17.02.2016
FOTO UND TEXT: Julia Antoniou
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«Du musst die Bohne spüren», lautet Dani Hürsts Röstphilosophie.

Arbeiten mit Gespür

Lauschen, was die Kaffeebohne will

Von Computersteuerungen und Laboranalysen hält Dani Hürst nicht viel. Der Zürcher Kaffeeröster vertraut ganz auf seine Sinne. Auf seine Nase, seine Augen, selbst auf seine Ohren. 

Es riecht nach Gras. Kein bisschen nach Kaffee. Aber die stolze Maschine in der Rösterei im aargauischen Niederrohrdorf ist zweifellos ein Kaffeeröster. Dani Hürst drückt auf den Schalter seiner Probat. Der Gasbrenner faucht, und die Keilriemen laufen schnurrend an. Der junge Zürcher schleppt zehn Behälter heran, ebenso viele Sorten will er heute rösten: Bohnen mit klingenden Namen wie Yirga Cheffe, Gandhi Pur oder Cafe o Muerte. «Wir rösten ein- bis zweimal die Woche, rund 200 kg. Älter als zwei Wochen ist kein Kaffee in unserem Laden», sagt Hürst. Gemeint ist die Boutique Kaffeepur in Zürich-Wiedikon.

Bohnen mit Blaubeerenaroma

Zielsicher strebt Dani Hürst zum ersten 70-kg-Kaffeesack und schöpft die Bohnen für die Röstcharge in einen Eimer. Über 50 Jutesäcke liegen bereit. Ihre farbigen Aufdrucke erinnern charmant an Kolonialwaren aus früheren Zeiten. Alle sind gefüllt mit Bohnen. So grün wie der Geruch im Raum. Hürst bestätigt: «Grüne Bohnen riechen grasig, manche erbsig oder nach Heu. Aber riech mal diesen Äthiopier hier. Der hat etwas von Blaubeere.» Hoppla, wir sind mitten in einem Sensorik-Kurs.

Auf den Kaffee gekommen ist Hürst vor zehn Jahren. Bei Kaffeepur ist er mittlerweile seit fünf Jahren tätig. Jetzt als Partner von Angelo Stäldi, der das Unternehmen gegründet hat. Ursprünglich Koch, hat Hürst schon verschiedenste Jobs gemacht. Tontechniker, Plakatierer, Mitarbeiter bei einem Galeristen. Als Gastronom absolvierte er Kaffeekurse: den Barista Level 1 und Level 2. Aber das Handwerk der Rösterei habe er bei Angelo Stäldi gelernt.

Grün, dann gelb und schliesslich braun – der Röstgang von unreifen Böhnchen zu kräftigen Bohnen. Fotos: Julia Antoniou

Der Gasbrenner im Innern des Rösters lodert. Hürst kippt die erste Charge in den grossen Trichter des Kaffeerösters und öffnet den Schieber. Die Bohnen rasseln in den 160 Grad heissen Bauch der Probat. Das Fensterchen an der Trommel zeigt: Die Bohnen beginnen in der Hitze zu tanzen. 

Knallende Häutchen

Hürst weicht jetzt keinen Schritt von seiner Probat, sie knistert leise vor sich hin. Immer wieder zieht er den Probestecher heraus. Führt vor, wie die Bohnen sich vom Grün in ein Gelb und dann in ein Braun verwandeln. Kommentiert den Geruch, der sich ebenfalls ändert und «Popcorn-ähnlich bis zimtig» wird. «Schau, wie die Bohnen ‹schaffen›!» Die heiss glänzenden Böhnchen im Probestecher weisen die typischen Kerben der Kaffeebohnen auf. Die einen haben sich geöffnet und lassen den Kaffeekern durchschimmern. «Hörst du, jetzt spicken die Silberhäutchen weg», sagt er – sein Ohr eng an der Trommel. Als gelte es, eine geheime Botschaft zu empfangen. Die Silberhäutchen werden sogleich durch einen Filter abgezogen und landen als einziges Abfallprodukt der Röstung in einem Auffangbehälter. Die knallenden Häutchen bedeuten Hürst: Das Wasser ist jetzt aus den Bohnen getreten. Die erste Röststufe ist bald erreicht. Ideal für eine leichte Röstung, etwa für Filterkaffee. 

Aber Kaffeepur will den Kaffee dunkler geröstet. Je nach Wetterlage, Luftfeuchtigkeit und Temperatur gibt der Röster seinen Kaffees 16 bis 20 Minuten Zeit, ihr Aroma zu entwickeln. Zum Vergleich: Die computergesteuerte Röstung von Commodity-Kaffees, die an der Rohstoffbörse gehandelt werden, dauert nur drei bis vier Minuten. Dani Hürst notiert Temperaturen, dreht an Überdruckventilen. Wie er die Röstung im Detail steuert, bleibt Betriebsgeheimnis.

