«der arbeitsmarkt» 01/2006

Welschlandjahr – Männer erobern Frauendomäne

Rollenbilder im Umbruch Eine Stelle als Au-pair ist für viele Mädchen die ideale Möglichkeit, Erfahrungen in Haushalt und Kindererziehung zu sammeln. Nun interessieren sich auch immer mehr männliche Jugendliche für eine Arbeit als Au-pair. Noch sind entsprechende Stellen aber rar.

Die Einwohner des kleinen Ortes Maracon im Waadtland mussten sich zuerst an den Anblick gewöhnen: Ein junger Mann kümmert sich seit kurzem um den Haushalt der Familie Eymann, hantiert mit dem Staubsauger, fegt die Stufen zur Haustür und bringt den zehnjährigen Dylan ins nah gelegene Collège.
Seit Ende August gehört für den sechzehnjährigen Johannes Egli aus dem St.Galler Rheintal Hausarbeit und Kinderbetreuung zu seinen täglichen Pflichten. Als Au-pair steht er um 6.45 Uhr auf und bereitet das Morgenessen für die vierköpfige Familie vor. Wenn die drei Kinder aus dem Haus sind und Madame Eymann zur Arbeit gefahren ist, beginnt für ihn die Hausarbeit: staubsaugen, Badezimmer putzen, abstauben, den Hund «Prune» ausführen. Gegen Mittag kommt das Kochen hinzu, danach der Abwasch, Mithilfe bei den Hausaufgaben und das Spielen mit den Kindern.
Ratlos, was er nach einer missglückten Aufnahmeprüfung in die Kantonsschule machen sollte, entschloss sich
Johannes, seine Französischkenntnisse aufzubessern und mit Kindern zu arbeiten. Da er Kochen in der Schule
gelernt hat und Hausarbeit für ihn nichts Neues ist, hat er keine Probleme mit dem Job. «Alles in allem eine friedliche Arbeit», findet er, und Französisch lerne er noch dazu.

