«der arbeitsmarkt» 02/2005

Wenn der Coach die Rolle des Pfarrers übernimmt

In Konflikten und Entscheidungsprozessen holen sich immer mehr Menschen und Unternehmen Hilfe von aussen. «der arbeitsmarkt» unterhielt sich mit der Dozentin und Supervisorin Christine Weiner über den verschärften Konkurrenzkampf am Arbeitsplatz.

«der arbeitsmarkt»: Frau Weiner, als Coach, Supervisorin und Trainerin beraten Sie Menschen und
Unternehmen in Konfliktsituationen. Wann ist jede Hilfe vergebens?
Christine Weiner: Wenn Menschen grundsätzlich nicht zusammenpassen. Das gibt es auf allen Ebenen. Vor
einiger Zeit kamen zwei Unternehmensberater zu mir. Sie hatten eine freundschaftliche Beziehung und eine gute Idee für ein gemeinsames Unternehmen. In einer Supervision war schon nach der ersten Stunde klar,
dass sie beruflich überhaupt nicht zusammenpassten. Ich habe sie damals nicht zusammen, sondern auseinander gebracht. Beide waren im Nachhinein dankbar, dass ich es verhindern konnte. Unternehmerische
Verbindungen, die nicht passen, können ja letztendlich zu einer teuren Angelegenheit werden.

Gibt es einen bestimmten Typ Mensch, der Ihre Hilfe sucht?
C.W.: Nicht wirklich – die Problematik bestimmt, wer Unterstützung braucht. Ich berate oft Frauen, die sich mutlos und unsicher fühlen. Viele möchten wieder lernen, für sich einzustehen, oder noch einmal einen Karriereschritt wagen. Auffallend ist ihr Wunsch nach mehr Selbstsicherheit. In einem grossen Unternehmen habe ich gerade erst 120 Frauen befragt, was das wichtigste Ziel des Seminars sein sollte. 80 Prozent von
ihnen wollten mehr Selbstsicherheit. Das hat mich geradezu erschreckt. Ich dachte, wir Frauen wären heute schon weiter.

Haben Männer andere Probleme?
C.W.: Ja, die finden sich eher im emotionalen Bereich, zum Beispiel im Mitarbeiter- oder im Führungskräftegespräch. Sich selbst emotional darzustellen oder mit anderen über emotionale Themen zu sprechen, fällt vielen Männern schwer. Sie bekommen Angst, sobald sie sich auf der Gefühlsebene be- wegen müssen. Da wechseln sie schnell wieder auf die Sachebene und schicken jemanden auf ein Seminar, nur um schnell wieder Ruhe zu haben.

Aber ist es nicht schon ein Fortschritt, dass Männer ihr emotionales Defizit überhaupt erkennen und
zu Ihnen kommen?
C.W.: Das schon – noch vor 20 Jahren wurde externe Hilfe kategorisch abgelehnt. Es gehörte zum guten Ton, dass man seine Angelegenheiten selbst regelt. Heute wissen Manager und Unternehmen, dass zur Menschenführung nicht nur sachliche Komponenten gehören. Führungskräfte müssen reagieren können, wenn ihr Gesprächspartner verzweifelt ist oder zu weinen beginnt. Ich versuche, ihre Kommunikation so zu trainieren, dass sie sich auch auf der emotionalen Ebene sicherer fühlen.

Behandeln Sie Frauen im Gespräch anders als Männer?
C.W.: Weniger – ich stelle mich auf die jeweilige Problematik ein. Bei Frauen achte ich eher darauf, Networking anzusprechen. Die meisten Frauen kennen das nur aus dem Freizeitbereich. Im Unternehmen sind sie damit zurückhaltender. Dass beim Apéro oder Feierabendbier noch Berufliches verhandelt wird, gibt es bei ihnen nicht. Männer muss man Networking nicht erklären. Wie das funktioniert, lernen sie schon vom Vater und Grossvater. Also auch, wie man sich dadurch Vorteile verschafft.

Sie beraten viele weibliche Mobbingopfer. Haben Männer Angst vor der weiblichen Konkurrenz?
C.W.: Falls Sie da einen Zusammenhang herstellen möchten – Konkurrenzangst ist ja bei Weitem nicht die alleinige Ursache für Mobbing. Männer mobben Frauen nicht wegen des Geschlechterkonflikts, sondern weil
sie öfter in der Führungsposition, also am längeren Hebel sitzen. Nach meiner Erfahrung mobben Frauen einander sehr hart, weil sie das eigene, weibliche Strickmuster ausgesprochen gut kennen.

