«der arbeitsmarkt» 04/2014TEXT: Vanessa Kuhn
Diversität in Betrieben

Zusammenarbeit der Generationen

In der Arbeitswelt treffen die verschiedenen Generationen zwangsläufig aufeinander. Einige Firmen setzen ganz bewusst auf die Vielfalt. Im Fall eines Familienunternehmens durchmischen sich die Generationen ganz natürlich.

«Ich schätze schon, dass mein Vater im Geschäft noch präsent ist.» Marcel Heggli, 40, übernahm vor sechs Jahren zusammen mit seiner Schwester Brigitte den Familienbetrieb. Die Heggli AG kümmert sich seit 120 Jahren um Transporte, Entsorgung, Muldenservice und Reisen. Brigitte und Marcel Heggli sind die fünfte Generation, die ins Familienunternehmen eingestiegen ist. Die Ablösung ging schleichend vor sich. Die Geschwister sind bereits seit über zehn Jahren in der Firma, und die Mitarbeitenden konnten über Jahre die neuen Geschäftsführer kennenlernen. «Als ich die Geschäftsleitung an meine Kinder übergab, trat ich in eine beratende Rolle zurück. Nach wie vor bin ich Mitglied der Geschäftsleitung, aber ich überlasse die Entscheide meinen Kindern», sagt Heinrich Heggli, 72.

In einem Familienbetrieb ist das Zusammenwirken der Generationen ein fast natürlicher Prozess. In anderen Firmen, wie zum Beispiel bei der Post, werden bewusst generationengemischte Teams zusammengestellt – mit Erfolg. Im zehnköpfigen Team der Personalentwicklung PostMail sind alle Generationen vertreten: von der Praktikantin der Generation Y bis zum erfahrenen Mitarbeiter der Generation der Babyboomer.

Die Eigenschaften der Generationen

In einem letztjährigen Bulletin der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) schreibt der an der Universität Bern emeritierte Professor Norbert Thom den Generationen pointierte Eigenschaften zu. Die Babyboomer ab Jahrgang 1945 sind zurzeit in der Arbeitswelt am stärksten vertreten. Sie durchliefen ein striktes Schulsystem und lernten in der Arbeitswelt straffe Strukturen kennen. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler lassen sich daraus die Verhaltensmuster im Berufsleben ableiten. «Viele Angehörige dieser Generation neigen zur Sachlichkeit, und die Arbeit steht im Mittelpunkt.» Auch bei der nachfolgenden Generation X ab Jahrgang 1965 hat die Arbeit einen hohen Stellenwert. Doch sie verlangt bereits nach mehr Diversität. «Während die Generation der Babyboomer nicht selten ihr Leben in der gleichen Firma verbringt, ist die Generation X wechselhafter. Nach wie vor bleibt sie aber viele Jahre im gleichen Unternehmen. Häufig lässt sich ein gewisses Misstrauen gegenüber Unvertrautem erkennen.» Ab Jahrgang 1980 sprechen die Fachleute von der Generation Y. Sie ist in der Zeit der Globalisierung und Digitalisierung aufgewachsen. Dieser Generation muss die Arbeit Spass machen. «Die neuste Generation, die auf den Arbeitsmarkt kommt, ist gekennzeichnet durch ihre Flexibilität. Ihre Arbeit muss individuell sein, sinnvoll und effizient.» Noch vor wenigen Jahren kannte niemand den Begriff «Work-Life-Balance», heute nimmt er immer mehr Platz in der Arbeitswelt ein. Eine aktuelle Studie der Universität Bern zeigt auch, dass für 84 Prozent der Generation Y dieser Aspekt bei einer Arbeitsstelle sehr wichtig ist.

Individualität versus Pflichtgefühl

Während die Studien zu den Generationen ein klares Bild zeichnen, sind die Übergänge in der Realität nicht so klar. Die Literatur neigt dazu, die Generation Y heldenhaft darzustellen. Doch Norbert Thom warnt vor einer solchen Interpretation: «Jede Generation hat gute und weniger gute Eigenschaften», sagt er. «Die Babyboomer sind sehr firmenloyal und bauen ein grosses Fachwissen auf. Die Generation Y arbeitet eher projektbezogen und erarbeitet sich so Erfahrungen in unterschiedlichen Firmen.» Keine sei besser oder schlechter, die Eigenheiten der Generationen seien einfach anders. Die Globalisierung mache auch vor den Menschen nicht Halt. «Die jungen Arbeitnehmer legen Wert auf Individualität und Lebenskultur. Früher galten Eigenschaften wie Pflichtgefühl. Zuerst zeigte der Arbeitnehmer Leistung und bewährte sich, bevor er Forderungen stellte.»

Sabine Rial, Fachspezialistin Management der Vielfalt bei der Post, versucht diesen Bedürfnissen gerecht zu werden. «Für Führungskräfte entwickelten wir ein internes Seminar, das sich dem Umgang mit den gemischten Teams widmet. Unsere Hauptthemen sind das Verständnis und die Wertschätzung untereinander, aber auch der Abbau von Vorurteilen. Wir sind uns des demografischen Wandels bewusst. Bereits heute sorgen wir dafür, dass der Wissenstransfer stattfindet, und rekrutieren junge Fachkräfte. Zum Beispiel stockten wir die Anzahl Lehrstellen auf und versuchen in verschiedenen Sparten oder Berufen, die jüngere Generation anzusprechen und auszubilden.» Ihrer Erfahrung nach funktionieren generationengemischte Teams auf unterschiedlichen Ebenen sehr gut. Sie repräsentieren die Vielfalt der Kundinnen und Kunden und können flexibel auf deren veränderte Ansprüche eingehen. Zusätzlich bringen diese Teams umfassendere und innovativere Lösungen hervor. «Als einer der grössten Arbeitgeber in der Schweiz tragen wir eine soziale Verantwortung. Ausserdem müssen wir den Richtlinien des Bundes entsprechen, der uns Vorgaben zur Umsetzung der Diversität macht», fügt Sabine Rial an.

Obwohl die Generationen spezifische Eigenheiten aufweisen, ist das Team der Personalentwicklung PostMail überzeugt, dass die Unterschiede vom Charakter geprägt sind. «Ich musste keinen Benimmkurs machen, um der älteren Generation oder auch dem restlichen beruflichen Umfeld mit dem nötigen Respekt zu begegnen», bemerkt Sandra Perner, Generation Y. «Wir sind alle im Alltag mit den verschiedenen Generationen konfrontiert. Anstand und Wertschätzung gehören für mich zur guten Kinderstube», doppelt Samuel Willi nach, ebenfalls Generation Y. «Bemerkbar macht sich der Unterschied vielleicht in der Affinität zu den technischen Neuerungen.» Teilweise ist die Recherche im Internet der schnellere Weg. Trotzdem, er schätzt die Erfahrung und das Fachwissen, das er sozusagen beim Pultnachbar abholen kann. Patrick Pellet ist mit 58 Jahren das älteste Mitglied des Teams. «In gewissen Situationen, bei der wir als Team eine Entscheidung treffen, habe ich eine andere Meinung. Aber das Leben hat sich entwickelt, und diese Veränderung nehme ich an. Mit gegenseitigem Verständnis können wir sehr viel voneinander profitieren.»

Im Familienbetrieb der Hegglis sind der Vater, ein Veteran, und der Sohn, Generation X, überzeugt, dass sie nicht den klassischen Eigenschaften ihrer Generation entsprechen. «Klar haben meine Schwester und ich Ideen, die früher nicht umgesetzt worden wären», sagt Marcel Heggli. «Ich glaube aber, dass diese Meinungsverschiedenheiten eher mit dem Wandel der Zeit zu tun haben.»

Diversity Management

Die Hochschulen haben auf die veränderte Situation reagiert und bieten Lehrgänge zum Diversity Management an. Die Personalverantwortlichen müssen sich heute mehr und mehr mit dem Thema der Heterogenität auseinandersetzen. Aus diesem Grund hat das Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern einen Diversity Index Schweiz kreiert. Dieser Index zeigt die Vielfalt in grossen Firmen von über 250 Mitarbeitenden transparent auf. Dabei sind neben dem Alter noch viele weitere Aspekte der Vielfalt, zum Beispiel das Geschlecht oder die Ethnie, berücksichtigt. Analysen belegen die positiven Eigenschaften gemischter Teams und die Attraktivität dieser Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt. Wie auch die Post erfahren hat, sind diese Teams innovativer und fähig, starre Prinzipien aufzubrechen. Das Thema ist in die Studiengänge angehender Führungskräfte integriert. Obwohl die Schweiz noch am Anfang steht, tritt ein grosser Teil der zukünftigen Managergeneration mit einem Grundverständnis für eine heterogene Belegschaft an.

