21.07.2015
FOTO UND TEXT: Hakan Aki

Nur einige Minuten vor dem Start nimmt Rainer Maria Salzgeber einen Trailer zur Live-Sendung auf. 

So entsteht «Sport aktuell»

«Ich lebe meinen Traum» 

Seit mehr als 20 Jahren ist Rainer Maria Salzgeber das Aushängeschild von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) im Fussball. Was es alles braucht, bis der Moderator eine Live-Sendung gestalten kann, zeigt der Blick hinter die Kulissen. 

«Das ist ‹Sport aktuell›. Guten Abend, meine lieben Zuschauerinnen und Zuschauer.» Mit diesen Worten begrüsst Rainer Maria Salzgeber kurz vor halb elf Uhr die Fernsehzuschauer. Es ist die letzte Sendung vor seinen Ferien. Für die nächsten drei Wochen wird der Moderator das Mikrofon gegen das Lenkrad eines Wohnmobils eintauschen. Es geht in die USA. Aber bevor es so weit ist, liegt die SRF-Sendung «Sport aktuell» vor ihm. Bereits hinter sich hat er einen langen Arbeitstag.

Reine Männerrunde

Seine Vorbereitungen zur Live-Sendung hat Rainer Maria Salzgeber am frühen Nachmittag begonnen. Bekleidet mit Polo-Shirt, kurzer Hose und einem Pullover über den Schultern, betritt der 45-jährige Walliser den Redaktionsraum im dritten Stock des Schweizer Fernsehens in Zürich-Oerlikon. Er kommt vom Golfspielen.

Im Sitzungszimmer sind neben dem Sendungs-produzenten noch eine Handvoll Redaktoren, die über den heissen Sporttag berichten sollen. Eine reine Männerrunde. Dienstags und freitags, wenn die Sendung ausgestrahlt wird, beginnt Salzgebers Arbeitstag um 14 Uhr. Teamkollegen haben da schon Vorarbeit geleistet. Nach nur einer halben Stunde steht fest, dass sich «Sport aktuell» an diesem Julitag mit den Themen Tennis und Tour de France befassen wird. Die Gründe liegen auf der Hand: Roger Federer spielt um den Einzug in den Wimbledon-Final. «Es wäre das zehnte Mal von King Roger auf dem heiligen Rasen von Wimbledon», wirft einer der Redaktoren in die Runde ein. Martina Hingis schreibt Geschichte und steht im Halbfinal sowohl in der Doppelkonkurrenz der Frauen als auch im Mixed-Turnier der «All England Championships». Rainer Maria Salzgeber hört aufmerksam zu, die Stimmung ist locker und familiär.

«Wir müssen über Froome berichten», ruft einer der Redaktoren. Aus Respekt vor Tony Martin, der am Vortag bei der Tour de France stürzte, startet der neue Leader des Klassements, Chris Froome, nicht im gelben, sondern im schwarzen Trikot. 

Kollektives Fernsehschauen

Die Aufträge für die vorgesehenen Berichte sind gefasst; als Erstes geht es an das kollektive Fernsehschauen. Ob im Newsroom oder am Schnittplatz: Alle fiebern mit. Hier eine Boris-Becker-Rolle von Novak Djokovic, dort ein Überholmanöver bei der «Tour der Qual». Während sie fleissig an ihren Berichten schreiben, schielen die Redaktoren mit einem Auge auf die TV-Monitore. 

Nach 2:21 Stunden steht der erste Wimbledon-Finalist fest. Die Weltnummer eins, Novak Djokovic, hat es geschafft. Mittlerweile ist es 16.30 Uhr. Ein Hauch von Hektik kommt auf. Das über zweistündige Spiel soll für die Sendung auf knappe drei Minuten gekürzt werden. Der Cutter fragt den Redaktor, der mit ihm vor dem Computer sitzt, welche Szenen er schneiden soll. Im ersten Satz ist die Szene ab Minute 14:25 gefragt, jene mit Djokovics spektakulärer Boris-Becker-Rolle. Der Redaktor feilt derweil am Text zur Szene. Nur 20 Minuten nach Spielende ist der Beitrag fertig geschnitten. Nun geht es ans Vertonen. Der Redaktor spielt das Video ab und beginnt seinen Text zu sprechen, den er vom Computer abliest. Kurz nach 17 Uhr ist der Bericht sendefertig.