Als mögliche Ursachen von Mobbing gelten persönliche Motive wie Neid und Eifersucht oder das Bestreben, von eigenen Schwächen abzulenken. Welche Ursachen kommen aus den Unternehmen selbst?
C.W.: Mangelnde Führungskompetenz ist sicher eine sehr verbreitete Ursache. Dazu kommen strukturelle
Veränderungen, Stress, Arbeitsplatzabbau oder veränderte Arbeitsmethoden. Ich höre auch oft schlechte Kommunikation als Grund.

Glauben Sie, dass die Zahl der Mobbingfälle zunimmt?
C.W.: Auf jeden Fall – meistens geht es dabei um Aufträge, die weggenommen werden. Die Mitarbeiter
haben das Projekt schon, und hinter ihrem Rücken wird von Vorgesetzten und Kollegen getrickst und intrigiert, bis der Auftrag wieder weg ist.

Um Konfliktsituationen aufzulösen, arbeiten Sie mit Einzelgesprächen, Coaching, Supervision und Training. Sie arbeiten aber auch als Mentorin. Dabei geht es um die Entwicklung von Führungskräftenachwuchs. Wie passt das da hinein?
C.W.: Mentoring muss man separat davon betrachten. Mentoring ist eine Art geistige Patenschaft, die in der
Regel über ein Jahr läuft, beispielsweise um weibliche Nachwuchskräfte intensiver zu fördern. Mentoren
fördern ganz gezielt ihre Mentees. Beide sollten im Unternehmen nicht direkt zusammenarbeiten. Ausserdem ist Mentoring auch eine hervorragende PR-Massnahme. Unternehmen locken mit Mentoring Nachwuchskräfte an.

Die Beschäftigungslage ist angespannt. Die Angst vor negativen Konsequenzen am Arbeitsplatz ist grösser geworden. Wie wirkt sich das auf den Dialog am Arbeitsplatz aus?
C.W.: Früher konnte man einfach den Job wechseln, wenn man in seinem Unternehmen unglücklich war. Heute geht das nicht mehr ohne Weiteres. Männer Mitte 40 haben im Unternehmen immer noch Perspektiven auf eine Führungsposition. Frauen hingegen fühlen sich in dem Alter schon ziemlich alt. Das bringt sie in die Defensive. Dann fürchten sie sich davor, dass ein Konflikt eskaliert. Frauen mit Kindern etwa warten lieber ab und hoffen, dass sich alles von alleine regelt.

Aussitzen hat aber noch selten geholfen.
C.W.: Ganz richtig. Eine Abteilung oder ein Unternehmen kann man mit einem Mobile vergleichen. Wenn sich zwei Fäden eines Mobiles verheddert haben, hängt das ganze Mobile schief. Erst wenn man die verknoteten Teile wieder entwirrt, schwingt es wieder frei. Mit Konflikten am Arbeitsplatz verhält es sich ebenso.

Sie haben angesprochen, dass man den Arbeitsplatz heute nicht mehr so einfach wechseln kann. Suchen in diesen arbeitsmarktlich angespannten Zeiten mehr Menschen Ihre Hilfe als sonst?
C.W.: Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, treibt mehr Menschen dazu, sich externe Hilfe zu holen als früher. Das hat aber nicht unbedingt mit der angespannten Arbeitsmarktsituation zu tun. Es ist einfach nicht mehr verpönt, sich fremde Hilfe zu holen. Vor 20 Jahren hat man jeden Coach als Therapeuten abgestempelt und jeden Mandanten als Psychopathen. Heute sehen das viele als eine Zuwendung, als ein Geschenk des Unternehmens. Jeder Filmstar oder Politiker hat einen Coach. Coaches werden als wohltuend und als Luxus empfunden. Der Blick von aussen birgt viele neue Chancen.

Ist es schick geworden, sich helfen zu lassen?
C.W.: Ja, wenn man einen guten Coach hat. Besonders in Topmanagerkreisen. Sie empfehlen ihn sogar ihren Geschäftspartnern. Für viele ist er ein Statussymbol. Der Luxus, einen Coach zu haben, ist ja nicht gerade günstig. Probleme gibt es in der mittleren Kaderstufe. Dort geht es oft um Konkurrenzkämpfe oder Mobbing. Die überlegen sich schon, was die anderen denken und dass sie Coaching als ein Zeichen von Schwäche deuten könnten. Das Thema ist dort noch nicht so fest etabliert.

Ist denn niemand mehr in der Lage, seine beruflichen Angelegenheiten selbst zu regeln?
C.W.: Das ist nicht die zentrale Frage. Menschen reden heute weniger miteinander. Vor allem am Arbeitsplatz. Hatte man früher Sorgen, ging man zum Pfarrer, Lehrer und Apotheker und liess sich beraten. Diese Rollen sind weggefallen und werden von Beratern wie mir wahrgenommen.

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