08.02.2016
FOTOS UND TEXT: Jürg Streuli

Urs Eberhard und René Bollhalder auf der MS «Buchberg» vor der Abfahrt im Hafen Uznach (SG).

Auf dem Zürichsee

Mit dem Ledischiff unterwegs

Die Fahrt mit einem Ledischiff auf dem Zürichsee bietet wenig Komfort, dafür faszinierende Einblicke in den Alltag von schwimmenden Arbeitspferden.

Es ist bitterkalt an diesem Montagmorgen. Die Minustemperaturen erschweren dem Schiffsführer Urs Eberhard und seinem Begleiter René Bollhalder die Inbetriebnahme des Motorschiffs «Buchberg». Die Leinen sind gefroren, und das Deck ist von Schnee und Eis überzogen. Die Reling ist lediglich am Bug und Heck vorhanden, weshalb es gefährlich ist, am beidseitig schmalen Schiffsrand entlangzugehen. Selbst mit den obligatorischen Schwimmwesten möchte niemand ins kalte Wasser fallen.

Anspruchsvolle Steuerung

Die Kälte führt auch zu einer längeren Ladedauer für die 180 Tonnen teilweise gefrorenen Kies und Sand. Um die Stabilität des Schiffs zu gewährleisten, wird zuerst die mittlere von drei Kammern beladen. Wegen der Gefahr von Schlagseite achten die Männer auf eine gleichmässige Verteilung des Materials in den Kammern. Durch Manövrieren befindet sich die jeweils leere Ladekammer direkt unter dem Förderband. Die Sonne kommt dank der Verspätung noch rechtzeitig zum Vorschein, bevor es «Leinen los» heisst.

Der Abfahrtshafen liegt bei der Kiesaufbereitungsanlage Grynau auf Gemeindegebiet von Uznach (SG). Bis zur Mündung in den Obersee fahren die Ledischiffe auf dem Linth-Hintergraben-Kanal, einem der beiden Seitenkanäle des Linthkanals. Entstanden sind diese Bauwerke bei der grossen Linthkorrektion im vorletzten Jahrhundert. Die Seiten- kanäle halten den Linthkanal von Geschiebe – auf dem Grund mittransportiertes Gestein – frei und dienen zudem der Entwässerung der beiden Gebiete von March und Gaster. 

Beim heiklen Manövrieren aus dem Hafen des Kieswerks in den schmalen Kanal zeigt Urs Eberhard, was er kann. «Die Navigation im Kanal erfordert grosse Konzentration», betont der Schiffsführer. «Das beladene Boot mit seiner kastenförmigen Bauweise ohne Kiel ist nur mühsam gradlinig auf Kurs zu halten, weil es abwechslungsweise nach Backbord oder Steuerbord driftet. Deshalb muss ich den Kurs laufend korrigieren, ohne zu übersteuern.» Die 1929 gebaute «Buchberg» ist ein Oldtimer mit einem schönen, aus Holz gefertigten Steuerrad.

Frachttransport auf dem Zürichsee

Ledischiff ist die Bezeichnung eines Frachtschiffs in der Nordostschweiz. Auf dem Vierwaldstättersee in der Zentralschweiz heissen die Schiffe Nauen. Für Kies und Sand ist das langsame, jedoch effiziente und ökologisch sinnvolle Ledischiff noch heute ein nützliches Transportmittel. Der Treibstoffverbrauch ist achtmal geringer als beim LKW. Die Firma Johann Müller ist mit drei Schiffen zwischen Uznach, Hurden und Stäfa unterwegs. Jährlich befördern sie 80 000 Tonnen Last. Damit werden etwa 4000 Lastwagenfahrten ersetzt.

Direkt mit dem Schiffsbetrieb beschäftigt sind drei Schiffsführer sowie ein Mechaniker. Einige ausgemusterte Ledischiffe hat die Firma zu Partyschiffen umgebaut. Die grossen Feuerwerke wie zum 1. August und zur Neujahrsfeier werden von Ledischiffen abgefeuert.

Neben der Firma Johann Müller betreibt auch die Kibag Ledischiffe auf dem Zürichsee. Ihre Flotte umfasst fünf Schiffe. 

 

Blick für die Naturschönheiten

Nach der Einfahrt in den Obersee offenbaren die schneebedeckten Berge, der hellblaue Himmel und das dunkelblaue Wasser ein atemberaubendes Panorama. Im geheizten Brückenhaus schwärmt Urs Eberhard von seiner Reise nach Neuseeland, doch auch für die Naturschönheiten entlang unserer Schiffsroute behält er ein offenes Auge. «Im Sommer ist die Fahrt auf dem See ein pures Vergnügen. Hingegen wimmelt es am sumpfigen Kanal von Plagegeistern wie Bremsen und Mücken. Dann müssen wir Türe und Fenster geschlossen halten und im Steuerhaus entsteht grosse Hitze.»

Ein richtiger Seebär

Mit über 20 Jahren Berufserfahrung als Schiffsführer darf sich Urs Eberhard als «Seebär» bezeichnen, der sämtliche Wetterverhältnisse auf dem Zürichsee kennt.

Durch plötzlich auftretende Sturmböen kann das Schiff in seichte Gewässer abgetrieben werden. Das wurde im Juli 2015 dem Raddampfer «Stadt Rapperswil» zum Verhängnis, der beim Seedamm vom starken Wind auf eine Sandbank gedrückt und dabei beschädigt wurde.

Sehr anspruchsvoll ist die Navigation bei dichtem Nebel. «Wenn die Ufer nicht mehr zu sehen sind, muss ich mich vollständig auf das Radargerät verlassen. Das erfordert hohe Konzentration und Vertrauen in die Technik».

Ledischiff im Villenviertel

Nach einer ruhigen Fahrt nähert sich das Boot dem Kanal von Hurden. Kurz vorher steuert der Schiffsführer in einen Seitenkanal, der das Ledischiff direkt in ein etwas spezielles Flüchtlingsgebiet bringt. In stattlichen Häusern und Villen wohnen hier im Kanton Schwyz sogenannte Steuerflüchtlinge. Der optische Gegensatz zum vorbeigleitenden Ledischiff ist markant. Am Kanalende, wo auch die Seepolizei einen Stützpunkt hat, erreicht die «Buchberg» schliesslich den Umschlagplatz Hurden, das Ziel der heutigen Fahrt. Nach der Entladung mit dem bereitstehenden Bagger beginnt die Leerfahrt zurück nach Uznach.

Die Besatzung ist für die gleichmässige Beladung verantwortlich, bevor es «Leinen los» heisst. Der malerische Linth-Hintergraben-Kanal im Gegenlicht der aufgehenden Sonne. Urs Eberhard steuert die «Buchberg» vorsichtig durch den schmalen Kanal neben der korrigierten Linth. Die Mündung in den Obersee wird von dichten Schilfgürteln gesäumt. Der Blick zurück bietet ein atemberaubendes Panorama mit Säntis und Speer. In Hurden gleitet das Ledischiff an Villen entlang in einen Seitenkanal. Vorsichtiges Anlegemanöver an den Pier in Hurden. Die «Buchberg» ist am Ziel. Auch für die Löschung der Fracht mit dem Bagger ist die Schiffsmannschaft zuständig.
Mit dem Ledischiff von Uznach nach Hurden. Fotos: Jürg Streuli