«der arbeitsmarkt» 07/2005

Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen

Die Schweiz zählt viele Gemeinden mit weniger als
tausend Einwohnern. Auch ein Grossteil der Ortschaften im Mittelland hat keine Grossstadt vor der Türe. Wie ist es um die Arbeit in solchen Dörfern bestellt? Der Bericht aus Wölflinswil im Kanton Aargau.

Noch liegt Nebel über dem Tal. Er löst sich langsam auf, und das idyllische Wölflinswil erwacht, um emsig den neuen Tag zu nutzen. Wölflinswil, eine Wohngemeinde am nordwestlichen Rand des Kantons Aargau. Viele der 850 Einwohner haben ihren Arbeitsplatz in Aarau, Basel oder Zürich. Dennoch besitzt die Gemeinde ein intaktes und vielseitiges Gewerbe. Zudem sind an die 30 Bauern ansässig. Selbst die Post wird ihren Schalter nicht schliessen, davon ist Gemeindepräsidentin Pia Schmid überzeugt. Ob im Volg oder in der Landi, im Coiffeursalon oder in der Schlosserei, überall wird gearbeitet und von stagnierender Wirtschaft ist nichts zu spüren. Vor dem Volg machen zwei Schilder auf die Aktionsangebote aufmerksam, auf einem dritten steht: «Gesucht! Lehrling auf Sommer 2005». In der Gemeinde ist noch Gewerbe ansässig, das in manchen Betrieben von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
Traditionell ist Wölflinswil eine Bergbaugemeinde. Bereits im 13. Jahrhundert wurden in der Umgebung von Wölflinswil und Herznach Bodenschätze abgebaut. Während des Zweiten Weltkriegs erlebte das nahe gelegene Bergwerk, in dem zusammen mit den Nachbargemeinden Eisenerz abgebaut wurde, einen regelrechten Boom. Die Mine wurde 1967 stillgelegt und kann heute wegen Einsturzgefahr nicht mehr begangen werden. Trotzdem sind einige Relikte stehen geblieben, die die Gemeinde nun auch nutzen will: dreiklang.ch, ein Natur- und Kulturprojekt zur nachhaltigen Förderung des Gebietes Aare–Jura–Rhein im Kanton Aargau, realisiert noch in diesem Jahr den so genannten Eisenweg. Dieser führt vom Wölflinswiler Dorfplatz nach Osten Richtung Herznach und macht Interessierte auf zahlreiche Spuren der regionalen Bergbauvergangenheit aufmerksam.

Internationale Kurse in Treiben und Ätzen von Kupfer

Wenn man aus Richtung Frick ins Dorf kommt, findet man gleich am Dorfeingang eine kleine Gewerbezone mit einer Garage, dem Depot einer Mähdrescherei und einer Bauspenglerei. Noch stehen die überdimensionalen Mähdrescher unter dem Dach und warten auf ihren nächsten Einsatz. Adrian Amsler ist einer der Fahrer der vier Ungetüme. Hauptberuflich ist er Bauer. Seit fünf Jahren fährt er – sobald das Getreide reif ist – hinaus auf die Felder, um eine Hektare nach der anderen abzumähen. «Früher setzte
man sich nach der Arbeit zum Bauern in die Stube und ass und trank etwas gemeinsam, heute muss alles viel schneller gehen», meint Amsler. In einer Stunde mähen die Drescher etwa eine Hektare. Durch die immer kleineren Ackerparzellen wird die Arbeit aufwändiger und teurer. Seit drei Jahren besteht in der Gemeinde Konkurrenz und so hat sich Amsler auch schon überlegt, den Mähdrescher-Park von vier auf zwei Maschinen zu reduzieren. Um konkurrenzfähig zu bleiben. «In der Region hat es noch viel Arbeit», ist Amsler überzeugt. «Tauschen würde ich meinen Arbeitsplatz hier auf dem Land nicht.»
Gleich nebenan hat Roger Wanner seine Bauspenglerei. Kürzlich konnte er sein 25-jähriges Firmenjubiläum feiern. «Meine Haupttätigkeit ist nach wie vor die Auftragsarbeit auf der Baustelle, allerdings wird die Kunstspenglerei ein immer wichtigerer Bestandteil. Früher oder später werde ich nur noch das Kunsthandwerk ausüben.» 70 Prozent seiner Aufträge kommen aus Basel oder Aarau. Er selber stammt aus der Stadt Basel, mag die städtische Hektik jedoch nicht besonders: «Auf dem Land sind die Menschen flexibler, die Zusammenarbeit in Wölflinswil funktioniert hervorragend. Das ländliche Umfeld kann ich nur weiterempfehlen.»
Roger Wanner bietet neben seiner täglichen Arbeit auch internationale Kurse in Treiben und Ätzen von Kupfer an. Das Sujet wird zuerst auf das Kupferblech gezeichnet und anschliessend als Negativ eingehämmert. Die entstehende Form wird mit Blei ausgegossen und dient anschliessend als Unterlage, um dasselbe Kupferblech als Positiv zu vollenden und die feinen Konturen zu geben. Diese künstlerische Fertigkeit hat er vor mehr als 30 Jahren erworben und seither perfektioniert. In dieser Zeit hat er den Kontakt zu alten Leuten gepflegt, durch welche er uralte Techniken lernen konnte, die er heute vorwiegend an interessierte Spengler im In- und Ausland vermittelt. Der Zukunft seiner Bauspenglerei sieht er gelassen entgegen: «Die Auftragslage wird nicht schlecht aussehen. Was für mich sicher Zukunft haben wird, ist der künstlerische Aspekt der Spenglerei.» Bei den deutschen Kursteilnehmern hat er sich bereits den Übernamen «Drachenschmied aus der Schweiz» eingeheimst.

Allerlei Gewerbe um den Dorfplatz

Weiter oben im Dorf hat das Transportunternehmen Herzog seinen Firmensitz. Seit 1939 bietet die Familie Herzog in der dritten Generation Transportdienstleistungen an. Das Angebot reicht von der Strassenreinigung, dem Transport gewöhnlicher und spezieller Materialien, dem Winterdienst bis hin zu Belagstransporten in Warmhaltesilos. 18 Mitarbeiter aus Wölflinswil und Umgebung sind dafür zuständig, dass die immer kurzfristiger eingehenden Aufträge fristgerecht erledigt werden. Adrian Herzog ist er überzeugt, dass sein Unternehmen in der jetzigen Grösse Zukunft hat. Erst kürzlich erwarb die Herzog AG drei neue Lastwagen. «Mit den neuen 1846er-Modellen von Mercedes-Benz haben wir nun einen Fünftel unseres Fahrzeugparks ersetzt. Es handelt sich um Fahrzeuge mit modernster Ausstattung und Euro-5-Motoren, die sämtliche Normen
erfüllen», erklärt Adrian Herzog sichtlich stolz. Die Frage, was im Unternehmen verbessert werden könnte, beantwortet er schmunzelnd: «Bessere Chefs», wobei er sich selbst nicht ausschliesst. Die günstige
Infrastruktur ist für ihn ein entscheidender Vorteil des Standorts auf dem Land. Aber auch persönlich zieht er das Landleben dem städtischen vor. «Die geringe Grösse von Wölflinswil ist für die Zusammenarbeit, aber auch für das private Umfeld sehr gut.»
Keine hundert Meter weiter hat Paul Treier seine Holzbau AG. Einige Mitarbeiter sind gerade daran, Balken auf die richtigen Masse zuzuschneiden. Da der Baustoff Holz sehr gefragt ist und im Dorf keine Konkurrenz existiert, gibt es für sein Unternehmen genug zu tun. Trotzdem ist das Bestehen schwieriger geworden. Seine 13 Mitarbeiter – darunter drei Lehrlinge – leisten Qualitätsarbeit. Egal, ob eine neue Scheune errichtet wird, ein Dach entsteht oder eine Treppe gezimmert wird. Auch Paul Treier arbeitet lieber im Dorf als in der Stadt: «In Wölflinswil zu arbeiten, ist weniger umtriebig. Wir Wölflinswiler Handwerker könnten alleine ein Haus bauen.»

Auch rund um den Dorfplatz findet sich allerlei Gewerbe. Dort steht etwa Marcel Wagners Schmiede. Das gesamte Unternehmen der Gebrüder Wagner umfasst ein Sanitärunternehmen, ein Haushaltsapparate-geschäft und die Schmiede, wobei jeder der drei Brüder für einen Bereich zuständig ist. Seit 1988 leitet Marcel Wagner den Schmiede-betrieb. Neben Schlossereiarbeiten und dem Formenbau werden immer noch Hufeisen geschmiedet und den Pferden angepasst. Während früher die Pferdehalter in die Schmiede kamen, werden heute die Hufe an einem halben bis einem ganzen Tag pro oche gleich vor Ort angefertigt und aufgenagelt. Für Marcel Wagner ist seine Tätigkeit eine Gratwanderung zwischen perfekter und konkurrenzfähiger Arbeit. So bietet das Unternehmen sowohl Edelvarianten von Produkten als auch Billigvarianten an. «Gute Mitarbeiter sind wichtig für den Erfolg des Unternehmens», ist Wagner überzeugt, und auch er lobt die Zusammenarbeit im Dorf: «Wenn sich aus einem unserer Aufträge Zimmerarbeiten ergeben, empfehlen wir den Zimmermann aus Wölflinswil, und umgekehrt erhalten wir durch ihn gelegentlich Aufträge zugespielt.»