Perfektionist Salzgeber  

Aus dem Sportmoderator Salzgeber, den alle «Salzi» nennen, wird auf einmal der Journalist Salzgeber: Wie häufig hat Djokovic gegen Gasquet gewonnen? Das wievielte Aufeinandertreffen der beiden Tennis-Cracks Djokovic und Federer könnte es werden? Wie oft hat es eine Tennisspielerin sowohl im Doppel als auch im Mixed in Wimbledon in den Final geschafft? Der Walliser recherchiert akribisch. «Gleichzeitig überlege ich, wie ich die Sendung beginnen soll und wie ich meine Vorankündigungen zu den Berichten gestalte», erzählt er. 

«Aufgegeben habe ich nie.»

Rainer Maria Salzgeber

Rainer Maria Salzgeber schreibt seine Moderationen selber. Fein säuberlich. Von der Begrüssung bis zur Verabschiedung: Jeder Programmpunkt erhält eine eigene Moderationskarte, die Handvoll Karten ist durchnummeriert. Alles ist genau strukturiert. An Salzgebers Sorgfalt und der Liebe zum Detail hat sich auch nach 20 Jahren beim Schweizer Fernsehen nichts geändert. 

«Förmlich aufgedrängt»

Der Weg dorthin war steinig. Nach seiner Matura suchte Rainer Maria Salzgeber über das Radio den Einstieg ins Fernsehen. «Ich drängte mich mit meinem Bewerbungsdossier und den Kassetten mit Sprechproben förmlich auf und wurde doch immer wieder vertröstet», sagt er heute. «Aufgegeben habe ich nie, weil dieser Job mein Traum war. Ich habe von Anfang an gewusst – ich kann nicht scheitern.» 

Als nach dem Bewerbungsgespräch bei SRF klar war, dass Rainer Maria Salzgeber den Job als Moderator hat, habe er sein Auto auf der Heimfahrt kurzfristig auf dem Seitenstreifen parkiert, sei ausgestiegen und habe lauthals geschrien, erzählt er mit einem Lächeln. «Ich musste mir einfach Luft verschaffen», so der Walliser. Dieser Rainer Maria Salzgeber, der mit zweitem Namen Maria heisst, weil er an Maria Himmelfahrt zur Welt kam und den alle im Studio nur «Salzi» nennen, ist seit 1994 bei SRF tätig. 

Der Moderator wird per Airbrush für die Sendung geschminkt.Foto: Hakan Aki

Garderobenwechsel

Mittlerweile ist es kurz nach 18 Uhr. Zeit für das Abendessen. Der Fleischliebhaber bestellt etwas vom Grill. Dazu trinkt Rainer Maria Salzgeber Wasser und erzählt von seiner geplanten USA-Reise, die unter anderem nach Washington führen soll. 

«So und jetzt kurz noch Federer schauen», sagt er auf dem Weg zurück in den Newsroom. «King Roger» hat soeben den zweiten Satz mit 7:5 gegen Andy Murray gewonnen. Nebenher recherchiert der Moderator Sportnews für den Nachrichtenblock. Danach ist der grossgewachsene, athletische Fussballliebhaber verschwunden. Kurze Zeit später taucht er mit gestreiftem Hemd, langer schwarzer Hose und Sakko wieder auf. Zur Maske geht es durch einen langen Flur. Das Gebäude des Schweizer Fernsehens ist ein in sich geschlossenes Labyrinth. 

