29.06.2015
FOTO UND TEXT: Ines Schöne

Die erste schwimmende Jobmesse 2015 auf der «MS Sonnenkönigin».

Jobmesse

Das scheue Wild einfangen

Ingenieure mit Berufserfahrung sind schwer zu rekrutieren. Die Publikation des deutschen Ingenieurverbands «VDI-Nachrichten» hat für KMU die schwimmende Jobmesse ins Leben gerufen, die Bewerber anlocken soll, im In- und Ausland.

Morgens um 9 Uhr im Hafen von Konstanz beziehen 16 mittelständische Unternehmen ihre Stände, jedes mit der gleichen Ausstattung. Zwei Angestellte des Personals und zwei Fachleute vertreten im Schnitt eine Firma. Sie legen Schauprodukte, Prospekte und bunte Kugelschreiber aus. Zur Dekoration des Standes hängen sie ein paar Banner mit Leitsprüchen auf. Um 10 Uhr fällt der Startschuss.

Passive Bewerber anlocken

Der Fachkräftemangel bei Ingenieuren ist seit Jahren hoch. Wer hilft Firmen dabei, passende Kandidaten anzulocken? Die «VDI-Nachrichten» als Wochenzeitung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) haben seit 2002 Erfahrung im Organisieren von Jobmessen. Dieses Jahr haben sich die Verantwortlichen etwas Besonderes einfallen lassen: die schwimmende Karrierebörse auf dem Eventschiff «MS Sonnenkönigin» zwischen Konstanz und Lindau auf dem Bodensee.

«Ingenieure wollen Information»

Jürgen Rizzo, VDI Verlag

Ingenieure mit Berufserfahrung, die sofort mit der Arbeit beginnen könnten, sind bei den anwesenden Firmen besonders begehrt. Im Gegensatz zu Grossbetrieben wie Siemens, ABB, Mercedes-Benz oder BMW stellen sie keine Hochschulabsolventen ein, die sie dann selbst ausbilden. Die schwimmende Jobmesse möchte passive Bewerber anlocken, die bereits eine gute Stelle haben, aber für einen Karriereschritt offen wären. Diese werden in Lindau erwartet, wo das Schiff pünktlich um 14 Uhr in den Hafen einläuft.

Zurückhaltender Menschenschlag

Das Volk der Ingenieure bevorzugt den unauffälligen Auftritt in adretter Freizeitkleidung, zuweilen auch im Anzug. Gezwirbelte Schnauzbärte, blumige Krawatten und trendige Tattoos lehnt es ebenso ab wie funkelnde Edelsteine, hochhackige Schuhe oder Nasenpiercings. Dafür hat es das eine oder andere kostspielige Chronometer am Handgelenk. Bedächtig, aber zielgerichtet betritt es das untere Deck des Schiffs.

Die Jacke an der Garderobe abgeben, am Empfangstisch kurz den Namen nennen und die Grösse der Messe erfassen – im Nu erledigt. Im einige Dutzend Meter langen Schiffsrumpf machen weder laute Musik noch schrille Leuchtreklamen störend auf sich aufmerksam. In der Mitte des Raumes stehen drei Infosäulen mit Jobangeboten, 15 Anzeigen pro Aussteller. «Ingenieure wollen Information», kommentiert dies Jürgen Rizzo vom VDI-Verlag.

Der VDI
Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat seinen Sitz in Düsseldorf. Er ist in 34 Bezirksvereinen über die Bundesrepublik Deutschland verteilt. Die «VDI-Nachrichten» erscheinen im VDI-Verlag, sind das Publikationsorgan des VDI und erscheinen wöchentlich in einer Auflage von zirka 170 000 Exemplaren. Zu 40 Prozent gehören sie dem Handelsblatt.

