«der arbeitsmarkt» 06/2007

«Wer qualifiziert, klärt nicht ab»

Der Kanton Solothurn beschreitet neue Wege im Bereich der arbeitsmarktlichen Massnahmen. Nach rund einjähriger Erfahrung informierte das Amt für Wirtschaft und Arbeit über die Erfolgsstrategie. Der Tagungsbericht über das Solothurner Modell.

Der grosse Saal im Alten Spital Solothurn war voll besetzt, als Jürg Tucci, Leiter Logis-tik arbeitsmarktlicher Massnahmen (LAM), am 26.April pünktlich um 9.45 Uhr die aus allen Regionen der Schweiz angereisten Gäs-te begrüsste. Die interessierten Fachleute warteten gespannt auf zehn Referentinnen und Referenten, die über das Erfolgsmodell des Kantons aus unterschiedlichen Perspektiven fast nur Positives zu berichten hatten. Worum geht es denn aber genau?

Kein Reibungsverlust an den Schnittstellen

Die strategische Zielsetzung des AWA Solothurn sah bereits im Frühjahr 2005 eine klare Trennung von Abklärung/Standortbestimmung von den Qualifizierungs- und Integrationsmassnahmen (Kurse/PvB) vor. Hierzu wurden drei Kundengruppen und damit verbundene Integrationsstrategien definiert, nämlich Markt-, Beratungs- und Betreuungskunden. Inspirieren liessen sich die Konzeptverantwortlichen von einem Modell der deutschen Bundesagentur für Arbeit.
• «Marktkunden» sind Versicherte mit guten Fach- und Sozialkompetenzen, die vom «RAV Job-Management» betreut werden und bei Bedarf ein Bewerbungstraining sowie individuelle Fachkurse in Anspruch nehmen können.
• «Beratungskunden» sind Versicherte mit mangelnden Fach- und Sozialkompeten-zen, die vom «RAV Beratung» betreut werden. Hier werden nötige Erstmassnahmen ermittelt wie beispielsweise ein Standortbestimmungskurs, Sprachkurse sowie Qualifizierungs- und Integrationsprogramme.
• Bei «Betreuungskunden» handelt es sich um Versicherte, welche zusätzlich von der IV oder Suva Leistungen erhalten. Diese Stellensuchenden werden vom «RAV plus» betreut und ebenfalls in geeignete Massnahmen wie Abklärungen, Standortbestimmungskurse sowie Qualifikations- und Integrationsprogramme vermittelt.
Nach den Ausführungen von Jürg Tucci wurde klar, dass dieses Modell inklusive klarer Leistungsvereinbarungen und eines Wirkungscontrollings bei den AMM-Anbietern die Kosten pro Massnahme und Einsatzplatz sowie die durchschnittliche Verweildauer senken hilft. Zudem dienen diese Zahlen dem Kanton als Entscheidungsgrundlage bei der Neuvergabe von Aufträgen an AMM-Anbieter. Für das AWA eine optimale Lösung – der Kanton bezahlt, was er bestellt hat. Erst die konsequente Trennung von Abklärung/Standortbestimmung einerseits sowie Qualifizierungs- und Integrationsmassnahmen andererseits macht die gelingende praktische Umsetzung dieses Modells möglich. Jede arbeitsmarktliche Massnahme hat immer nur einen Auftrag.
Im Verlauf der verschiedenen Vorträge durch RAV-Leitende, RAV-Beratungspersonen und Verantwortliche von AMM-Anbietern wurde deutlich, wie vernetzt sich der Ablauf für die Versicherten und die jeweiligen Betreuungspersonen präsentiert. Angefangen beim Erstkontakt auf dem RAV und der Zuweisung der Stellensuchenden in eine Erstmassnahme. Rund 70 Prozent aller Stellensuchenden im Kanton besuchen innerhalb der ersten drei Monate ihrer Erwerbs­losigkeit einen sechstägigen Erstabklärungs- und Bewerbungskurs. Hier kommt es zu ersten konkreten Empfehlungen der Kursleitung zuhanden der RAV-Beratenden. Nach Abschluss des Kurses findet ein Übergabegespräch zwischen Stellensuchenden, Kursleitung und RAV-Beratungsperson statt. Dies schafft sowohl eine stärkere Verbindlichkeit und Wertschätzung gegenüber den Teilnehmenden als auch eine optimale Brückenfunktion zwischen RAV und AMM. Dabei komme gemäss Aussagen eines Kursleiters und einer Beraterin auch bislang nicht Thematisiertes auf den Tisch. Zudem werde ein allfälliges Gegeneinanderausspielen der verschiedenen Betreuungspersonen durch Versicherte dadurch ebenfalls unterbunden.
Falls aufgrund der Erkenntnisse weitere Massnahmen angezeigt sind, kommt nun die eigentliche Standortbestimmung zum Zug. Aufgeteilt in vier nach Zielgruppen definierten Standortbestimmungszentren in Solothurn, Olten, Grenchen und Zuchwil werden Stellensuchende während weiterer 20 Tage gleichermassen gefördert und gefordert. Das Messen und Beobachten verschiedenster arbeitsmarktrelevanter Parameter wie Fach-, Methoden-, Sprach-, Sozial- und Selbstkompetenz sowie Motivation, Energiestatus, persönliches Umfeld und Gesundheit bildet die Kernthemen dieser Abklärungsphase. Im Zentrum aller Bemühungen in den verschiedenen Abschnitten steht immer die Maxime: «Wir arbeiten gut, wenn unsere Stellensuchenden Stellen finden.» An der Tagung hatten fünf Verantwortliche von verschiedenen AMM-Anbietern jeweils 20 Minuten Zeit, um dem Publikum ihre Erfahrungen mit dem per Januar 2006 eingeführten Prozedere zu schildern. Die Veranstaltung brachte interessante Einblicke in die durchdachte und auf effiziente Zielerreichung ausgerichtete Konzeption der Erwerbslosenbetreuung im Kanton Solothurn. Aufgrund des engen Zeitkorsetts und der Dichte der dargebotenen Informationen gab es trotz 170 Tagungsgästen nicht allzu viele, aber umso interessantere Fragen aus dem Plenum. Ein 75-seitiges Ringbuch mit sämtlichen Powerpoint-Präsentationen des Tages dürfte dafür sorgen, dass alle Teilnehmenden sich zuhause weitere Gedanken zum Gebotenen machen können und die Solothurner Ideen in ihre heimatlichen Arbeitsbereiche tragen werden.

