02.06.2015
TEXT: Robert AltermattFOTO: zVg

Eine Mitarbeiterin zerlegt einen alten Kühlschrank fachgerecht in einem Recyclingwerk in Brasilien.

Wiederverwertung – Swiss made

Die Schweizer Klimaschutzstiftung Fair Recycling entsorgt und rezykliert in Brasilien in Zusammenarbeit mit einem lokalen Partner alte Kühlgeräte, die umweltschädliche Treibhausgase enthalten. Mit einem Klimaschutzzertifikat von Fair Recycling können Firmen, die CO2 ausstossen, diese Emissionen kompensieren.

Ein gewöhnlicher Wochentag in einem der vielen Elendsviertel der Millionenmetropole São Paulo. Mitarbeitende der brasilianischen Recycling- und Logistikfirma Indústria Fox, Partner von Fair Recycling, fahren mit einem 3,5-Tonnen-Lieferwagen in eine dieser Favelas. Am Zielort angekommen, liefern die Arbeiter neue Kühlschränke in die Wohnungen der Bewohner, installieren diese und nehmen die alten Modelle sogleich mit.

Pro Tag tauscht das Unternehmen in Brasilien durchschnittlich 250 bis 300 Kühlschränke aus. Das Austauschprogramm wird bewusst in den Favelas umgesetzt, weil dort besonders viele alte Kühlgeräte mit einem hohen Energieverbrauch stehen. In den Ballungsräumen von São Paulo und Rio de Janeiro leben zusammengerechnet schätzungsweise 50 Millionen Menschen – der Nachschub an alten Kühlgeräten ist insofern gewährleistet.

Zusammenarbeit mit Abfallsammlern

Zur Beschaffung von alten Kühlschränken arbeitet Indústria Fox zudem mit Abfallsammlern zusammen, die in Kooperativen organisiert sind. Die Strassensammler, in Brasilien Catadores genannt, sammeln alte Kühlschränke nicht nur in den Armenvierteln, sondern auch in wohlhabenderen Wohn- und Geschäftsvierteln ein. In Brasilien alte Kühlschränke zu rezyklieren, macht laut Heinz Gfeller, Geschäftsführer von Fair Recycling, nur dann Sinn, wenn das Treibhausgas und Kühlmittel Fluorchlorkohlenwasserstoff (FCKW) in den Kühlgeräten noch enthalten ist.

Fair Recycling zahlt dafür den einzelnen Strassensammlern einen rund 30 Prozent höheren Preis als auf dem Markt üblich. Heinz Gfeller präzisiert: «Wir sind zwingend darauf angewiesen, die ausgedienten Kühlgeräte in vollständigem Zustand inklusive FCKW zu erhalten. Geräte, denen bereits Teile wie zum Beispiel Kupfer oder Kompressoren entnommen wurden, sind für uns unbrauchbar.»

Mitarbeitende kontrollieren geschredderte Rohstoffteile von alten Kühlschränken.Foto: zVg

Die Entsorgung von Kühlschränken ist anspruchsvoll. Die giftigen FCKW-Gase, die auch die Ozonschicht schädigen und die in den Kühlgeräten im Kühlkreislauf und im Isoliermaterial stecken, müssen möglichst vollständig zurückgewonnen und einer umweltverträglichen Entsorgung zugeführt werden.

Durch die Vernichtung des Treibhausgases FCKW, die von externen Experten verifiziert wird, werden Emissionsreduktionszertifikate gutgeschrieben. Diese Klimazertifikate platziert Fair Recycling am Markt. Die Erlöse aus dem Zertifikateverkauf werden in die Förderung der Mitarbeitenden sowie in den Ausbau der Infrastruktur investiert.

Modernes Recyclingwerk

Der Stromverbrauch von Kühlschränken der neuesten Generation liegt mit unter 100 Kilowatt im Vergleich zu älteren Modellen mit einem Verbrauch von 300 bis 400 Kilowatt deutlich tiefer. Seit ein paar Jahren verpflichtet ein Gesetz die Stromproduzenten in Brasilien, in energieeffiziente Projekte zu investieren. Familien aus sozial schwachen Schichten können ihre alten Kühlschränke gegen einen neuen eintauschen, was ihre Stromrechnung um bis zu 50 Prozent reduziert. Die Stromproduzenten ihrerseits müssen sich nicht selber um die ausgemusterten Kühlschränke kümmern.