Schminken, pudern, Trailer aufnehmen

Gut gelaunt und tiefenentspannt nimmt der Wahlzürcher gegen 21 Uhr Platz vor einem Wandspiegel und bekommt vom Maskenbildner einen Umhang umgebunden. Auch ihm erzählt der Fernsehmann, dass er heute seine letzte Sendung vor seinen Ferien moderiert. Plötzlich hält der Visagist etwas in der Hand, das wie eine Luftdruckpistole aussieht. Es ist ein Airbrush, mit dem er den Moderator schminkt. Anschliessend wird Rainer Maria Salzgeber noch gepudert, damit sein braungebranntes Gesicht vor der Kamera nicht glänzt.  

Mit einem freundlichen «Wir sehen uns später …» verabschiedet sich der Sportmoderator. Ein paar Türen weiter betritt er einen spärlich beleuchteten Raum, steigt die Stufen einer Treppe hinunter und murmelt dabei vor sich hin: «… und ausserdem ist das nicht der einzige Final mit Schweizer Beteiligung: Auch Martina Hingis steht im Final des Frauen-Doppels von Wimbledon …» 

Unten angekommen, öffnet er eine Tür und steht im Studio 6. Hier wird in knapp einer halben Stunde «Sport aktuell» live gesendet. Bevor es so weit ist, gilt es, einen kurzen Trailer, also eine Ankündigung der Sendung, aufzuzeichnen. Dieser wird bis zum Beginn der Live-Sendung mehrmals ausgestrahlt. Rainer Maria Salzgeber benötigt zur Aufnahme des Vorspanns lediglich zwei Anläufe, und der Text ist im Kasten. Danach verabschiedet er sich noch einmal für kurze Zeit von der Bildfläche.

Kurz vor Beginn der Sendung im Regieraum.Foto: Hakan Aki

News in letzter Minute 

Es ist 22.05 Uhr. Noch eine Viertelstunde, bis es losgeht. Im Regieraum werden die letzten Kameraeinstellungen geprobt. Rainer Maria Salzgeber ist wieder mit von der Partie und steht im Studio. Lichteinfall, Kameraposition, Standposition des Moderators: Alles passt.

Der 45-jährige Rainer Maria Salzgeber stammt aus Brig (VS) und ist seit 1994 bei SRF. Über das Radio fand der Walliser den Weg zum Fernsehen. Der Sportmoderator ist hauptsächlich im Fussball zu finden: Als Jugendlicher stand Rainer Maria Salzgeber zwei Spielzeiten beim FC Brig zwischen den Pfosten. Der Moderator erhielt mehrfache Ehrungen, zum Beispiel 2008 als Schweizer Sportjournalist des Jahres. Rainer Maria Salzgeber ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er lebt in Zürich.

Eigentlich könnte es jetzt anfangen. Plötzlich kommt Hektik auf. «Bastian Schweinsteiger wechselt vom FC Bayern zu Manchester United nach England», ruft ein Mitarbeiter durch den Raum. «Können wir uns die Meldung von sicherer Stelle bestätigen lassen? Sollen wir sie bringen?» Das Telefon klingelt: Sendestart ist 22.22:12 Uhr. Das bedeutet, die Sendung beginnt zwei Minuten und zwölf Sekunden später als geplant. «Salzi, heute 22.22:12 Uhr», gibt der Regisseur ins Studio an Rainer Maria Salzgeber weiter, der mit einem Knopf im Ohr mit der Technik verbunden ist. 20 Stunden Planung für 23 Minuten Sendung. Plötzlich geht es schnell. «Salzi, noch fünf, vier, drei, zwei, eins und los.» «Das ist ‹Sport aktuell›. Guten Abend, meine lieben Zuschauerinnen und Zuschauer ...»

Dann ist es geschafft, die Sendung ist zu Ende. Die Uhr zeigt 22.45 Uhr. Nach 20 Stunden Planung und Vorbereitung mit Hilfe von rund 20 Mitarbeitern, die an der Produktion beteiligt waren, ist der Sporttag thematisch abgehandelt. Rainer Maria Salzgeber kann so entspannt gehen, wie er gekommen ist – und zwar in seine Ferien.