Miteinander reden statt übereinander

Zum Schluss der Tagung informierte Jürg Tucci über Zahlen und Erfolgsfaktoren im Kanton. Die durchschnittliche Verweildauer konnte demnach im vergangenen Jahr von 56 auf 47 Tage gesenkt werden. Auch die Durchschnittskosten seien erheblich gesunken und standen 2006 bei rund 12000 Franken pro erfolgreiche Integration im Vergleich zu 19000 Franken im Jahr 2004 und 15000 Franken im Jahr 2005. Dass solche Zahlen nur mit einem ausgesprochen wertschätzenden Verhalten gegenüber den Teilnehmenden in AMM zu erreichen seien, betonte Tucci ebenso wie die Tatsache, dass Druck auf die Stellensuchenden zu einer sinkenden Lösungsquote führe. Lösung bedeute einzig und allein der Stellenantritt oder zumindest eine Reduktion des Taggeldbezugs um 60 Prozent. Nur dies werde gemessen und zähle schliesslich für den LAM-Verantwortlichen und Tagungsleiter. Das Wichtigste aber sei das Miteinander aller beteiligten Akteure. Der Schlüssel zum Erfolg wird von Tucci so definiert: Im Kanton Solothurn würden RAV, LAM-Stellen und AMM-Anbietende eben miteinander reden und nicht übereinander.
Vielleicht ist das Leben im Allgemeinen und insbesondere im Bereich der Erwerbslosenbetreuung im Kanton Solothurn tatsächlich beispielgebend einfach – wünschenswert wäre es ja! So oder so, die AMM-Tagung im Alten Spital in Solothurn hat Eindruck gemacht. Wir kommen dem Wunsch des Fachtagungsteams gerne entgegen und sind auch über die gut organisierte und straff durchgeführte Veranstaltung hinaus gespannt, wie es weitergeht. Die Prognosen sind ja so gut wie schon lange nicht mehr. Vielleicht braucht es im Jahr 2011 tatsächlich nur noch die Hälfte aller Personen, die heute mit der Begleitung, Betreuung und Beratung von Erwerbslosen beschäftigt sind, wie Jürg Tucci in Anlehnung an die KOF-Prognose zum Abschied meinte. Einige Fachleute jedenfalls machten sich nach Tagungsschluss mit etwas gemischten Gefühlen auf den Heimweg – trotz schönstem Wetter über der Altstadt von Solothurn.

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