12.06.2017
TEXT: Claudia KienbergerFOTO: Simone GloorVIDEO: Simone Gloor

Grabungsleiterin Sophia Joray: «Aus den unterschiedlich gefärbten und zusammengesetzten Bodenschichten gewinnen wir weitere Erkenntnisse.»

Archäologische Grabung

Auf den Spuren der Bronzezeit

In Gränichen AG passiert Geschichtsträchtiges. Seit letztem Oktober schaufelt ein Archäologieteam die Reste einer Siedlung aus der mittleren Bronzezeit frei. Das «dunkle Zeitalter» ist in der Schweiz bislang wenig erforscht.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie das Stück eines abgebrochenen Ziegelsteins. In der Hand wiegt es leicht, obwohl sein Alter schwer lastet. Ungefähr 3500 Jahre alt ist das Objekt: eine schwarz gefärbte Keramikscherbe, wie Sophia Joray, Grabungsleiterin auf der prähistorischen Ausgrabung, verrät. Die studierte Archäologin leitet in Gränichen ihre erste Notgrabung: «Eine solche, auch Rettungsgrabung genannt, ist nötig, wenn Spuren früherer Epochen durch unmittelbar bevorstehende Baumassnahmen in ihrem Bestand gefährdet sind. Sie sind dann in der Regel unter grossem Zeitdruck von der Kantonsarchäologie freizulegen.»

Es riecht nach feuchter, schwerer Erde, und eine leichte Bise zieht über das rund 10 000 Quadratmeter grosse Feld. Die Grabungsstelle zwischen Lochweg und Lochgasse mit der Containersiedlung am Wegrand und den Hügeln mit Bauschutt unterscheidet sich beim ersten Hinsehen kaum von einer gewöhnlichen Baustelle. Die Feldarbeiter tragen signalfarbene Westen, Bauhelme, Bauarbeiterhosen, festes Schuhwerk, und sie baggern, schaufeln und graben. Doch etwas ist anders: Es sind mehr Frauen als Männer vor Ort, und die weissen Grabungszelte auf dem Areal machen neugierig.

Das Leben unserer Vorfahren erforschen
Zusammen mit einem Team von achtzehn Grabungsmitarbeitenden – alle in einem für Projektgrabungen üblichen temporären Arbeitsverhältnis – untersucht Sophia Joray seit letztem Oktober die Erde minutiös nach archäologischen Spuren. «Das Kulturgesetz schreibt vor, dass archäologische Hinterlassenschaften grundsätzlich zu schützen und zu erhalten sind. Wenn dies aufgrund eines Bauvorhabens nicht möglich ist, müssen sie vor der Zerstörung wissenschaftlich untersucht und dokumentiert werden.» Es ist deshalb notwendig, dass die Kantonsarchäologie beim Einreichen von Baugesuchen aktiv wird.

In Gränichen ist am Grabungsort eine Grossüberbauung mit zehn Mehrfamilienhäusern geplant. Tatsächlich ist die Amtsstelle auf eine Altmeldung gestossen, die den früheren Fund von prähistorischen Scherben bestätigte. Aufgrund dessen haben Archäologen den Boden untersucht und auf der ganzen Baulandfläche Überreste einer Siedlung vorgefunden. 

Die Ausdehnung der entdeckten Bronzezeitsiedlung ist insofern sensationell, als die mittlere Bronzezeit bislang in der Schweiz kaum archäologisch erforscht ist und nur wenige Siedlungsspuren bekannt sind. Zurzeit ist nur eine ähnliche Grossgrabung in Kehrsatz bei Bern im Gang.

Noch gehört die Fundstelle den Archäologen. Das unter kommunalem Denkmalschutz stehende Stöckli bleibt aber als Relikt in der Neubausiedlung stehen.
Noch gehört die Fundstelle den Archäologen. Das unter kommunalem Denkmalschutz stehende Stöckli bleibt aber als Relikt in der Neubausiedlung stehen. Foto: zVg. Béla Polyvàs, Kantonsarchäologie, Aarau

Mittlere Bronzezeit
Die mittlere Bronzezeit dauerte in Mitteleuropa etwa von 1600 bis 1300 vor Christus. Charakteristisch für diese Periode waren Metallgegenstände, die aus Bronze hergestellt wurden. Bronze ist eine Legierung bestehend aus 90 Prozent Kupfer und 10 Prozent Zinn.

Kupfer kommt im alpinen Raum vor. Zinn musste importiert werden. Forscher gehen davon aus, dass der Rohstoff damals über Zwischenhändler oder von Dorf zu Dorf weitergegeben worden ist. In Europa wurde in folgenden Regionen Zinn abgebaut: Iberische Halbinsel, England, Osteuropa.

Handwerkliches Können und Analysefähigkeiten sind gefragt
Im Fricktal wurden in der Vergangenheit immer mal Überreste von Dörfern entdeckt. Dabei stellten die Archäologen fest, dass diese Siedlungen immer an bestimmten Lagen und am Ausgang eines Seitentals im Bereich eines Bachs angelegt wurden. Warum das so ist, bleibt vorerst ein Rätsel. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Bodenfruchtbarkeit eine wichtige Rolle bei der Platzwahl spielte. Die Fundstelle von Gränichen liegt auf dem Schwemmfächer des Lochbachs, in der Nähe von mehreren Quellen. In sauren Böden verwittert organisches Material wie Holz oder auch Lehmfachwerk. «Von den Häusern bleiben nur die Negative der Pfosten als Verfärbung im Boden erhalten, aber dafür finden sich unzählige Keramikfragmente», erklärt Sophia Joray.