Anspruchsvollere Arbeit als in der Stadt

Im Coiffeursalon «HaarRank» beim Dorfplatz können sich die Einwohner von Eveline Herzog ihre Frisur stylen lassen. Herzog führt ihr Geschäft alleine und greift ab und an auf eine Aushilfe zurück. Als «Heimweh-Wölflinswilerin» suchte sie eine neue Herausforderung. Im Dezember 2002 kam sie aus Hellikon zurück und eröffnete ihr eigenes Haarstudio. Da in Wölflinswil keine Konkurrenz vorhanden ist, sieht sie der
Zukunft sehr positiv entgegen. Kleinigkeiten könnten natürlich noch verbessert werden: «Aus Fehlern lerne ich, wie ich meine Arbeit in Zukunft noch besser und zur Zufriedenheit der Kunden machen kann», lautet ihr Motto. In der Gemeinde wird miteinander und nicht gegeneinander gearbeitet: «Hier in Wölflinswil sind wir noch Menschen.» Für Herzog ist die Coiffeurarbeit auf dem Land zudem anspruchsvoller als in der Stadt. Ihre Kunden hätten speziellere und vielseitigere Wünsche.
Ebenfalls im Zentrum an der Strasse Richtung Herznach hat der Volg seine Wölflinswiler Filiale. Seit acht Jahren arbeitet Marianne Kurzbein hier als stellvertretende Filialleiterin. Zwar gibt es im nahen Frick Einkaufszentren, trotzdem wird der kleine Volg von den Einwohnern rege besucht. «Der Volg ist wichtig für die Einwohner, weil ja nicht jeder ein Auto hat», erklärt Kurzbein. Wenn die Leute im Dorf mitmachen und den Sinn eines Dorfladens einsehen, ist diese Filiale auch in Zukunft nicht gefährdet. Kopfnickend bestätigt auch sie, dass die Zusammenarbeit in Wölflinswil gut ist: «Ich will keinesfalls in die Stadt. Das Leben hier ist vielfältiger und interessant.»

Gemeinde mit vielen Lehrstellen

Wölflinswil besitzt neben dem Gewerbe einen sehr hohen Anteil Landwirtschaft. Laut der Gemeindepräsidentin Pia Schmid sind auf dem Gemeindegebiet noch über 30 Bauern ansässig. Einer davon ist Marcel Belser.
Anfang 2001 hat er mit seiner Familie den Hof seiner Eltern übernommen und diesen den wohlverdienten Ruhestand ermöglicht. Natürlich helfen sie weiterhin auf dem Hof, wenn Not herrscht. Neben der Ackerwirtschaft und der Milchproduktion werden rund um den Hof Wolfig oberhalb Wölflinswil Aufzucht und Obstbau betrieben. Im Vergleich zu früher ist die Landwirtschaftsarbeit schwieriger geworden. «Man weiss nicht, wohin das Ganze führt», meint Belser. «Heute muss viel kurzfristiger geplant werden und das ist nicht ungefährlich.» Wenn keine grossen Investitionen anfallen, sieht er der Zukunft gelassen entgegen. Grosse
Bedeutung werde sicher der ökologischen Landwirtschaft zukommen. Mit der Natur und nicht gegen sie sei dabei eine entscheidende Stossrichtung. «Wir brauchen neue Ideen. Neben der Produktion sollte vielleicht der Erlebnistourismus gefördert werden.» Zur Verbesserung des Betriebs will Belser, ganz nach ökonomischen Überlegungen, die Arbeitsabläufe vereinfachen. Die Konkurrenzsituation sei nicht mehr gar so gross wie vor sechs, sieben Jahren. «Die Zusammenarbeit ist tipptopp, man berücksichtigt sich gegenseitig und geschirrt miteinander.» Darin sieht Belser den Grund, dass es viele Lehrstellen in der Gemeinde gibt. «Die Jungen spannen zusammen und sind nicht so engstirnig wie die ältere Generation.» Als Bauer würde er natürlich nie in die Stadt ziehen. Dem Städter empfiehlt er, ab und an die ländliche Umgebung zu besuchen: «Er könnte davon profitieren. In den letzten 60 Jahren hat sich dermassen viel verändert. So könnte der Städter das Ländliche und die Arbeit auf dem Land entdecken und Dinge erkennen, die scheinbar in Vergessenheit geraten sind.»

Gesundes Wachstum und rege Bautätigkeit

Gemeindepräsidentin Pia Schmid schätzt, dass sich 80 Prozent der Wölflinswiler untereinander kennen. Um den Austausch zu fördern, wird jeweils im Herbst von der Gemeinde ein Gewerbeapero organisiert. «Wölflinswil steht auf gesunden Beinen», ist Schmid überzeugt. Dank einem gesunden Wachstum und der damit verbundenen Bautätigkeit sieht sie der Zukunft optimistisch entgegen.

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