«der arbeitsmarkt» 10/2004

«Wenn es Eures nicht gäbe, müsste man es erfinden»

An Eures, dem europäischen Netzwerk der Arbeitsmarkt-Vermittlungsstellen, ist seit 2002 auch die Schweiz beteiligt.Hat sich das Engagement bis heute gelohnt, und was ist für die Zukunft
zu erwarten? Peter Gasser, Ressortleiter für Grundlagen & Analysen beim seco und verantwortlich für Eures Schweiz, zieht Bilanz.

der arbeitsmarkt: Herr Gasser, Sie haben im Juni 2002 die Verantwortung für Eures Schweiz übernommen. Was hat Sie an der Aufgabe gereizt?
Peter Gasser: Ich fand es ungeheuer spannend, das Schweizer Netzwerk aufzubauen und in das europäische System zu integrieren. Für mich als Rechtsanwalt waren die Verhandlungen auf europäischer Ebene eine zusätzliche Herausforderung. Die rechtlichen und finanziellen Aspekte europaweit unter einen Hut zu bekommen, ist nicht immer einfach.

Der Staat investiert jedes Jahr zwei bis drei Millionen Franken in das Eures-Programm. Wohin fliesst das Geld?
P.G.: In diesem Betrag sind alle Löhne, der Betrieb der Internetplattform Eures, das gemeinsame Stellen-Informationssystem Eures-AVAM* und die Subventionen für die Eures-Grenzpartnerschaften enthalten.
Diese können jährlich mit maximal 250000 Franken rechnen.

Zahlen sich die Investitionen für unser Land aus?
P.G.: Auf jeden Fall. Immerhin hat man mit Eures ein Know-how-Zentrum für ein sehr komplexes und vielschichtiges Thema geschaffen. Eine zentrale Stelle bündelt Wissen im Zusammenhang mit der Freizügigkeit und stellt es auch kompetent zur Verfügung. Mit rund 5000 Anfragen im ersten Semester 2004 können wir das belegen. Was Eures für die Wirtschaft und unser Ansehen in Europa bedeutet, lässt sich dagegen nicht in Zahlen ausdrücken.

Sie richten sich mit der Internetplattform Eures an Arbeitnehmer und an Unternehmen. Können Sie uns genauer sagen, wer Eures nutzt?
P.G.: Leider noch nicht, da wir bis heute keine Statistiken erheben. Genauso wenig können wir sagen, wie viele Jobs aus den Anfragen heraus tatsächlich entstanden sind. In dieser Hinsicht erhalten wir aus der Wirtschaft kein Feedback. Aber wir sind natürlich interessiert, mehr zu erfahren, und werden demnächst ein Erhebungskonzept entwickeln.

Sie haben den Begriff Grenzpartnerschaften erwähnt. In den Grenzregionen sind die Landesgrenzen für die Arbeitssuchenden nicht so wichtig. Wichtiger ist dort, dass sie über die Grenze hinweg mobil sind. Was haben Sie unternommen, um die dortige Arbeitsmarktsituation zu verbessern?
P.G.: Durch die wachsende Personenfreizügigkeit verbessert sich die Situation automatisch, darauf müssen wir Grenzregionen schon vorbereiten. Die Ostschweizer Kantone haben deshalb zusammen mit den deutschen und österreichischen Partnern vor kurzem die «Bodensee-Region» gegründet. Ausserdem sind die Nordwestschweizer Kantone an der Region «Oberrhein» sowie der Kanton Graubünden an «Transtirolia» beteiligt. Vermutlich wird noch 2004 der «Jurabogen» dazukommen. In ganz Europa gibt es rund zwanzig Grenzpartnerschaften, und die Schweiz profitiert überdurchschnittlich davon.

Bis Mitte 2004 galt in der Schweiz der Inländervorrang. Es war einfacher, Schweizer im Ausland zu platzieren, als umgekehrt. War die Schweiz vorher Trittbrettfahrer von Eures?
P.G.: Das kann man so nicht sagen. Viele wissen nicht, dass es den Inländervorrang auch in anderen Ländern gibt. Einige Partnerländer praktizierten diesen gegenüber der Schweiz allerdings nicht. Wenn Sie die Praxis und die absoluten Vermittlungszahlen anschauen, sehen Sie, dass der Inländervorrang gegenüber EU- und EFTA-Bürgern oft nicht zur Anwendung kam. Und die Kontingente von 15000 Daueraufenthaltern und 115000 Kurzaufenthaltern pro Jahr wurden in den letzten Jahren gut ausgeschöpft.

Diese bürokratische Hürde ist nun weggefallen. Was hat sich konkret geändert?
P.G.: Es ist viel einfacher und günstiger geworden, einen Antrag zu stellen. Davon profitieren vor allem kleinere Unternehmen. Sie haben jetzt einen besseren Zugang zum ausländischen Arbeitsmarkt, was ihre
Überlebenschancen erhöht. Gerade in der Landwirtschaft, im Baugewerbe und in der Gastronomie findet man kaum mehr inländische Arbeitnehmer.

Mit dem Wegfall des Inländervorrangs ist auch der Wettbewerb für inländische Arbeitnehmer schärfer geworden. Nimmt Eures Schweizern den Arbeitsplatz weg?
P.G.: Dieser Vorwurf ist unbegründet. Hoch qualifizierte Arbeitskräfte gibt es hierzulande schon lange nicht mehr genug. Und auch in Branchen mit niedrigem Lohnniveau wird es für die Unternehmen immer schwieriger, Inländer zu finden.

Wir leben hier in vielerlei Hinsicht auf einer Insel mitten in Europa. Wie attraktiv ist die Schweiz als Arbeitgeber im Vergleich zum Rest Europas?
P.G.: Wir leben in einem schönen Land, und das wissen auch andere zu schätzen. Trotz der vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten kommen die Menschen gerne in die Schweiz. Ich höre auch oft, dass man sich gern an die Besonderheiten der Schweizer Mentalität gewöhnt. Die Attraktivität wird übrigens mit zunehmender Freizügigkeit weiter steigen.

Seit zwei Jahren sind wir bei Eures dabei. Wie lautet Ihre persönliche Bilanz?
P.G.: Eures Schweiz funktioniert, Nachfrage und Organisation wachsen. 2003 haben wir die ersten fünf Eures-Berater ausgebildet, bis nächstes Jahr sind es elf oder zwölf. Die finanziellen und rechtlichen Grundlagen sind gelegt, und wir haben die Regeln über die Zusammenarbeit mit den EG-Kommissionen ausgehandelt. Die waren vorher nur in sehr rudimentärer Form vorhanden.

Was heisst nur in rudimentärer Form?
P.G.: Die Details über Form und die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit waren nicht ausformuliert. Da mussten wir festen Boden unter die Füsse bekommen.
Und dann war die Gründung der Eures-Grenzpartnerschaft Bodensee sehr erfolgreich. Zusammen mit der EU-Kommission, Deutschland und Österreich haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass diese sich innerhalb von neun Monaten bilden konnte.

Eures gedeiht.
P.G.: So ist es. Und ich sage es gern: Wenn es Eures nicht gäbe, müsste man es erfinden.

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