«der arbeitsmarkt» 10/2005

In der eigenen Stube statt im firmeneigenen Büro

Arbeit zu Hause liegt dank neuer Technologien voll im Trend. Roland Ronchi, Geschäftsführer der Schweizerischen Zentralstelle für Heimarbeit (SZH),nennt die Vorteile für Arbeitnehmende und Arbeitgebende und begründet, weshalb dieses Arbeitsmodell für Arbeitslose kaum Chancen bietet.ٔ

«der arbeitsmarkt»: Herr Ronchi, ist Heimarbeit noch zeitgemäss?
Roland Ronchi: Absolut. Wenn ich die Vorteile dieses Arbeitsmodells betrachte,
ist Heimarbeit auf alle Fälle zeitgemäss, weil es die Wirtschaftlichkeit und die Flexibilität für den Unternehmer steigert. Die neuen Kommunikationstechnologien ermöglichen in zunehmendem Masse die Verlagerung zahlreicher Arbeitsprozesse in private Wohnräume. Man ist nicht mehr an den Arbeitsort in der Firma gebunden. Heimarbeit ist absolut im Trend, aktuell und modern.

Wer verrichtet Heimarbeit?
R.R.: Wir haben wenig gutes statistisches Zahlenmaterial. Aber aus der Praxis kann
ich berichten, dass im Heimarbeitsmarkt mehr als 75 Prozent Frauen beschäftigt sind. Ein Grossteil ist im industriellen und gewerblichen Bereich tätig. Der Dienstleistungsbereich mit der Teleheimarbeit nimmt den kleineren Teil ein.

Welche Firmen bieten Heimarbeit an?
R.R.: Heimarbeit ist nicht branchenspezifisch ausgerichtet. Im industriell-gewerblichen Bereich sind es die Druck- und Papierindustrie, die Maschinenindustrie und nach wie vor die Textil- und Uhrenbranche. Im Dienstleistungsbereich sind es vor allem einfache Prozesse aus dem kaufmännischen Bereich, für die man nicht an den Ort gebunden ist und die vom Unternehmen ausgelagert werden können.

Gehören interne Angestellte, die teilweise von zu Hause aus Homeworking betreiben, zum Zielpublikum der SZH?
R.R.: Diese Arbeitsprozesse von zu Hause aus können auch der Heimarbeit zugeordnet werden. Wenn die Tätigkeit regelmässig ist – ein gewisser Prozentsatz zu Hause, ein gewisser in der Firma –, spricht man von «alternierender Heimarbeit». Diese Leute sind auch eine Interessengruppe, die wir durch den Verband vertreten.

Kann man die Verteilung der Tätigkeiten innerhalb der Heimarbeit prozentual beziffern?
R.R.: Wir haben dazu kein detailliertes, statistisches Zahlenmaterial, aber aus der letzten Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE) geht hervor, dass im Jahr 2004 in der Schweiz 56500 Heimarbeitsverhältnisse zu verschiedenen Pensen bestanden haben. Darin enthalten sind schätzungsweise 10000 bis 15000 Personen, die Teleheimarbeit verrichten.

Bemüht man sich um verlässlichere Angaben?
R.R.: Daran haben wir ein grosses Interesse. Eine solche Erhebung durchzuführen, liegt allerdings nicht in den Möglichkeiten unseres Verbandes. Wenn, dann müssten weitere Angaben im Rahmen der SAKE erhoben werden.

Ist die Heimarbeit in der Schweiz seit der EU-Osterweiterung rückläufig?
R.R.: Das kann ich so nicht bestätigen. Wenn man das statistische Zahlenmaterial der SAKE, das seit 1991 existiert, anschaut, muss man diese Frage verneinen. In einzelnen Wirtschaftsregionen hat Heimarbeit sogar zugenommen oder ist zumindest stabil geblieben. Arbeitsprozesse aus Grossserien werden vermehrt in Billiglohnländer vergeben, obwohl viele dieser Arbeitsprozesse für die Heimarbeit geeignet wären. So gesehen sind diese Länder die grosse Konkurrenz zur Heimarbeit.

Stellt sich die SZH dieser Konkurrenz?
R.R.: Unsere Hauptaufgabe als Fachstelle ist die Förderung der Heimarbeit, insbesondere in Rand- und Bergregionen. Die Abwanderung in diesen Regionen aufzuhalten, ist der Hintergrund des Bundesbeschlusses über die Heimarbeit. Unsere Tochterfirma Swiss Work Mobile hat den Auftrag, die aus unserer Förderungstätigkeit entstandenen Heimarbeitsgruppen zu organisieren und zu führen. Das jüngste Heimarbeitsatelier, das wir letzten Oktober eröffnet haben, befindet sich im Berner Oberland. Durch die Heimarbeit haben Heimarbeitnehmer die Möglichkeit, für Arbeitgeber zu arbeiten, die in den wirtschaftlichen
Ballungsräumen angesiedelt sind. Nicht nur diese Menschen, sondern auch alle anderen, die in Städten und Agglomerationen Heimarbeit verrichten, gehören zu unserer Zielgruppe.

Selbständige Heimarbeitende auch?
R.R.: Unser Schwergewicht ist klar die Förderung der unselbständigen Heimarbeit. Wenn man den Hintergrund berücksichtigt, weshalb wir Heimarbeit fördern, dient dazu natürlich auch die selbständige Heimarbeit. Daher können wir auch Heimarbeit unterstützen, die selbständig ausgeführt wird.

Die früheren Vermittler zwischen Fabrikant und Heimarbeitenden waren die so genannten Fergger. Gibt es sie noch?
R.R.: Kaum mehr. Der Fergger hat die Verrichtung der Heimarbeit organisiert, die Arbeit an die Arbeiter gegeben und die Erzeugnisse der Firma zurückgebracht und dafür Geld erhalten. Er hat die «Büez» und das Entgelt «hingeferggt», vermutlich stammt das Wort von daher. Viele Fergger schufen ein schlechtes Image, weil sie von ihrer Stellung profitierten und die Heimarbeitnehmenden oft schlecht bezahlten.

Wie werden Heimarbeitende entlöhnt?
R.R.: Sehr oft wird Heimarbeit nicht im Stunden- oder Monatslohn bezahlt, sondern im Stücklohn. Das Heimarbeitsgesetz sagt dazu, dass die Heimarbeitnehmenden den Anspruch auf den gleichen Lohnansatz wie
Arbeitnehmende im Betrieb haben.

Welchen rechtlichen Schutz geniessen Heimarbeitnehmende?
R.R.: Seit 1983 ist das Bundesgesetz über die Heimarbeit mit der entsprechenden Vollzugsverordnung in Kraft. Es beinhaltet öffentlich-rechtliche Schutzvorschriften für Heimarbeitnehmende und findet ergänzend zu den privatrechtlichen Bestimmungen des Obligationenrechts über den Arbeitsvertrag Anwendung.

Hat die SZH auch eine beratende Funktion, wenn Heimarbeitende ausgenützt werden?
R.R.: Es gehört zu unserer Förderungstätigkeit, dass wir auch Beratungen und Schlichtungen durchführen. Da wir paritätisch rganisiert sind, beraten und informieren wir die Arbeitnehmerschaft wie auch die Arbeitgeberschaft und arbeiten eng mit den zuständigen Behörden zusammen.

Ist die Isolation ein Problem für Heimarbeitnehmende?
R.R.: Meist üben Heimarbeitnehmende ihre Tätigkeit nur teilzeitlich aus. Davon ausgehend kann man bei einem Arbeitspensum von zehn Stunden pro Woche kaum von Isolation sprechen. Bei einer Heimarbeit mit einem Arbeitspensum von 100 Prozent könnte theoretisch eine gewisse Gefahr der Isolation entstehen, vorausgesetzt jedoch, es wird nicht in einer Heimarbeitsgruppe oder einem Atelier gearbeitet.

Kann man Atelierarbeit wirklich zur Heimarbeit zählen?
R.R.: Ja, das sieht das Heimarbeitsgesetz so vor. Heim im Sinne des Heimarbeitsgesetzes bedeutet nicht nur zu Hause, sondern auch in einem anderen, selber bestimmten Arbeitsraum. Ich hatte schon Anfragen von Firmen, die Heimarbeit anbieten wollten und beabsichtigten, in der Firma einen Arbeitsraum zur Verfügung zu stellen. Eine solche Organisation kann man nicht mehr der Heimarbeit zuordnen.

