«der arbeitsmarkt» 10/2004

Wider stumpfsinnige Arbeit

Auch hierzulande setzen viele Unternehmer auf die
Vereinfachung von Arbeitsprozessen, um mit billigen Arbeitskräften höhere Gewinne zu erzielen. Dabei belegen neue Studien aus den USA:
Firmen, deren Mitarbeiter gefordert und gefördert werden, steigern ihre Produktivität um bis zu 10 Prozent.

Wie lassen sich trotz beschränkter Ressourcen ein Optimum an Leistung und damit höhere Gewinne erzielen? Dieser Frage gingen vor kurzem Top-Manager von US-Fastfoodketten nach. Die Lösung war rasch gefunden: Die Arbeitsprozesse in Fastfood-Restaurants müssen noch mehr standardisiert und damit noch mehr vereinfacht werden.
Jobs, die auf wenige simple Bewegungsabläufe reduziert sind, erfordern keinerlei Kompetenzen mehr. Sie können auch von unqualifizierten Arbeitskräften ausgeübt werden und sind dementsprechend billig. Ob sich ein Job etwa bei McDonald’s noch mehr vereinfachen lässt, ist allerdings fraglich. Bereits heute ist in einem rund
750 Seiten umfassenden internen Handbuch jeder einzelne Handgriff beschrieben.
Dass dieser Weg nicht der Richtige sein kann, belegen gleich mehrere unabhängige Studien aus den USA. Eine vor kurzem veröffentlichte Untersuchung des US-Institutes National Academy of Science zum Beispiel kommt zum Schluss, dass Billiglohnjobs, wie sie bei McDonald’s gang und gäbe sind, besonders bei Jugendlichen eine lebenslange Abneigung gegen jegliche Art von Arbeit bewirken können. Auslöser dafür ist die stumpfsinnige und eintönige Tätigkeit. Die Studie ergab weiter, dass Schüler, die mehr als zwanzig Stunden pro Woche unter diesen Bedingungen arbeiten, vermehrt Drogenprobleme haben, öfter kriminell werden und schneller die Schule verlassen. Sie verspielen durch den Frust am Arbeitsplatz ihre Chancen auf den beruflichen Erfolg.

Sexuelle Gewalt, Mord und Totschlag

Diese miesen Zukunftsaussichten gelten nicht nur für Jugendliche. Jerald Greenberg, Professor für Unternehmensführung und Personalwesen der Universität Ohio, hat festgestellt, dass Arbeitsplätze in Billiglohnindustrien die Kriminalität förderten.
Angestellte, die von ihren Chefs schikaniert würden, reagierten überdurchschnittlich oft mit Diebstählen von Geld oder Einrichtungsgegenständen, mit Sabotage, sexueller Belästigung und körperlicher Brutalität bis hin zu Totschlag. Es existieren nicht nur Studien über die Auswirkungen dieser Unternehmenspolitik. Bereits vor zehn Jahren untersuchte Jeffrey Pfeffer, Professor der Stanford University, das Erfolgsrezept der fünf umsatzstärksten US-Unternehmen. Dabei kristallisierte sich heraus, dass diese Unternehmen gerade deshalb nachhaltigen Erfolg haben, weil sie ihre Angestellten in den Arbeitsprozess einbeziehen, die Teamarbeit fördern und in die Weiterbildung investieren.
Denn die Frage nach der richtigen Organisation der Arbeit ist nicht nur ein Problem von Gewinnmargen. Die Art, wie gearbeitet wird, hat auch entscheidenden Einfluss auf die menschliche Psyche. Neuere Ergebnisse der Glücksforschung belegen, wie sehr Unselbständigkeit und einengende Kontrolle durch die Vorgesetzten den Spass an der Arbeit und die Freude am Leben einschränken. So vermindert bereits das Umsteigen
von der Selbständigkeit in die Hierarchie eines Betriebes das Glücksgefühl mindestens so stark wie eine Lohnkürzung um 30 Prozent.
Dass eine stumpfsinnige Arbeit dem Unternehmen langfristig keinen Erfolg bringt, wird aber nicht nur in den USA, sondern auch in Europa gerne verdrängt. «Obwohl zahlreiche Untersuchungen deutlich machen, dass eine hohe Standardisierung sehr nachteilige Folgen haben kann, beschreiten Unternehmen immer wieder diesen Weg», weiss Gudela Grote vom Institut für Arbeitspsychologie an der ETH Zürich. Sie sieht momentan kaum eine Verstärkung ganzheitlicher Aufgaben und dezentraler Entscheidungsspielräume in Organisationen: «Gerade in schwierigen Zeiten wollen Manager alles unter Kontrolle halten und kurzfristig Kosten senken.» Die meisten Menschen würden motiviert, wenn sie selbständig arbeiten und Verantwortung übernehmen könnten. Aber bis sich diese Erkenntnis in den Köpfen der Manager nachhaltig durchgesetzt habe, dauere es noch eine Weile.

Unqualifiziert, aber freundlich

Das gilt hierzulande vor allem für Unternehmer im Dienstleistungssektor, wo nach wie vor grosse Anstrengungen unternommen werden, die Arbeitsabläufe zu systematisieren. So hat in den vergangenen Jahren vor allem in Call-Centern die Standardisierung Einzug gehalten. Noch vor zehn Jahren wurde der Kunde kompetent von einer Person beraten. Heute vernimmt er erst eine automatische Ansage und hat eine Vorselektion bezüglich Sprache, Problemfeld sowie Eingrenzung des Problemfeldes zu überstehen, bevor er eventuell eine menschliche Stimme vernimmt.
Wie in Billiglohnjobs wird in Call-Centern immer öfter unqualifiziertes Personal eingestellt. Eine freundliche Stimme und die Kenntnis einer Sprache reichen als Qualifikation bereits aus. In den grösseren Call-Centern werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich spezialisiert. So beschäftigen sich einige ausschliesslich mit technischen Problemen, andere mit Beratung und wieder andere mit Rechnungen. Sie werden kaum noch eingearbeitet, sondern lernen on the job.
Hat der Kunde aber eine komplexe Frage, wird er zu seinem Verdruss oft hilflos hin und her verbunden. Am anderen Ende der Leitung ist die Stimmung kaum besser. Wo es den ganzen Tag über bloss um eine einzige Antwort auf eine einzige Frage geht, kommt kaum Freude auf.

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