11.05.2017
FOTO UND TEXT: Robert Hansen

In Andermatt entstehen Ferienresidenzen, in Göschenen zerfällt das Hotel Bahnhof.

Verbaute Bergidylle

Die ungleichen Nachbarn

Zwei Bergdörfer mit wechselvoller Geschichte zu ungleichen Zeiten. Während in Andermatt hunderte von Millionen Franken in Ferienappartements fliessen, droht in Göschenen weitere Abwanderung. Dabei war Göschenen zu Zeiten des Bahntunnelbaus am Gotthard das grösste Dorf von Uri. Eine fotografische Gegenüberstellung.

Göschenen und Andermatt waren nicht das Ziel. Der Durchgangsverkehr prägte die Nachbardörfer, wenn auch in unterschiedlichem Kontext. Seit dem ersten begehbaren Weg durch die Schöllenenschlucht im 13. Jahrhundert lagen die beiden Nachbardörfer an der Nord-Süd-Achse über den Gotthardpass. Säumer halfen den Händlern, ihre Waren zu transportieren, Pilger nutzten den Pfad, Söldner gelangten zu ihren Feldherren, Bauern trieben ihr Vieh über den beschwerlichen Weg. Ab 1830, mit der ausgebauten Strasse, waren imposante Postkutschen unterwegs – bis 1882 der Bahntunnel eröffnet wurde.

Während des Baus des Gotthard-Bahntunnels von 1872 bis 1882 war Göschenen das grösste Dorf von Uri mit annährend 3000 Einwohnern. Fortan nahmen Menschen und Waren den schnellen Weg mit der Bahn, und das erstmals ganzjährig. Andermatt wiederum gewann als strategisch wichtiger Ort an Bedeutung, und das Militär war mehr als ein Jahrhundert lang omnipräsent. Gleichzeitig etablierte sich Andermatt zum Ziel von Touristen und wurde Verkehrsknotenpunkt. Seit 1864 führt eine Strasse über den Oberalppass. Die Schöllenenbahn ist seit 1917 in Betrieb. 1926 nahm die Furka-Oberalp-Bahn den Verkehr auf. Seit 1980 der Gotthard-Strassentunnel eröffnet ist, bewegt sich nur noch ein Bruchteil des Verkehrs über die alte Gotthard-Passstrasse. Seit Anfang 2017 hat auch Göschenen an verkehrstechnischer Bedeutung verloren. Brausten einst bis zu 250 Züge täglich über die Gotthardrampe, fahren heute nur noch 50 Züge durch den Gotthardtunnel. 

Heute sind beide Dörfer Ausgangspunkt für Wanderungen in hochalpine Regionen, Velofahrer wählen die Orte für ihre alpenquerenden Touren, Motorräder donnern im Sommer und Herbst auf den Umfahrungsstrassen an den Orten vorbei, Oldtimer schnauben über die Passstrassen.

Beide Orte erzählen ihre unterschiedliche Geschichte, hier subtil, dort pompös. Die fotografische Gegenüberstellung zeigt eine subjektive Momentaufnahme von einem Tag in der Zwischensaison.  

Die dazugehörende Reportage ist in der Ausgabe Frühling 2017 der Fachzeitschrift «blickwinkel» zu lesen. Bestellungen über diesen Link: www.derarbeitsmarkt.ch/de/bestellung

 

Fotos: Robert Hansen