«der arbeitsmarkt» 06/2015TEXT: Daniela PalumboFOTO: Simone Gloor
Spuren bleiben

Fokus Abschied

Menschen sind nicht besonders gewappnet für Abschiede. Wer einen Menschen verliert, Orte verlässt, Ziele verwirft, fordert sein Gehirn heraus. Denn Veränderungen wie eine Scheidung, ein Umzug oder ein Jobverlust, ob unerwartet oder erwartet, kosten Kraft. Um neue Eindrücke zu verarbeiten, verbrauche das Gehirn enorme Mengen an Zucker und Sauerstoff, fanden Psychologen nach einem Bericht der «Zeit» heraus. Daher versuche das Gehirn, den Energieverbrauch zu reduzieren, indem es den Menschen zu Routinehandlungen bewege. 80 Prozent der Menschen fühlten sich in der Routine wohler als beim Abschied. Nur eine Minderheit sei getrieben von Neugierde und Aufbruchslust. Das Talent zum Abschied liege diesen Sensationssuchenden in den Genen.

Wer gewisse Berufe ausübt, braucht eine solche Begabung. Die im Fokus porträtierte Reiseleiterin (siehe Seite 23) beispielsweise bricht bis zu drei Mal im Jahr auf in die Fremde, lässt ihre Familie zurück, tourt mit ihren Kunden in die hintersten Winkel der Welt und trennt sich danach wieder von ihren Begleitern und den Menschen im Reiseland. Ihr fällt der Abschied leicht. Sie ist einfach da, wo sie ist.

Ebenso professionell müssen Pflegende, die Sterbende in einer Klinik bis ans Lebensende begleiten, den Tod ihrer Patienten verarbeiten. Das Team und Rituale helfen dabei, mit dem endgültigen Abschied umzugehen. Eine Arbeit, die nicht jeder machen kann (siehe Seite 28). Abschiedsrituale erleichtern auch Berufstätigen, die ihren Job wechseln oder einfach in Pension gehen, die Veränderung zu bewältigen. Je nachdem, was der Auslöser für den Abgang ist, gestaltet sich der Ritus unterschiedlich (siehe Seite 18).

Zum Abschied gehört das Loslassen. Das müssen die meisten Menschen lernen. Tröstlich ist manchmal, dass jeder Weggang Spuren hinterlässt – Finger- und Fussabdrücke, Hautzellen, Kopfhaare, Erinnerungen oder Gegenstände – und dass er meistens neue Schätze hervorbringt: einen herausfordernden Job, bereichernde Bekanntschaften, effiziente Utensilien. So verabschieden sich manche Berufsleute gerne von altgedienten Arbeitsgeräten wie etwa der Bauer vom Melkschemel, der Lehrer vom Hellraumprojektor, der Bibliothekar vom Zettelkasten, die Pflegefachfrau vom Quecksilberthermometer, der Karosseriespengler vom Zinnstab und der Zugführer vom Knipser. Sie wurden ersetzt durch handlichere Werkzeuge und besitzen höchstens noch nostalgischen Wert. 

 

Zur PDF-Version: