«der arbeitsmarkt» 05/2007

Zwischen den Zeilen lesen

Die sorgfältige Analyse des Stelleninserats ist die Grundlage einer erfolgreichen
Bewerbung, sagt die Erwachsenenbildnerin und Mentaltrainerin Andrea Pachleitner. Im Gespräch mit dem «arbeitsmarkt» verrät sie Tipps, wie man versteckte Informationen herausliest und für den Bewerbungsbrief nutzbar macht.

der arbeitsmarkt: Frau Pachleitner, Sie leiten als Erwachsenenbildnerin Bewerbungskurse und betreuen in Ihrer Praxis Stellensuchende in individuellen Coachings. Mit welchen Fragen sollen diese an ein Stelleninserat herantreten?
Andrea Pachleitner: Die Fragestellung beim ersten Durchlesen eines Stelleninserats sollte sein: Entspricht dieser Arbeitgeber, entspricht die ausgeschriebene Tätigkeit meinem Charakter und meinen Interessen, den beruflichen und den privaten, sodass mich die Stelle auch in Bezug auf meine Lebensziele unterstützt? Für die eigene Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit im Beruf ist es entscheidend, dass Ihnen das Milieu entspricht, in das Sie sich hineinbegeben.

Sie geben der Vereinbarkeit von Beruf und persönlichen Interessen oberste Priorität.

Ja, so erspart man sich Frustrationen und wirkt auch möglichen Stresserkrankungen entgegen. Einen Job auszuhalten, der einem nicht entspricht, ist auf Dauer sehr schwierig. Auf Stellensuche beugt man sich oft dem Druck der Existenz und geht Kompromisse ein. Nach ein paar Jahren ist man dann ein Kandidat für den Arzt oder Psychiater, weil einem das Milieu, die Tätigkeit, die Bedürfnisse des Arbeitgebers widerstrebten. Darum ist es wichtig, dass man rechtzeitig erkennt, ob eine Firma auch zu einem passt.

Wie lese ich ein Stelleninserat richtig?
Befragen Sie das Anforderungsprofil nach seinen drei Dimensionen: Entspricht die Stelle meinen Fachkenntnissen, meiner beruflichen Erfahrung und meinen persönlichen Qualitäten? Und dann: Bin ich genug belastbar, um die Aufgabe bewältigen zu können? Bin ich allenfalls bereit, Anstrengungen zu unternehmen, um mich für die Stelle fit zu machen? Können Sie diese Fragen für sich mit Ja beantworten, sollte eine sorgfältige Analyse des Inserats folgen. Dafür empfiehlt sich eine Gegenüberstellung von Anforderungs- und Kompetenzprofil: Welche Qualitäten sind gefordert, welche bringe ich mit? Hier ist das Bild der Waage hilfreich: Es geht darum, den gewünschten Anforderungen das eigene Kompetenzprofil gegenüberzustellen. Beide müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Diese Analyse des Inserats wird Ihnen später beim Abfassen des Bewerbungsbriefs von grossem Nutzen sein, wenn es darum gehen wird, die Bedürfnisse des Arbeitgebers zu spiegeln.

Was zeichnet ein seriöses Stelleninserat aus?
Ein seriöses Unternehmen stellt sich immer zuerst vor. Es macht von sich aus die Tür auf, damit sich Stellensuchende ein Bild von der Unternehmenskultur machen können. Der aussagekräftigen Beschreibung des Aufgabenbereichs folgt das Anfor­derungsprofil, bestehend aus «must» und «nice to have». Mit ins Inserat gehören auch die Leistungen, die das Unternehmen seinen Mitarbeitenden bietet. Gute Firmen bieten etwa eine gründliche Einarbeitungszeit, Weiterbildungsmöglichkeiten, zusätzliche Ferientage und überdurchschnittliche Versicherungsleistungen.Auch Benefits wie Firmenwagen, Fitness-Abo oder die Möglichkeit der Infrastrukturnutzung für private Zwecke können erwähnt sein. Stellensuchende sollten sich fragen, ob das, was da versprochen wird, auch wirklich ein echtes Angebot ist. Oder ist nur von den «üblichen Versicherungs- und Sozialleistungen» die Rede? Dann handelt es sich um eine Mogelpackung, denn diese sind ja vom Gesetz ohnehin vorgeschrieben.

Sieht man denn einem Inserat an, wie seriös eine Firma ist?
Sicher, das zeigt oft schon ein erster Blick: Wenn etwa eine Firma sich nicht vorstellt, zeugt das nach meiner Ansicht von schlechtem Stil. Das ist für mich immer mit einem Fragezeichen verbunden. Mit Vorsicht sind auch hohe Gewinnversprechen zu geniessen.

Gibt es noch mehr solche Beispiele, die unseren Argwohn wecken sollten?
Aufpassen heisst es, wenn eine Stellenanzeige sehr fordernd formuliert ist, wenn im Anforderungsprofil Formulierungen wie «Sie müssen» oder «Sie sollten» auftauchen, wenn das Inserat schlecht strukturiert oder das Stellenprofil nicht klar beschrieben ist. Wird «per sofort eine selbständige, belastbare, flexible Persönlichkeit» gesucht, dann läuten bei mir die Alarmglocken. Oder das Wort «fleissig» – fleissig sind wir doch alle! Was für Erfahrungen hat man in dieser Firma gemacht, dass man glaubt, das explizit ins Inserat schreiben zu müssen? Werden dann auch noch die «üblichen Sozialleistungen» geboten, dann ist das schon eher befremdend. Hinter solchen Inseraten verbergen sich oft Stellen, wo der Mensch ersetzbar ist; solche Jobs finden sich gehäuft im Gastgewerbe und im Verkauf. Die ausbeuterische Haltung eines Arbeitgebers lässt sich aus dem Inserat genauso herauslesen wie Wertschätzung und Respekt.

Und wenn man etwas mehr in die Tiefe geht und zwischen den Zeilen liest?
Man kann ein Inserat immer danach befragen, ob es menschen- oder sachbezogen ist. Das kann sich schon in seiner Struktur zeigen: Ist es als Fliesstext abgefasst oder ist es im Wesentlichen eine tabellarische Aufzählung? Nüchterne Aufzählungen sind meist sehr sachbezogen; so werden zum Beispiel Buchhalter gesucht. Ein ausformulierter Text dagegen ist tendenziell menschenbezogen, er stellt eine Beziehung zum Leser her. Auch die äussere Form verrät einiges über ein Unternehmen; das Format der Anzeige etwa sagt viel über das Selbstverständnis und die Marktpositionierung einer Firma aus. Auf jeden Fall sollte das Inserat klar strukturiert sein. So sollten die drei Aspekte des Anforderungsprofils, von denen ich gesprochen habe, nämlich Fachwissen, Erfahrung und Persönlichkeit, im Inserat unbedingt ausformuliert sein. Wenn nur von persönlichen Qualitäten die Rede ist, die fachlichen hingegen kaum angesprochen werden, kann das bedeuten, dass bei diesem Arbeitgeber Probleme bezüglich Klarheit und Struktur vorliegen. Dann ist Vorsicht geboten, denn mit diesen Problemen würde man später im Berufsalltag immer wieder konfrontiert.

Sie haben die Form des Stelleninserats angesprochen. Was kann man beispielsweise aus dem Format für Schlüsse ziehen?
Das Format zeigt das Selbstverständnis des Unternehmens, denn das Stelleninserat hat für ein Unternehmen immer auch eine PR-Funktion. Sucht eine Firma mit einem riesigen Inserat einen Bäcker, dann handelt es sich mit Sicherheit um ein Gross-unternehmen und nicht um eine Quartiersbäckerei. Die Grösse des Inserats sagt denn auch nichts über die Bedeutung der Stellung oder die zu erwartende Wertschätzung des Arbeitgebers aus, sondern spiegelt einzig die Positionierung der Firma im Markt. Wichtig für den Stellensuchenden ist dagegen der Ton, in dem ein Inserat formuliert ist: Drückt es Wertschätzung aus? Oder ist es eher fordernd formuliert? Dies zur Kenntnis zu nehmen, hilft, sich zu entscheiden, ob das Betriebsklima, das sich da zeigt, zu einem passt und ob man sich in dem Milieu wohl fühlen und entwickeln kann.

Und die grafische Aufmachung, lässt sie sich auch deuten?
Es lässt sich auch im Stelleninserat ein Trend hin zur visuellen Kommunikation ausmachen. Heute wird die Bildersprache gezielt eingesetzt, weil man weiss, dass Bilder «hirngerechter» kommunizieren, als es die Sprache tut. Bilder wecken Assoziationen – sie sprechen unsere Bedürfnisse, unsere Sehnsüchte an. Unternehmen nutzen dieses Wissen, um künftige Mitarbeitende auf eine positive, aufbauende Art anzusprechen. Es sind auch im Stellenanzeiger die Mittel des Marketings, die den Ton angeben: Man versucht, das Innerste anzusprechen, Emotionen zu wecken.

Ist das Bild auch ein Mittel, um die richtigen Leute auf sich aufmerksam zu machen?
Es wäre für den Arbeitgeber schön, wenn er die richtigen Kandidaten auf so einfache Art ansprechen könnte! Natürlich sollen die Bilder den Leser intuitiv ansprechen, doch die Bilder werden nach anderen Kriterien ausgewählt: Sie dienen dazu, das Unternehmen zu repräsentieren. Das kompetitive Unternehmen, bei dem die Post abgeht, präsentiert sich mit dynamischen Bildern, während ruhige, statische Bilder etwa im Gesundheitsbereich zu finden sind. Das Bild verrät uns also, wo eine Firma steht, wie sie sich im Markt positioniert. Das gesamte Erscheinungsbild erlaubt aber auch einen Blick auf die Struktur des Unternehmens. Darin zeigt sich die Unternehmenskultur, und das wiederum lässt auf den Umgang mit den Mitarbeitenden schliessen.

Aber das sieht doch nur, wer seinen Blick dafür geschult hat.

Wenn man sich damit beschäftigt und die Inserate darauf hin prüft, dann entwickelt man schnell ein Gespür dafür, ob eine Firma ihre Mitarbeitenden schätzt, wie sie sie fordert und fördert. Es sind einfache Formulierungen, die suggestiv von der Art des Umgangs erzählen. Ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter als Kapital betrachtet und entsprechend pflegt, will diesen Teil der Firmenkultur, der Corporate Identity des Unternehmens, auch kommunizieren – gerade auch im Stelleninserat. Schliesslich will man ja die guten Leute für sich gewinnen.

Und wie kommuniziert ein Unternehmen seine Kultur?
Seriöse Arbeitgeber sprechen den Umgang mit den Angestellten explizit an. Einen guten Anlass, um die eigene Unternehmenskultur zu präsentieren, bietet die Beschreibung der Einarbeitung, die neue Mitarbeitende erwartet. Da wird nicht nur pauschal die «gründliche Einarbeitung» erwähnt, sondern es wird das komplette Paket mit Einführungskursen und Supervision aufgezählt, bis hin zum Namen der Betreuungsperson. Heisst es dagegen: «Sie erarbeiten sich selbständig die Grundlagen für Ihr neues Aufgabengebiet», dann erschliesst sich der Sinn dieser Aussage zwischen den Zeilen. Das bedeutet doch im Klartext, dass man von Anfang an mausbeinallein ist und keinerlei Unterstützung erwarten darf.

Wie soll man vorgehen, wenn man ein interessantes Inserat gefunden und für sich analysiert hat?
Weglegen. Unbedingt weglegen und drüber schlafen. Am nächsten Tag sollte man das Inserat nochmals neu lesen und seine eigenen Notizen, die man sich bei der Analyse gemacht hat, noch einmal durchgehen. Auf keinen Fall würde ich einen Bewerbungsbrief noch am selben Tag aufgeben. In meiner Arbeit als Coach von Stellensuchenden erlebe ich immer wieder, wie über Nacht die Erkenntnis dämmern kann, dass eine Stelle für einen gar nicht in Frage kommt.
 
Warum passiert das?
Wir sind beim ersten Lesen eines Inserats in einer offenen Erwartung und unser Hirn macht sofort eine Verbindung mit unseren eigenen Vorstellungen. So lesen wir unter Umständen etwas, was gar nicht dasteht – weil wir hineininterpretieren, was wir eigentlich lesen wollen. Ich habe selbst diese Erfahrung gemacht: Ich hätte mich beinahe um einen Auftrag beworben, bei dem ich Kurse nur noch konzipiert, aber nicht mehr selbst unterrichtet hätte. Mein erster Eindruck von dem Inserat war aber, dass ich da auch unterrichte – weil ich es automatisch voraussetzte.

Zum Schluss möchte ich noch einen Blick auf die Bewerbungspraxis werfen. Wie kann man verwerten, was man aus der Inserateanalyse gewonnen hat?
Die Inserateanalyse bildet die Grundlage des Bewerbungsschreibens. Sie zeigt mir, wo ich ansetzen muss. Denn im Bewerbungsbrief geht es darum, zu spiegeln, dass man die Bedürfnisse der Firma erfasst hat und mit den eigenen Qualitäten und Kom-petenzen dieses Bedürfnis abdecken kann. Den Arbeitgeber interessiert am Bewerbungsbrief in erster Linie, ob der Bewerber, die Bewerberin erkannt hat, worum es ihm geht. Sie können den Arbeitgeber als Marktteilnehmer sehen, der einen Auftrag zu vergeben hat, und den Bewerber oder die Bewerberin als Firma, die das Gewünschte liefern kann. Im Stelleninserat offenbart der potenzielle Kunde ein Bedürfnis; der Bewerbungsbrief ist die Werbebotschaft des Stellensuchenden, mit der er den Kunden überzeugen will.

Dann läuft alles darauf hinaus, dass man dieses Bedürfnis erkennt und sich darauf bezieht.

Genau. Es geht darum, dieses Bedürfnis zu reflektieren und darauf einzugehen. Wenn ich mit Hilfe meiner Inserateanalyse den Bewerbungsbrief aufsetze, lege ich alles, was dem Stellenprofil entspricht, in die Waagschale, auch was im Inserat vielleicht nicht verlangt wird, wovon ich aber weiss, dass es für den Job wertvoll ist. Entscheidend ist, dass Sie die Bedürfnisse des Arbeitgebers erkennen. Je besser Sie darauf eingehen, desto gehaltvoller wird Ihr Bewerbungsbrief, er enthält mehr Facts und weniger Floskeln. Darum ist es auch so wichtig, einmal darüber zu
schlafen.

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