10.10.2019
TEXT: Iwon BlumFOTO: ©ZHAW
Dolmetscherinnen im Unterricht an der ZHAW

Die grossen Themen für die Schweizer Fachhochschulen sind Digitalisierung, Vernetzung, Flexibilisierung und Individualisierung.

Umfrage an Fachhochschulen

«Fähigkeiten fördern, in denen Menschen besser sind als Maschinen»

Neue Technologien, flexible Arbeitsmodelle, Berufssterben und -entstehung: Die Arbeitswelt verändert sich in rasantem Tempo. Wie bereiten Fachhochschulen ihre Studierenden auf eine mitunter unberechenbar dynamische Arbeitswelt vor? Der «blickwinkel» hat nachgefragt.

«Lerne Coiffeur, werde Biologe», «Lerne Polymechanikerin, werde Zahntechnikerin» – die aktuellen Kampagnenslogans der Bildungsplattform berufsbildungplus.ch bringen den Wandel in der Arbeitswelt auf den Punkt: Vorbei sind die Zeiten, als eine Lehre oder ein Studium eine mehr oder weniger absehbare Berufslaufbahn vorzeichnete. Der «blickwinkel» wollte wissen, wie Schweizer Fachhochschulen die aktuellen und künftigen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt einschätzen, ob und wie sie ihre Aus- und Weiterbildungsangebote und -modelle an ihre Einschätzungen anpassen – oder kurz: wie sie ihre Studierenden auf eine Arbeitswelt vorbereiten, die sich immer schneller zu drehen scheint.

Die Fachhochschulen, die sich an der Umfrage beteiligten, sind sich darin einig, dass sich Bildungsinstitute nicht auf ihren bestehenden Angeboten ausruhen dürfen, sondern in der Pflicht stehen, ihre Lerninhalte und Strukturen den sich wandelnden Bedürfnissen des Marktes und der Studierenden anzupassen. Die grossen Themen sind hierbei Digitalisierung, Vernetzung, Flexibilisierung und Individualisierung.

Zudem liege der Fokus heute nicht so sehr darauf, mit dem Aus- und Weiterbildungsangebot auf einen konkreten Beruf vorzubereiten, vielmehr müsse ein Bildungsinstitut die Studierenden mit allen nötigen Kompetenzen ausstatten, die sie befähigen, sich einem zunehmend dynamischen Arbeitsmarkt laufend anzupassen, so die Berner Fachhochschule BFH: «Zusätzlich zum Fachlichen sind heute Kompetenzen wie überfachliches und lebenslanges Lernen, Soft Skills oder die ‹4K›, also Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken, sehr wichtig.» Die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW fasst diesen Aspekt in ihrer Antwort wie folgt zusammen: «Damit unsere Absolventinnen und Absolventen beste Chancen im modernen Arbeitsmarkt haben, müssen wir – aufbauend auf den fachlichen Qualifikationen – vermehrt die Fähigkeiten fördern, in denen Menschen besser sind als Maschinen.»

Doch nicht nur die Bildungsinstitute sind laut den befragten Fachhochschulen gefordert; so rät etwa die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW: «Die heutige Arbeitswelt verlangt kontinuierliche Weiterbildung. Lernen auf Vorrat ist heute nicht mehr gefragt, weil Wissen rascher veraltet. Berufstätigen legen wir darum nahe, ihre persönliche und berufliche Entwicklung eigenverantwortlich zu gestalten, in regelmässigen Abständen in ihre Weiterbildung zu investieren und dadurch beweglich zu bleiben.» 

Beliebte Digitalisierung
Auf die Frage, wie sie ihre Studierenden konkret auf ein sich wandelndes Arbeitsumfeld vorbereite, erläutert die ZHAW: «All unsere Aus- und Weiterbildungen sind praxis- und kompetenzorientiert. Wir berücksichtigen in allen Fachbereichen die Entwicklungen, die Berufsfelder verändern oder auch neue schaffen. Denn auch die Berufsbilder und die erforderlichen Kompetenzen wandeln sich, insbesondere durch die Digitalisierung.» So seien derzeit Angebote im Digitalbereich wie Data Science oder Digital Marketing denn auch besonders beliebt. Aber auch in Psychologie-Weiterbildungen finde die Auseinandersetzung mit verschiedenen Dimensionen der veränderten Arbeitswelt statt. So greife beispielsweise der CAS-Lehrgang «Psychologie in der Arbeitswelt 4.0» sich wandelnde Berufsbilder, Geschäfts-, Kollaborations- und Führungsmodelle auf und beleuchte die durch die Digitalisierung entstandenen Möglichkeiten, mobil und flexibel zu arbeiten. 