Was haben die Beschäftigungsprogramme Atelier 93, die von der SZH or-ganisiert werden, mit Heimarbeit zu tun?
R.R.: Die Hauptaufgabe unserer Organisation ist die Förderung der Heimarbeit. Ergänzend dazu sind wir aber auch Trägerorganisation von Beschäftigungsprogrammen, die wir nach dem Gründungsjahr Atelier 93 nennen. Daher kann Verwirrung entstehen, aber die Beschäftigungsprogramme Atelier 93 haben mit Heimarbeit
als solcher nichts zu tun.

Stichwort Heimarbeit und Arbeitslosigkeit: Gibt es arbeitsmarktliche Massnahmen im Bereich Heimarbeit?
R.R.: Nein, nach meinem Wissensstand gibt es solche nicht.

Weshalb gibt es keine?
R.R.: Wenn ein Heimarbeitender stellenlos wird, kann er in der Regel nicht Anspruch auf eine Erwerbstätigkeit erheben, deren Ausführung sich ausschliesslich auf sein zuhause beschränkt. Wenn man nur zu Hause arbeiten und keine auswärtige Arbeit annehmen kann, ist in der Regel die Vermittlungsfähigkeit gemäss den Vorschriften der ALV nicht gegeben.

Arbeitslose Heimarbeitende gibt es demnach nicht?
R. R.: Doch, es gibt arbeitslose Heimarbeitnehmende. Um jedoch Leistungen der ALV in Anspruch nehmen zu können, muss der Versicherte auch ausserhäusliche Arbeit annehmen können. Es gibt aber einige Ausnahmen.

Welche?
R.R.: In Betracht können gesundheitliche Probleme kommen, die eine ausserhäusliche Tätigkeit verunmöglichen. Auch die Betreuung eines pflegebedürftigen Familienangehörigen kann ein Grund sein. Die
Betreuungspflicht gegenüber Kindern stellt aber noch keinen Anlass dar.

Welche Möglichkeiten bieten sich Arbeitslosen durch die Heimarbeit?
R.R.: Da es noch schwieriger ist, im Heimarbeitsmarkt eine Stelle zu finden als im gesamten Arbeitsmarkt, sind die Möglichkeiten noch weniger vorhanden. Die Heimarbeit kann somit bei der Suche nach Arbeit nicht eine echte Alternative für Erwerbslose sein. Aufgrund der Tatsche, dass viele Erwerbslose alle Möglichkeiten auszuschöpfen versuchen, ist Heimarbeit immer wieder ein Thema.

Wie hoch sind die Chancen für Arbeitslose?
R.R.: Die Chancen sind kleiner als im übrigen Arbeitsmarkt. Viele Leute, die zu Hause Familienpflichten wahrnehmen, überlegen sich ein Zusatzeinkommen aus Heimarbeit. Vor diesem Hintergrund ist es ganz klar, dass in diesem Markt noch mehr Stellensuchende als im gesamten Arbeitsmarkt verzeichnet werden.

Im letzten Jahr meldeten sich bei der SZH 1256 Menschen, die eine Heimarbeit suchten, 168 davon konnten
vermittelt werden. Kann diese Quote gesteigert werden?
R.R.: Es sind verschiedene Faktoren, die diese Quote der Kontaktvermittlungen bestimmen und von uns nur teilweise beeinflusst werden können. Der grosse Faktor ist natürlich der Gang der Schweizer Wirtschaft. Diesen können wir nicht beeinflussen und davon ist die Vermittlungsquote sehr stark abhängig.

Was wird von der SZH unternommen, um die Quote unabhängig von der Wirtschaft zu steigern?
R.R.: Mit Werbung und PR-Massnahmen können wir Einfluss auf den Bekanntheitsgrad des Arbeitsmodells Heimarbeit bei den Arbeitgebern nehmen. Ebenso kann unsere Akquisitionstätigkeit die Vermittlungsquote erhöhen. Wir können aber wenig auf Bedürfnisse Einfluss nehmen, da unsere Möglichkeiten vom Budget eingeschränkt sind.