Ein gutes Gespräch führen

Vor dem Stand seiner Wahl angekommen, sucht der leise Bewerber den Blickkontakt. Ist dieser gefunden, lässt er sich mit einem einfachen «Hallo» an einen Stehtisch einladen. Während der Personaler oder der Fachmann kurz die Firma präsentiert, fasst der Bewerber Vertrauen. Er holt seinen Lebenslauf hervor, erklärt sachlich bis eifrig seine Fachkenntnisse und stellt die eine oder andere Frage.

In ein paar Minuten ist geklärt, ob der Bewerber oder die Bewerberin die richtige Qualifikation hat und von der Persönlichkeit her zur offenen Position passt. «Das nackte Ingenieurwissen reicht oft nicht aus. Mit Kunden zu kommunizieren, ist wichtig für Firmen», sagt Laufbahnberater Immanuel Guth in der Pause zwischen zwei Beratungsgesprächen. «Ingenieure sind introvertiert, extrovertierte gibt es weniger. Wer auf Menschen eingehen oder Lösungen präsentieren kann, ist auf dem Markt ein gesuchter Kandidat.»

Den Lebenslauf ist bestens geeignet als Einstiegsthema.Foto: Foto: Ines Schöne

Unternehmen wie EP – Engineering People – nehmen Ingenieure unter Vertrag und leihen sie an Firmen aus, oft im Rahmen von Projekten. Sie führen in Lindau pausenlos Gespräche. «Etwa ein Drittel der Bewerber hat echtes Interesse, bewirbt sich aber parallel bei mehreren Firmen», schätzt der Marketingverantwortliche Athanasios Kosmas die Situation ein. Die Messe wird sich für EP lohnen, wenn sie eine Handvoll Verträge abschliesst. Am Ende des Tages ist die Firma zufrieden, dass sie einige gute Gespräche geführt hat.

Den Unterschied machen

Zurück im Büro, werden die Aussteller auf ihre neuen Kontakte zugehen und möglichst schnell vollständige Dossiers einholen. Bewerber lassen sich oft bis zum Ende Zeit für eine definitive Entscheidung, da sie sich ihren zukünftigen Arbeitgeber aussuchen können.

Was könnten die Unternehmen noch verbessern? Einige Aussteller halten sich für gute Kommunikatoren. Es stellt sich die Frage, ob die Besucher dies auch so sehen. Jürgen Rizzo schlägt mehr Sorgfalt bei der Formulierung von Stellenanzeigen vor und eine bessere Verschlagwortung im Internet. Immanuel Guth wünscht sich dagegen eine höhere Kompromissbereitschaft bei Unternehmen, Kandidaten einzustellen, die nicht perfekt passen.

Foto: Foto: Ines Schöne

«Mit Kunden kommunizieren ist wichtig für Firmen»

Immanuel Guth, Personalberater

Die Idee einer Karrieremesse zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz scheint vielversprechend. Für eine Erstmesse ist das Schiff mit insgesamt 140 Besuchern gut besucht. Der Stand von Roche als einzigem Schweizer Unternehmen erfreut sich regen Zulaufs. Deutsche Ingenieure scheinen an der Schweiz interessiert, haben aber ein paar Informationslücken. Ein Absolvent lernt auf der Messe die wichtigsten Schweizer Online-Plattformen kennen und erfährt, dass seine Basiskenntnisse in Französisch ausreichen, um sich zu bewerben.

Um 16 Uhr ertönt das Signal. Die «MS Sonnenkönigin» nimmt Kurs in Richtung Konstanz auf. Ein Mann mit Rucksack kommt zum Aussteigen knapp zu spät und möchte das Schiff am liebsten anhalten. Die Schrecksekunde überwunden, berechnet er wohl in Gedanken die Masse, Motorleistung und Manövrierfähigkeit, während er dem sich entfernenden Anleger nachschaut. Er seufzt, dreht sich um und geht mit entspannter Miene zurück an den Stand, um das gerade unterbrochene Gespräch noch einmal aufzunehmen.