Auch an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK haben neue Technologien einen hohen Stellenwert: «Die ZHdK gestaltet die Kultur der Digitalität mit. Digitalisierung wird dabei als Prozess begriffen, der die gesamte Institution betrifft und fordert.» So habe etwa das Programm «Digitales Wissen» zum Ziel, an der ZHdK eine offene Wissenskultur zu etablieren und Ergebnisse aus Lehre und Forschung online, vernetzt und nachhaltig zugänglich zu machen, und mit«PAUL», einer Plattform für Austausch und Lernen, die Videokonferenzen und interaktive Inhalte zur Verfügung stellt, fördere die ZHdK zeit- und ortsunabhängiges Lernen. 

Die Berner Fachhochschule BFH möchte grundlegende gesellschaftliche Veränderungen ebenfalls nicht nur aufnehmen, sondern aktiv mitgestalten: «Die BFH versteht sich als lernende Organisation – dieses Lernen ist im Kontext sich ständig wandelnder Umweltbedingungen von zentraler Bedeutung.» So liege auch an der BFH der Fokus unter anderem auf der Digitalisierung, deren Chancen sowohl in der Lehre als auch in der Forschung und im Betrieb diskutiert, reflektiert und aktiv genutzt werden sollen. «Ein weiteres strategisches Ziel der BFH ist, die Studierenden zu unternehmerischem Denken und Handeln zu befähigen und ihnen damit das Rüstzeug mitzugeben, in der Berufswelt erfolgreich neue Ideen umzusetzen.» Mit den Studiengängen Sport, Agronomie, Waldwissenschaften, Holztechnik, Automobiltechnik sowie Literarisches Schreiben und Medizininformatik habe die BFH darüber hinaus ein in der Deutschschweiz und teils gar schweizweit einzigartiges Angebot geschaffen.

Praxisnähe und Vernetzung, auch international
Weiterer Schwerpunkt bleibt für alle befragten Fachhochschulen auch künftig die intensive Nähe zur Praxis: «Die FHNW hat bei Arbeitgebern einen guten Ruf, weil sie praxisnah ist, also in Lehre und Forschung eng mit Unternehmen und Organisationen zusammenarbeitet – auch bei der Gestaltung der Studienangebote. Das Studium ist forschungsgestützt und konsequent auf die aktuelle und die künftige berufliche Praxis ausgerichtet. Die Studierenden kennen die Arbeitswelt und nutzen die Möglichkeiten, sich in ihrem künftigen Berufsfeld früh zu vernetzen.» In diesem Zusammenhang legt die FHNW auch grossen Wert auf internationale Zusammenarbeit: «Die Studierenden der FHNW werden auf die Chancen und Risiken der globalen und nationalen Trends in einer sich dynamisch verändernden Welt vorbereitet.» Etwa in internationalen Studienprogrammen der Hochschule für Wirtschaft FHNW, in trinationalen Studiengängen der Hochschule für Technik FHNW oder bei den Swiss Challenge Wettbewerben der FHNW wie die Swiss Startup Challenge oder Swiss Innovation Challenge.

Auch für die anderen befragten Fachhochschulen sind Austausch und Zusammenarbeit auf internationaler Ebene wichtige Aspekte, um in einer globalisierten Arbeitswelt mithalten zu können. So hält etwa die Zürcher Hochschule der Künste ZHdK fest: «Die Arbeitsfelder und der Ausbildungsmarkt in den Künsten und im Design sind international. Deshalb ist der Internationalisierungsprozess für die ZHdK von zentraler Bedeutung. Um unsere inhaltlichen Ressourcen in Lehre und Forschung zu erweitern und kulturübergreifende Erfahrungen zu ermöglichen, engagieren wir uns in internationalen Netzwerken, bauen internationale Kooperationen aus und gestalten sie nachhaltig. Ein konkretes Projekt ist der ‹Shared Campus›, eine von der ZHdK mit internationalen Partnern konzipierte Plattform für Lehre und Forschung. Auf dem virtuellen Campus entwickeln und realisieren Partnerhochschulen aus Hongkong, Hangzhou, Taipeh, Kyoto, Singapur und London gemeinsam mit der ZHdK Studienprogramme und Forschungsprojekte.» 