Wie nimmt die SZH Einfluss auf den Heimarbeitsmarkt?
R.R.: Mit der Vermittlung von Heimarbeitsuchenden nehmen wir direkt Einfluss. Indem wir Firmen beraten und allgemeine Werbung für das Arbeitsmodell Heimarbeit lancieren, nehmen wir indirekt Einfluss auf den Heimarbeitsmarkt und schaffen damit neue Arbeitsplätze.

Wie wird die Akquisition von neuen Arbeitgebern gefördert?
R.R.: Wichtig ist, dass wir Kontakt zu den Firmen herstellen und pflegen, die geeignete Arbeitsprozesse auslagern können.

Die SZH unterhält Fonds zur Förderung der Heimarbeit.
R.R.: Diese werden nicht durch die laufende Rechnung finanziert, gehören aber zur Heimarbeitsförderung. Firmen und Organisationen mit einem geeigneten Heimarbeitsprojekt können einen Antrag für Finanzierungshilfe stellen. Über die Verwendung der Fondsmittel entscheidet der Ausschuss des Schweizerischen Verbands für Heimarbeit (SVH).

Welche Kriterien müssen erfüllt sein?
R.R.: Die Entstehung neuer Arbeitsplätze und die Nachhaltigkeit sind die Hauptkriterien. Daneben gibt es weitere Kriterien wie die Tätigkeit und die Vereinbarkeit mit den SVH-Statuten. Wir unterstützen nicht jede Tätigkeit. Die Seriosität der Arbeit muss gegeben sein.

Und das Sexgewerbe?
R.R.: Dieses ist nicht mit unseren Statuten vereinbar. Ebenso unterstützen wir keine Tätigkeiten, die Multilevelsysteme anwenden, auf die selbständige Heimarbeit setzen und das Geschäftsrisiko auf ihre
Mitarbeitenden abwälzen.

Menschen, die Heimarbeit suchen, stossen oft auf dubiose Anbieter. Was unternimmt die SZH dagegen?
R.R.: Wir sind keine Kontrollstelle, aber durch unsere systematische Marktbeobachtung haben wir Kenntnis dieser Anbieter. Unsere Beobachtungen dienen dazu, Leuten, die sich bei uns erkunden, auch umfassend Auskunft geben zu können. Ebenso können wir Medienschaffenden unsere Beobachtungen mitteilen, was dazu führt, dass diese Information mit einer grossen Breitenwirkung verfügbar gemacht wird.

Wie soll ein Stellensuchender solchen Inseraten begegnen?
R.R.: Dazu haben wir eine Checkliste veröffentlicht, die helfen kann, ein Stellenangebot zu beurteilen. Kurz gesagt: Bei Kleininseraten oder wenn ein Inserat einen grossen Verdienst verspricht, muss man vorsichtig sein. Wir sagen nicht, dieses oder jenes Inserat ist dubios, sondern geben Tipps, in welchen Fällen Vorsicht angebracht ist.

Informiert die SZH aktiv über dubiose Anbieter?
R.R.: Wir haben dies auch schon in Erwägung gezogen. Wir sind aber der Meinung, dass die Eigenverantwortung jedes Einzelnen im Vordergrund stehen sollte.

Heimarbeit und Work-Life-Balance. Welche Zukunftschancen bestehen?
R.R.: Heimarbeit kann absolut dazu führen, dass eine gewisse Work-Life-Balance realisiert werden kann. In vielen Fällen ist aber Heimarbeit effektiv zu Erwerbszwecken notwendig und nicht, um die Work-Life-Balance zu optimieren.

Kann Heimarbeit ein Mittel sein, um den Mitarbeitenden eine ausgeglichene Work-Life-Balance zu bieten?
R.R.: Wenn dies eine Firma zum Ziel hat, bietet Heimarbeit dazu eine Möglichkeit. Es wäre auch eine Chance für die weitere Entwicklung der Heimarbeit. Ich glaube aber, dass nicht die Work-Life-Balance, sondern die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht.

Kontakt: Schweizerische Zentralstelle für Heimarbeit, 3001 Bern, www.heimarbeit.ch

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