Der Generationenwechsel

Bei den Angestellten der Hegglis macht sich ebenfalls ein Generationenwechsel bemerkbar. Nur noch wenige Arbeitnehmer können auf eine langjährige Anstellung bei der Firma zurückblicken. Diese erlebten nicht nur den Patron Heinrich Heggli und seine Kinder, sondern bereits die vorherige Generation. So auch der Leiter Personal und Buchhaltung, Hansruedi Lindegger, der seit 40 Jahren in der Firma Heggli arbeitet. «Der Wechsel fand reibungslos statt. Wir kannten die Kinder schon. Sie leiteten ihre jeweiligen Abteilungen. Dadurch, dass der Vater noch präsent ist, gehe ich allerdings manchmal mit meinen Anliegen noch zu ihm. Das ist die Macht der Gewohnheit.» Mit seinen vielen Dienstjahren steht Hansruedi Lindegger fast alleine da. Die Fluktuation unter den Jungen ist grösser als früher. «Heute bleibt der durchschnittliche Arbeitnehmende nicht mehr ein ganzes Leben im selben Betrieb», fügt er an. Trotzdem sind im Betrieb mit über 200 Mitarbeitenden zahlreiche Jahrgänge vertreten. Mitarbeitende, die ein 10- oder 20-Jahr-Jubiläum feiern, sind jedoch rar geworden.

Häufigere Fluktuationen sind auch bei der Post sichtbar. Anna-Leena Marti, Generation X, sinniert über die langjährigen Anstellungen bei der gleichen Firma. «Ich glaube, wenn ich heute meiner Familie mitteilen würde, dass ich bis zur Pension bei der Post bliebe, fände sie das unnatürlich. Meine Arbeit hier gefällt mir sehr, und ich will auf jeden Fall lange bleiben. Ob ich aber hier pensioniert werde ...» Der Ausgang dieses Satzes bleibt in der Luft hängen. Für Patrick Pellet hat sich seine lange Zeit bei der Post einfach ergeben. «Am Anfang war ich bei der PTT. Als wir aufgeteilt wurden in Post und Swisscom, entschied ich mich für die Post. Durch verschiedene Restrukturierungen und Weiterbildungen bin ich hier gelandet.»

Marcel Heggli hätte wahrscheinlich seine Stelle schon öfters gewechselt, wenn er nicht die Möglichkeit gehabt hätte, in den Familienbetrieb einzusteigen. «Ich kann nicht sagen, ob ich bis zu meiner Pension hier bleibe. In dieser Hinsicht denken wir sicher anders. Auf der anderen Seite ist ein Familienbetrieb, der bereits seit 120 Jahren besteht, etwas Spezielles.» Heinrich Heggli wirkt nachdenklich und fügt an, dass er seine Kinder nie gezwungen habe, den Betrieb zu übernehmen. «Aber ich bin stolz darauf, dass sie das Lebenswerk der Familie Heggli weiterführen.»

Nicht nur die Rastlosigkeit der jungen Generation macht der Arbeitswelt Sorgen. Seit einigen Jahren ist die Frühpensionierung bei den Firmen ein wichtiges Thema. Die Arbeitgeber spicken diese Option mit finanziellen Vorteilen und machen sie dem Arbeitnehmer schmackhaft. Professor Norbert Thom ist überzeugt, dass dieser Ansatz falsch ist. «Frühpensionierungen sind vordergründig wirksam, weil die teurere Arbeitskraft weg ist, aber personalwirtschaftlich ist diese Lösung nicht durchdacht. Firmen laufen Gefahr, auf einmal unschätzbares Fachwissen zu verlieren. Eine bessere Lösung wäre, wenn die Firmen die Arbeitssituation dem Alter anpassten. Natürlich kann ein 60-Jähriger nicht mit einem 30-Jährigen konkurrieren, ausser auf einer anderen Hierarchiestufe. Viel Wissen um Beziehungsstrukturen oder Insiderwissen über Märkte können Studierende an keiner Hochschule oder Universität lernen.»

Diese Meinung vertritt auch Marcel Heggli. Alle geschäftlichen Kontakte, die sein Vater über die Jahre aufbaute, sind wertvoll und pflegt der Vater weiter. «Obwohl meine Schwester und ich das Geschäft selbständig führen, ist er immer noch ein Anker.»  

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