Interdisziplinär, flexibel, individuell 
Doch nicht nur die Inhalte von Aus- und Weiterbildung sind im Umbruch, auch die Lehr- und Lernmethoden sowie -modelle müssen zunehmend dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnis nach grösstmöglicher Flexibilität genügen. So arbeiten alle Fachhochschulen, die sich an der Umfrage beteiligten, längst mit digitalen und interaktiven Lernmethoden, Videokonferenzen, berufsbegleitenden Teilzeitmodellen und weitgehend individuell kombinierbaren und fachbereichsübergreifenden Lerneinheiten. Auch die Dauer von Weiterbildungslehrgängen kann zunehmend flexibel gewählt werden: «Von mehrstündigen Kursen bis zu umfassenden, mehrjährigen Weiterbildungs-Masterstudiengängen können die Bedürfnisse unserer Studierenden in den verschiedenen Phasen ihres Berufswegs bedient werden», so etwa die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. 

Die Kalaidos Fachhochschule sieht denn auch ihre Kunden selbst als wichtige Informationsquelle, um Angebote zeitgemäss zu gestalten: «Indem wir den Leuten zuhören, erfahren wir, was sie brauchen – sei das inhaltlicher Natur oder die Rahmenbedingungen betreffend. Da unsere Studierenden berufstätig sind, wurde zum Beispiel schnell klar, dass sie sich zunehmend flexible Studienbedingungen wünschen, dass wir zeit- und ortsunabhängiges Lernen, Teilzeitmodelle sowie Angebote zu Randzeiten brauchen.» So sei es auch kein Problem, mal ein Beratungsgespräch auf dem Spielplatz zu führen, damit Interessenten die Kinderbetreuung nicht erst umständlich organisieren müssen. Weiter hat die Kalaidos Fachhochschule jegliche Altersgrenze für die Studienzulassung aufgehoben: «Bei uns können auch 70-Jährige noch studieren.»

Auf die Frage, was ihres Erachtens der grösstmögliche Fehler sei, den Bildungsinstitute oder Berufstätige heutzutage machen könnten, antwortet die ZHAW pointiert: «Sich dem Wandel zu verschliessen und nicht aufmerksam zu sein für die vielfältigen Chancen, die sich ständig neu eröffnen.»

Fachhochschulen: Wichtige Stützen im Schweizer Bildungssystem

In der Schweiz bieten acht von Kantonen getragene Fachhochschulen mit rund 60 Teilschulen und eine vom Bund anerkannte private Fachhochschule praxisbezogene Aus- und Weiterbildungen auf Hochschulstufe an.

2018 schlossen rund 17 000 Studierende ihre Fachhochschul-Ausbildungen mit einem Bachelor oder Master ab. Insgesamt werden an den Schweizer Fachhochschulen zudem an die 1000 Weiterbildungsstudiengänge angeboten: von mehrwöchigen Kursen bis zu zweijährigen Nachdiplomstudien. 

Berner Fachhochschule BFH 

www.bfh.ch
Gründung: 1997
Trägerschaft: Kanton Bern
Anzahl Studierende: rund 7000
BFH Leitbild
BFH Strategie

Acht Departemente an den Standorten Bern, Biel, Burgdorf, Magglingen und Zollikofen:

Fachhochschule Graubünden FHGR

www.fhgr.ch
Gründung: Im Januar 2020 wird die HTW Chur (bisher zur Fachhochschule Ostschweiz FHO gehörend) als selbständige Fachhochschule unter dem Namen Fachhochschule Graubünden FHGR starten.
Trägerschaft: Kanton Graubünden
Anzahl Studierende: rund 1700
FHGR Porträt

Die FHGR mit Standorten in Chur, Bern und Zürich bietet Aus- und Weiterbildungen in den Bereichen Architektur, Bauingenieurwesen, Digital Science, Management, Mobile Robotics, Multimedia Production, Photonics, Service Design und Tourismus an.

Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW

www.fhnw.ch
Gründung: 2006
Trägerschaft: Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn 
Anzahl Studierende: rund 12 400
FHNW Porträt
FHNW Imagebroschüre

Neun Hochschulen an den Standorten Basel, Brugg-Windisch, Muttenz, Solothurn und Olten: 

Fachhochschule Ostschweiz FHO

www.fho.ch
Gründung: 1999
Trägerschaft: Kantone Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Schaffhausen, Schwyz, St. Gallen, Thurgau und Fürstentum Liechtenstein
Anzahl Studierende: rund 6000
FHO Leitbild

Die Fachhochschule Ostschweiz FHO besteht aus drei Teilfachhochschulen:

Haute école spécialisée de Suisse occidentale HES-SO

www.hes-so.ch
Gründung: 1998
Trägerschaft: Kantone Bern, Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Wallis und Waadt
Anzahl Studierende: über 21 000
HES-SO Porträt

Die Fachhochschule Westschweiz ist die grösste Schweizer Fachhochschule. Sie umfasst 28 Hochschulen an verschiedenen Standorten in den Kantonen Bern, Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Wallis und Waadt und bietet Aus- und Weiterbildungen in den Bereichen Design und Bildende Kunst, Wirtschaft, Ingenieurwesen und Architektur, Musik und Theater sowie Gesundheit und Soziale Arbeit an. 

Hochschule Luzern HSLU

www.hslu.ch
Gründung: 1997
Trägerschaft: Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug
Anzahl Studierende: über 6500 Studierende in Ausbildung, 4400 in Weiterbildung
HSLU Porträt

Die HSLU bietet Aus- und Weiterbildungen in den Bereichen Technik und Architektur, Wirtschaft, Informatik, Soziale Arbeit, Design und Kunst sowie Musik an.

Kalaidos Fachhochschule – die Hochschule für Berufstätige

www.kalaidos-fh.ch
Gründung: 1997
Trägerschaft: privat, eidgenössisch akkreditiert 
Anzahl Studierende: rund 3500
Kalaidos Fachhochschule Porträt
Kalaidos Fachhochschule Leitbild und Strategie

Die einzige private Fachhochschule mit Standort in Zürich bietet berufsbegleitende Aus- und Weiterbildungen in den Bereichen WirtschaftRechtGesundheit und Musik;an.

Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana SUPSI

www.supsi.ch
Gründung: 1997
Trägerschaft: Kanton Tessin
Anzahl Studierende: über 4000 Studierende in Ausbildung, 6500 in Weiterbildung
SUPSI Porträt

Die SUPSI bietet an verschiedenen Standorten in den Kantonen Tessin, Wallis und Graubünden Aus- und Weiterbildungen in den Bereichen Soziale Arbeit, Wirtschaft, Gesundheit, Bildung und Lehre, Bauwesen, Technik und IT, Design sowie Musik und Theater an.

Zürcher Fachhochschule ZFH

www.zfh.ch
Gründung: 1998
Trägerschaft: Kanton Zürich
Anzahl Studierende: über 20 000

Die Zürcher Fachhochschule ZFH setzt sich aus den drei staatlichen Hochschulen

sowie der privaten Hochschule für Wirtschaft Zürich HWZ zusammen und bietet Aus- und Weiterbildungen in den Bereichen Technik und IT, Architektur, Bau- und Planungswesen, Chemie und Life Sciences, Facility Management, Wirtschaft und Dienstleistungen, Gesundheit, Angewandte Linguistik, Soziale Arbeit, Angewandte Psychologie, Design, Musik, Theater und Lehrkräfteausbildung an.

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW

www.zhaw.ch
Gründung: 2007
Anzahl Studierende: über 13 000
ZHAW PorträtZHAW Leitbild und Strategie

Zürcher Hochschule der Künste ZHdK

www.zhdk.ch
Gründung: 2007
Anzahl Studierende: über 2000
ZHdK Porträt


Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Magazins «blickwinkel», dessen Herbstausgabe 2019 den Themen Lebenszeit und Arbeit in unterschiedlichsten Facetten gewidmet ist.