Neue Kaffee-Erlebnisse

«Wir hören auf die Bohne», erläutert Hürst die Röstphilosophie von Kaffeepur. «Wir sehen uns nicht als Laboranten. Wir gehen das Rösten gefühlsmässig an. Mit allen Sinnen. Übers Sehen, Riechen, Hören.» Das unterscheidet kleine Röstereien von den grossen Kaffeeunternehmen, deren industriell verarbeiteter Kaffee immer gleich schmecken soll. Grosse Unternehmen mischen bis zu 30 Sorten zusammen. Wenn einmal eine ausfällt, ersetzen die Kaffeetester sie durch eine ähnliche. Und die Kunden, die ihre immergleiche Mischung lieben, sind zufrieden. Kaffeepur hingegen setzt auf Kaffees, die anders schmecken und spezielle Geschmackserlebnisse bescheren. «Uns ist die Breite des Sortiments wichtig. Unsere Kunden sollen immer wieder etwas Neues entdecken.»

Im Kaffeepur gibt es immer wieder neue Kaffees zu entdecken. Dani Hürst verkauft rund 30 verschiedene Sorten. Foto: Julia Antoniou

Der Kaffee röstet seiner Vollendung entgegen. Dampfwolken treten jedes Mal aus, wenn Hürst den Probestecher aus der Trommel zieht. Die Kaffeekerben haben sich wieder «geschlossen». Die Bohnen entspannen sich, werden schrumpeliger. «Wir machen eine Espressoröstung. Wir streben den Punkt an, bei dem Säure, Aroma und Röststoffe voll entwickelt und im Gleichgewicht sind», erklärt er. Dieser magische Punkt ist jetzt erreicht. Hürst öffnet die Trommel; die Bohnen prasseln in den Abkühlteller, wo drei Rührarme sie augenblicklich durchfurchen. Auf dem Kühlgitter wird die heisse Luft abgesaugt, um den Röstprozess möglichst schnell zu unterbrechen. Spätestens jetzt riecht es typisch nach geröstetem Kaffee.

Kleinbauernfreundlich

Dani Hürst lässt seine Hände wie ein Kamm durch den leicht erkalteten Kaffee gleiten und sortiert zu kleine oder zu grosse Kaffeebohnen aus. Die nächste Charge ist bereit: eine Rarität aus Burundi. «Wir positionieren uns auch durch Kaffeespezialitäten. Über die Organisation Cup of Excellence bieten wir seltene Kaffees von hoher Qualität an.» Cup of Excellence arbeitet mit Kleinbauern zusammen. Sie testet und juriert deren Kaffeemuster auf einer Skala von 1 bis 100 und versteigert die besten Kaffees. Die Erlöse kommen wiederum den Kleinbauern zugute; sie lösen ein Vielfaches wie für normalen Kaffee. «Eine gute Sache», findet Hürst. «Wir erhalten immer wieder ‹neuen Stoff›, und unsere Kunden schätzen es, bei uns Kaffees in limitierter Edition zu finden.»

Der ausgekühlte Kaffee rieselt nun in ein Becken, von wo er in die Sortieranlage gelangt. Dort bleiben Steinchen und Metallstücke zurück, während die guten Kaffeebohnen im Ansaugkanal der letzten Station des Röstprozesses entgegenschweben: dem Abfülleimer. In einer Wolke von würzigem Kaffeeduft wird Hürst zehn Eimer frisch gerösteten Kaffee zurück zum Shop fahren. Dort hilft ihm Valentin Schmid, die Bestellungen zu bearbeiten, die Lieferungen zu verpacken und die Kaffeespezialitäten zu verkaufen. An der Degustiertheke servieren beide ihren Kunden gern einen Espresso oder einen Cappuccino. Mindestens alle zwei Tage gibt es neuen Kaffee zu probieren. Pur oder mit Zucker. Und immer hocharomatisch.

Kaffeepur – Kaffees für Liebhaber

Kaffeepur ist eine kleine Kaffeerösterei mit Verkaufsladen und Kaffeetheke in Zürich-Wiedikon. Sie bietet ein breites Sortiment von rund 30 Kaffees in drei Qualitäten: sortenrein (Single Origin), harmonische Mischung (Blend) oder Grand Cru (Rarität), zum Beispiel von Cup of Excellence. Wie beim Wein gibt es in der Welt des Kaffees eine reiche Geschmacksvielfalt zu entdecken. Afrikanische Kaffees schmecken eher fruchtig, mittelamerikanische Kaffees schokoladig oder nussig. Kaffees aus Südamerika gelten als frisch wie Weissweine, solche aus Asien als schwer und herb wie Rotweine.