglicher Art oder individuelle Ausstechformen für Weihnachtsguetzli. Die Herstellung von selbstentworfenem Spielzeug ist ebenfalls kein Problem mehr. Ich habe für meine Kinder schon total neuartige Bauteile ausgedruckt, eine Kombination eines Lego-Duplosteins und einer Brio-Eisenbahnschiene, mit denen sie Brücken für die Holzeisenbahn gebaut haben.

Was ist denn das Revolutionäre am 3D-Druck?
Revolutionär ist, dass jeder die Möglichkeit hat, selbst Produzent zu werden. Die Produktion wird sozusagen demokratisiert.

Entstehen nun neue Geschäftsmodelle?
Auf jeden Fall. Ein Designer braucht nur noch einen Computer, um seine Erzeugnisse zu verkaufen. Um Herstellung, Vertrieb, Verkaufszentren oder Läden braucht er sich nicht mehr zu kümmern. Er muss nur die Daten seines Produktes auf eine Online-Plattform stellen. Die materielle Realisierung wird dem Käufer überlassen. Dieser sitzt möglicherweise am andern Ende der Welt. Die Verbraucher wünschen sich auch vermehrt individualisierte Produkte. So zum Beispiel beim Optiker: Dieser kann die neue, vom Kunden individuell gestaltete Brille im Geschäft innert zwei Stunden drucken. Und die Brille sitzt bereits perfekt, weil das Gesicht des Kunden zuvor gescannt wurde - vom Design zur Produktion in nur wenigen Schritten und kurzer Zeit.

Welche rechtlichen Herausforderungen sehen Sie?
Für eine weitere Verbreitung des 3D-Drucks müssen noch einige offene Fragen geklärt werden. Dazu zählen einheitliche Copyright-Regelungen, denn das Scannen und Kopieren von Kunstgegenständen oder anderen geschützten Designs via 3D-Druck ist problemlos möglich. Die Situation ist also dieselbe wie bei der digitalen Musik oder Software vor rund einem Jahrzehnt.

Welche ethischen Fragen sind zu klären?
Eine internationale Harmonisierung ist in mehrfacher Hinsicht unbedingt nötig. Denn 3D-Drucker können nicht nur sogenannte Skimming-Teile zur Manipulation von Geldautomaten fabrizieren, sondern auch die Fälschung von Markenartikeln ist einfacher geworden. Sogar gefährliche Schusswaffen sind schnell und problemlos anzufertigen. Standards bezüglich der Qualität des Ausgangsmaterials und von gedruckten Produkten sind inexistent. Bis jetzt prüft und garantiert noch niemand, dass ein 3D-gedrucktes Ersatzteil genügend stabil ist, um seinen Einsatzzweck problemlos zu erfüllen.