«Die oberste, jüngste Bodenschicht ist für uns uninteressant. Diese Schicht trägt der Baggerführer einer Aushubfirma ab», ergänzt die Grabungsleiterin. Die Arbeiten in den Kulturschichten übernimmt das Grabungsteam, denn dort liegen die Geheimnisse unserer Vorfahren begraben. Mit einem Arsenal an Werkzeugen wie Langstielkratzern, Maurerkellen, Schaufeln und Pickeln untersucht der Archäologe akribisch die Bodenschichten, immer in der Hoffnung auf einen spannenden Fund. Das Freilegen der Fundstücke und Steine erfordert von den Grabungsmitarbeitenden viel Körpereinsatz, aber vor allem präzise Handarbeit.

Praehistorische_Ausgrabung_in_Graenichen

Anja Gerth, Archäologin und Historikerin, erläutert ihre Arbeit. Video: Simone Gloor

Im Grabungszelt wird jeder Fund von jahrhundertealtem Schmutz befreit. Die Keramikscherben werden sorgfältig von Hand gesäubert, um die Oberflächenstruktur zu bewahren. Jedes Stück wird dokumentiert und danach in der Kantonsarchäologie in Brugg archiviert. Manchmal gelingt es den Konservatoren, aus verschiedenen Scherbenteilen zum Beispiel ein Gefäss zu rekonstruieren. Diese Arbeit ist zeitaufwendig und wird nur bei ausgewählten Funden gemacht.

Finanziert wird die Notgrabung vom Kanton Aargau, der dafür einen Sonderkredit gesprochen hat. Es sei deshalb ein Anliegen der Kantonsarchäologie, die Öffentlichkeit regelmässig über den Stand der Arbeiten zu informieren, sagt Sophia Joray. Im Dezember wurde ein Tag der offenen Grabung veranstaltet. Ein weiterer Anlass ist für den
16. September geplant.

Der anhaltende Bauboom in der Schweiz dürfte weiterhin Teile unseres kulturellen Erbes im Boden unter Druck setzen und zerstören. Es ist unmöglich, jede Bauparzelle nach Hinweisen von vergangenen Kulturen zu untersuchen, bevor das Land erneut überbaut wird. In Gränichen entsteht nun dank eines früheren Fundes von prähistorischen Scherben und aufgrund der typischen Siedlungslage Grosses für die Nachwelt.

Das Keramikgefäss hat ein Konservator sorgfältig rekonstruiert. Die Verfärbungen zeugen von Feuereinwirkung. Für die mittlere Bronzezeit typisch sind flächige Verzierungen, die teilweise mit Hilfe von Fingernägeln gemacht wurden. Im Grabungszelt wird jeder Fund sorgfältig gewaschen und registriert, ... ... nur so können die Funde später ausgewertet und sachgemäss gelagert werden. Das Grabungsteam arbeitet jeweils montags bis freitags, und dies bei jedem Wetter. Die Archäologin legt einen Schnittkasten an, um ein Grubenprofil zu erstellen. Die Archäologie ist bei Frauen trotz anspruchsvoller körperlicher Arbeit beliebt.  Sepp Mader ist Grabungsfotograf und gibt Profilen, Verfüllungen und Fundmaterial ein Gesicht für die Nachwelt. Die Kulturschicht muss vorsichtig abgetragen werden, um den Scherbenteppich aus Keramik zu erhalten. Archäologin Anja Gerth stellt das Tachymeter ein, um einen Befund einzumessen. Das Ziel dieser Grossgrabung ist es, den innerhalb des Bauperimeters gelegenen Teil der prähistorischen Siedlung freizulegen.

Berufsbild Archäologe
Die Wissenschaft der Archäologie beschäftigt sich mit den Zeugnissen vergangener Kulturen. Die Universitäten Basel, Bern, Fribourg, Genf, Lausanne, Neuenburg und Zürich bieten ein Archäologiestudium an. In der Regel dauert der Bachelor drei Jahre, gefolgt von einem zweijährigen Masterstudium mit Praktika. Für das Studium der klassischen Archäologie muss der Nachweis von Griechisch- und Lateinkenntnissen erbracht werden. Eine Spezialisierung ist erst beim Masterstudium möglich.

Neben der akademischen Ausbildung bereitet das Masterstudienfach auf die herkömmlichen Berufsfelder des/der Archäologen/-in für Museum, Denkmalpflege, Kantonsarchäologie sowie nationale und internationale Forschungseinrichtungen vor. Weitere Tätigkeiten sind möglich im Bildungswesen, in der Erwachsenenbildung, in Bibliotheken und Archiven, im Verlagswesen, im Journalismus und in den Medien, im privaten wie im öffentlichen Kultursektor, in Stiftungen und Fördervereinen sowie im Kultursponsoring.