Indústria Fox zeichnet in den Agglomerationen der drei brasilianischen Grossstädte São Paulo, Rio de Janeiro und Fortaleza für die Entsorgung von FCKW-haltigen Kühlschränken sowie für die Logistik verantwortlich. Nach einem mehrmonatigen Testlauf nahm Fair Recycling Ende 2011 in Cabreúva, rund 80 Kilometer nordwestlich von São Paulo gelegen, ein modernes Recyclingwerk für Kühlapparate in Betrieb. Indústria Fox als Werksbetreiberin baut dort gebrauchte Kühlschränke und Kühlgeräte auseinander, gewinnt wertvolle Rohstoffe zurück und eliminiert die FCKW fachgerecht.

Alte Kühlschränke – bereit zum Recycling.Foto: zVg

Seit 2011 wurden in der Fabrik in Cabreúva gesamthaft mehr als 400 000 Kühlschränke entsorgt. Mit dem Recycling der Geräte und der Zerstörung der darin enthaltenen FCKW hat die Klimaschutzstiftung 20 000 Tonnen Rohstoffe in den Kreislauf zurückgeführt und 400 000 Tonnen CO2 eingespart. Laut Heinz Gfeller entspricht dies der Menge CO2, welche die Bevölkerung der Stadt Zürich in einem halben Jahr mit ihrer privaten Mobilität verursacht.

Finanziert wurde die Recyclinganlage von der Deza (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit), dem Detailhandelsunternehmen Coop, der «Stiftung Entsorgung Schweiz» Sens, heute «Sens eRecycling», sowie privaten Darlehensgebern. Die Investitionskosten für die 300 Meter lange und 150 Meter breite Fabrik betrugen rund 12 Millionen Franken.

 

Fair Recycling

Die Schweizer Klimaschutzstiftung Fair Recycling mit Sitz in Zürich trägt mit dem Recycling von ausgedienten, FCKW-haltigen Kühlgeräten in Schwellenländern zum weltweiten Klimaschutz bei. Die Stiftung orientiert sich an der «Swiss Charter» – dieses Regelwerk gilt als einer der anspruchsvollsten Standards im Markt für Emissionsreduktionszertifikate. Die «Swiss Charter» definiert die ökologischen, sozialen, ökonomischen und technologischen Anforderungen an das Recycling von elektrischen und elektronischen Geräten, insbesondere Kühlgeräten, in Schwellenländern. Fair Recycling entstand Ende 2008. Ein paar Monate später gründet Fair Recycling in Brasilien die Firma Indústria Fox. Gleichzeitig beginnt die Schweizer Stiftung mit dem Bau der FCKW-Recyclinganlage im Grossraum São Paulo, die 2010 eingeweiht wird und im Folgejahr definitiv den Vollbetrieb aufnimmt. Die Stiftung Fair Recycling finanziert ihre Projekte unter anderem über den Verkauf von Klimaschutzzertifikaten.

 

Die ausgedienten Kühlschränke werden in der Fabrik in einem dreistufigen Prozess wiederverwertet. In einem ersten Gang stehen manuelle Tätigkeiten an. Dabei zerlegen Mitarbeitende die Kühlschränke, indem sie beispielsweise Kompressoren oder Isolationsstoffe entfernen. Die Treibhausgase aus dem Kühlkreislauf werden abgesaugt, jene aus dem Isoliermaterial unter hohem Druck extrahiert.

In einer zweiten Phase, die vollautomatisiert vonstattengeht, werden die unterschiedlichen Kühlschrankmaterialien geschreddert und anschliessend nach entsprechenden Rohstoffen sortiert. Diese sogenannten «Rohstoff-Recycling-Fraktionen» sind grösstenteils Komponenten wie Aluminium, Glaswolle, Eisen, Nichteisenmetalle wie Kupfer, Lampen, Kunststoffe und Glas. Dank eines modernen Schredders können im Recyclingprozess 95 Prozent der in den Kühlgeräten enthaltenen Rohstoffe zurückgewonnen werden.

