14.03.2018
FOTOS UND TEXT: Anita Merkt

Für so eine Kletterleistung braucht es einen langen Atem. Das gilt für Frauen auch in der Politik.

Frauentag

Kletterpartie an die Spitze

Am Internationalen Frauentag erklomm die Freeclimberin Simone Jungo den Berner Käfigturm. Politikerinnen wollten mit der Aktion aufzeigen, wie schwierig es ist, als Frau ein hohes politisches Amt zu erobern.

Behänd hangelt sich die Freeclimberin Simone Jungo den Berner Käfigturm empor. Jeder Griff sitzt, die Füsse in den weichen Kletterschuhen ertasten routiniert jeden Sims, den die Sandsteinblöcke ihr bieten. Wie ein Frosch klebt die drahtige Frau mit gespreizten Beinen an der Fassade des fast vierhundertjährigen Turms. Die Arme ziehen kraftvoll, die Beine schieben den Körper nach oben.

Die Kletteraktion am Käfigturm hat Symbolcharakter. Am Internationalen Frauentag wollten die Berner Politfrauen damit zeigen, wie schwierig es ist, sich als Politikerin nach oben zu kämpfen. «Die Freeclimberin Jungo kann ihre eindrückliche Leistung nicht ohne Vorbereitung und langen Atem erbringen», erklärte die Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen (EKF), Simone Curau-Aepli, nach der Kletteraktion im Käfigturm. «Es braucht einen steten Muskelaufbau, Konditionstraining, mentale Stärke und die Freude, eine besondere persönliche Leistung zu erbringen», stellte sie fest.

Die Freeclimberin figuriert auch im Polit-Spot, den die EKF am Frauentag lancierte. Er zeigt neun aktive Politikerinnen, die andere Frauen motivieren, ein politisches Amt anzustreben. Umweltministerin Doris Leuthard macht Frauen auf Italienisch, Französisch und Schweizerdeutsch Mut, sich mehr zuzutrauen. Die CVP-Politikerin wäre bei der Lancierung des «halbe-halbe»-Spots im Käfigturm gerne dabei gewesen. Ihr Amt und die laufende Session verhinderten dies jedoch.

«Wir lassen uns nicht aufhalten», erklärte die Präsidentin der Eidgenössischen Frauenkommission, Yvonne Schärli (rechts), am 8. März vor dem Berner Käfigturm. Unter dem Käfigturm verfolgten die Zuschauerinnen gebannt die Kletteraktion der Freeclimberin Simone Jungo. So eine Fassade zu erklettern, erfordert Geschmeidigkeit, die richtige Technik und eine gute Kondition. Simone Jungo auf ihrem symbolischen Weg an die Spitze. Simone Jungo gibt nach der Kletteraktion ein Interview. EFK-Vizepräsidentin Simone Curau-Aepli stellte in Bern das Kampagnenvideo «halbe-halbe» vor. Bekannte Politikerinnen ermutigen darin andere Frauen, sich in der Politik zu engagieren. Konferenz-Güetsi mit den Symbolen für Frau und Mann. SP-Co-Präsidentin Flavia Wasserfallen hatte bei der Medienkonferenz ihren Sohn dabei.

Curau-Aepli erinnerte daran, dass Frauen in der Schweiz erst 1971 politische Rechte auf Bundesebene zugestanden wurden. Heute sei knapp ein Drittel der Mandate im Bundesparlament und in den Kantonsparlamenten in der Hand von Frauen. Auch in Regierungsämtern liegt der Frauenanteil bei einem Drittel. Im Bundesrat sind derzeit nur zwei von sieben Mitgliedern Frauen. Justizministerin Simonetta Sommaruga machte bereits darauf aufmerksam, dass sie als einzige Frau im Bundesrat übrig bleiben könnte, wenn Doris Leuthard 2019 die Regierung verlässt.

Der Bundesstatistiker Werner Seitz kam 2015 zum Schluss, dass der Schwung, mit dem die Frauen in den 1990er-Jahren die politischen Institutionen eroberten, abgeflaut ist. So sei der Frauenanteil im Ständerat seit 2003 wieder gesunken und betrage gerade noch 15 Prozent.
Der Anteil der kandidierenden Frauen stagniert seit 1991 über alle Parteien hinweg bei rund einem Drittel.

Gefühlsmässig werde das quasi als Parität wahrgenommen, sagte Curau-Aepli. «Der Grundtenor in manchen bürgerlichen Parteien und darüber hinaus ist, dass ein Drittel genügt oder sogar gut ist», erklärte die Vizepräsidentin der EKF. Bei den letzten Nationalratswahlen lag der Anteil der kandidierenden Frauen bei der CVP bei 34 Prozent, die SVP besetzte gerade mal 19 Prozent der Listenplätze mit Frauen. Bei der SP und den Grünen sah es mit 47 und 50,6 Prozent für die Frauen schon besser aus.

Mit dem Spot «halbe-halbe», der sich über die sozialen Medien und auf Anlässen der Parteien verbreiten soll, fordert die EFK, der Hälfte der Bevölkerung auch die Hälfte der politischen Mandate zuzugestehen. Insbesondere die bürgerlichen Parteien ruft die EKF auf, bei der Listenbildung für die Parlamentswahlen 2019 Frauen stärker zu berücksichtigen. In Bezug auf organisatorische, fachliche und finanzielle Ressourcen seien die Parteien gefordert, Frauen bessere Bedingungen zu bieten.

Was muss passieren? Lisa Mazzone, Grünen-Politikerin aus Genf im Interview

Warum sollen Frauen die Hälfte der politischen Ämter übernehmen?
Frauen sind in der Politik unterrepräsentiert. In einer wirklichen Demokratie müssten beide Hälften der Bevölkerung aber gleich stark vertreten sein. Es wäre falsch, zu warten, dass Männer Macht an Frauen abgeben und uns einladen, uns stärker zu beteiligen. Frauen machen andere Lebenserfahrungen als Männer. Es ist legitim, dass unsere Anliegen genauso viel Berücksichtigung finden wie die der Männer. Darum müssen wir uns engagieren und uns unseren Platz nehmen.  

Man hört immer wieder, dass Frauen keine Führungspositionen anstreben. Stimmt das?
Früher haben die Männer auch behauptet, dass Frauen nicht wählen möchten. Damit mehr Frauen politische Verantwortung übernehmen, müssten die Parteien mehr Frauen auf ihre Wahllisten setzen. Und zwar auf die oberen Listenplätze und nicht nur unter ferner liefen. Die Parteien müssten die Frauen fragen, ob sie sich aufstellen lassen wollen, und klarmachen, dass es in der männlichen Welt einen Platz für sie gibt.

Wie läuft das bei den Grünen?
Wir haben elf Grüne im Nationalrat, davon sind sechs Frauen. Die Grünen Genf haben die Listenparität in die Parteistatuten geschrieben. Auch auf den beiden ersten Listenplätzen müssen je ein Mann und eine Frau stehen. Es gibt sehr fähige Frauen, aber ohne Regeln in den Statuten haben sie schlechte Karten.

Was hat Sie ermutigt, in die Politik einzusteigen?
Ich habe früh angefangen, mich politisch zu engagieren, und habe zum Beispiel ein Jugendparlament gegründet. Es gab ein paar ältere Frauen, die mich immer ermutigt und unterstützt haben. Das war sehr wichtig für mich. Von Männern habe ich erst Anerkennung und Unterstützung erfahren, als ich schon Erfolge hatte.