In einer dritten Arbeitsstufe werden die Treibhausgase in einem Hochtemperaturofen verbrannt und via eine Rauchgasreinigungsanlage nach Schweizer Umweltschutzstandard als Wasserdampf in die Atmosphäre abgelassen.

Indústria Fox wickelt die Logistik rund um die Kühlgeräte selber ab. «Der Entscheid, die gesamte Logistikkette einschliesslich der Beschaffung, der Grob- und Feindistribution, der Administration sowie der Geräterücknahme nicht an einen externen Dienstleister auszulagern, war richtig. So haben wir zu jeder Zeit selber alles unter Kontrolle», erklärt Heinz Gfeller. Indústria Fox verfügt mittlerweile über einen Fuhrpark, der drei grosse Lastwagenzüge für Langdistanztransporte und 25 kleinere 3,5-Tonnen-Lieferwagen für die Feinverteilung umfasst.

Ausbildung und Wissenstransfer

Fair Recycling und Indústria Fox haben mit der FCKW-Recyclinganlage 200 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Angestellten erhalten eine Krankenversicherung, sie verpflegen sich vor Ort und haben ab einer Anstellungsdauer von einem Jahr Anrecht auf ein jährliches Ausbildungsbudget, das sie für interne und externe Weiterbildungen einsetzen können. Ein wichtiges Ziel von Fair Recycling ist der Wissenstransfer.

Um Recycling von hoher Qualität und nach Schweizer Standard zu garantieren, schult der lokale Partner Indústria Fox seine Mitarbeitenden laufend; Schweizer Recyclingexperten geben ihr Wissen zudem an die Beschäftigten weiter. Längerfristig will die Schweizer Stiftung in Brasilien auch einen Lehrgang als Rezyklist nach Schweizer Vorbild aufbauen. Zur Angebotspalette zählen Trainings zum Rezyklisten sowie Kurse für Mechaniker, Hydrauliker, Elektriker und Informatiker.

Fair Recycling engagiert sich in Brasilien auch im Bereich der Aufklärung und der Prävention. Mit Strassentheatern versucht die Klimaschutzstiftung, die Bevölkerung für Umweltthemen wie beispielsweise Energieeffizienz und Recycling zu sensibilisieren. Mit einem umgebauten Lieferwagen, der sich in eine Bühne umfunktionieren lässt, besuchen Mitarbeitende von Indústria Fox Favelas in São Paulo und Rio de Janeiro.

Auf der Bühne des Lieferwagens führen Schauspieler kurze Stücke zu Themen wie Energieeffizienz, Umwelt- und Ressourcenschutz auf. Damit möchten die Projektverantwortlichen die Bevölkerung zu einem bewussteren Umgang mit Energie und Rohstoffen animieren.

Recyclingsystem in der Schweiz

Die Stiftung Sens erhielt 1987 von der Industrie den Auftrag, ein System zur Entsorgung von ausgedienten elektrischen Haushaltsgeräten, so auch von Kühlschränken, in der Schweiz aufzubauen. In der Folge nahm die Technologiefirma Ruag, ehemaliger Rüstungsbetrieb der Schweizer Armee, in Altdorf die erste Kühlschrank-Entsorgungsanlage der Schweiz in Betrieb. Für die Entsorgung von alten, FCKW-haltigen Kühlschränken mussten die Konsumenten ab 1991 eine Kühlgeräte-Vignette kaufen. 1998 kam es in der Schweiz mit der Verordnung über die Elektrogeräte-Entsorgung zu einem Regimewechsel in Bezug auf die Entsorgung von Haushaltsgeräten. Die sogenannte «vorgezogene Recyclinggebühr» wurde schliesslich 2003 eingeführt. Diese Verordnung verpflichtet seither Händler, ausgediente Elektro- und Elektronikgeräte kostenlos zurückzunehmen und einem fachgerechten Recycling zuzuführen. Konsumenten können ihre ausgedienten Elektro- und Elektronikgeräte einfach und kostenlos bei Herstellern, Händlern und Importeuren sowie bei allen Sammelstellen zurückgeben. Die Stiftung Sens koordiniert in der Schweiz die Finanzierung der Entsorgung von Elektrogeräten via die vorgezogene Recyclinggebühr, die der Konsument beim Kauf eines Geräts bezahlt. Die vorgezogene Recyclinggebühr fliesst in einen Fonds der Stiftung Sens.