Positive Erfahrungen

Heidi Konrad, Stellenvermittlerin bei «Pro Filia», der grössten Au-pair-Vermittlung in der Schweiz und zuständig für den Kantonalverein Zürich, bestätigt, dass die Nachfrage von männlichen Jugendlichen nach Au-pair-Stellen in der Westschweiz und im Tessin in den letzten zwei Jahren gestiegen sei. Während sie noch im Jahr 2002 keinen einzigen männlichen Au-pair vermitteln konnte, waren es im darauf folgenden Jahr bereits zwei und 2004 sechs. Dieses Jahr sind unter den insgesamt 80 bis 90 vermittelten Au-pair-Angestellten ebenfalls sechs männliche Jugendliche.
Auch im Kanton Thurgau lässt sich dieser Trend feststellen: «Die Anfrage von jungen Männern ist bei uns seit letztem Herbst gestiegen», bestätigt Brigitte Rebsamen-Hilfiker von «Oui Si Yes», der Au-pair-Vermittlung der reformierten Landeskirche. Im letzten Jahr konnte sie vier männliche Au-pair-Angestellte in die Westschweiz vermitteln. Der Grund für das plötzliche Interesse der männlichen Jugendlichen ist vor allem die prekäre Lehrstellensituation. Wer keine Lehrstelle gefunden oder eine Lehre abgebrochen hat, für den ist ein Sprachaufenthalt in der französischen oder italienischen Schweiz eine gute Zwischenlösung. Einen Sprachkurs im Ausland können sich viele aus finanziellen Gründen nicht leisten.
Beide Stellenvermittlerinnen machen auf Seiten der Familien noch immer erhebliche Vorurteile gegenüber männlichen Bewerbern aus. Konrad: «Einerseits behaupten sich traditionelle Rollenbilder weiterhin hartnäckig, andererseits gibt es aber auch eine diffuse Angst vor sexuellen Übergriffen.» Jeweils im November verschickt sie einen Fragebogen an die rund 60 bei ihr gemeldeten Familien. Darin fragt sie nach, ob diese auch im
kommenden Jahr ein Au-pair anstellen würden und ob das auch ein Mann sein könne. «Gerade bei jungen Männern wird besonders darauf geachtet, ob sie Erfahrungen in der Kinderbetreuung haben und kochen können.» Mangelnde Erfahrung ist in der Regel kein Hinderungsgrund für eine Anstellung, schwieriger
sei es jedoch, wenn jemand über gar keine Sprachkenntnisse verfüge und auch nicht bereit sei, sich solche anzueignen.
Die Gründe für die Bevorzugung eines bestimmten Geschlechts können aber auch von Fall zu Fall unterschiedlich aussehen: «Einzelne Familien mit Buben akzeptieren eine männliche Hilfe, weil diese interessenmässig eher zu den Knaben passt. Andere wiederum bevorzugen ein Mädchen, weil der
Haushalt zu viele männliche Mitglieder zählt», führt Heidi Konrad an. Gerade weil es aber für junge Männer nicht selbstverständlich ist, als Au-pair zu arbeiten, überlegen sie sich die Sache gründlicher und beginnen einen Aufenthalt bewusster als Mädchen. Im Vordergrund stehen meist der Sprachaufenthalt und die Arbeit mit kleinen Kindern.
Das kann Christoph Moser, 17, aus Tuttwil im Kanton Thurgau bestätigen: Er verbrachte ein Jahr bei einer Familie in der Nähe von Aigle und ist im Sommer 2005 zurückgekehrt. Die Stelle als Au-pair trat er vor allem deshalb an, um Französisch zu lernen. Beide Elternteile waren geschieden, gingen arbeiten, und er hatte die zwei Knaben im Alter von neun und zehn Jahren zu beaufsichtigen. Am Anfang sei die Kommunikation wegen seiner schlechten Französischkenntnisse sehr harzig gewesen, er sei jedoch herzlich aufgenommen worden und habe seine «Chefin» und den sporadisch anwesenden Hausherrn sogar geduzt. In der Rückschau beurteilt er den Aufenthalt als ausgesprochen positive Erfahrung. Er fühlte sich nie als billige Arbeitskraft missbraucht, und auch der Umgang mit den Kindern war erfreulich. Für diese habe er ein wenig die Rolle eines grossen Bruders eingenommen und ihnen bei den Hausaufgaben geholfen. Allerdings musste er sich am Anfang Respekt verschaffen: So sagten sie ihm, sie dürften, wenn die Eltern nicht da seien, bis 20.30 Uhr aufbleiben, er befahl ihnen aber, schon früher zu Bett zu gehen, was sie mit Murren auch taten. «Die Eltern haben meine Entscheidungen, was die Kinder anbelangt, immer unterstützt», sagt er im Rückblick. Da er schon vor Antritt der Stelle wusste, dass er eine Ausbildung im Sozialbereich machen wollte, haben ihm diese Erfahrungen sehr
genützt. Er hat vor kurzem eine Lehre als Sozialagoge begonnen und arbeitet mit Behinderten.
Um Negativerfahrungen zu vermeiden, empfiehlt «Pro Filia», vor Antritt einer Au-pair-Stelle drei Schnuppertage zu absolvieren. Ein Au-pair-Aufenthalt beginnt in der Regel im August, immer häufiger kommt es aber auch vor, dass Jugendliche – etwa weil sie ihre Lehre abgebrochen haben – zu einem anderen Zeitpunkt anfangen. Aussichtsreicher ist dabei ein Aufenthalt in der Westschweiz, da für das Tessin die Nachfrage nach Stellen das Angebot übersteigt. Die Richtlinien für Au-pair-Angestellte sehen bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden einen ausbezahlten Lohn von 590 Franken vor. Dazu kommen Kost und Logis. Die Angestellten haben eine einmonatige Probezeit, Anrecht auf zwei freie Tage pro Woche und fünf Wochen Ferien. Die Sprachkurse müssen sie selber bezahlen. Nach einem Monat organisiert die Stellenvermittlung ein Treffen vor Ort, bei dem die zuständige Vermittlerin vorgestellt wird und sich die Au-pairs untereinander kennen lernen können.

Divergierende Lebensstile

An der Tagesordnung sind meist auch einige Kündigungen. Gründe, weshalb Mädchen und Jungen den Aufenthalt abbrechen, sind etwa Heimwehgefühle, Schwierigkeiten, sich an eine neue
Situation anzupassen, die Tatsache, dass die zu beaufsichtigenden Kinder schon zu alt sind oder Putz- und Hausarbeit im Vordergrund stehen. Manchmal stellen die Jugendlichen auch fest, dass sich die Familiensituation im Vergleich zum Zeitpunkt, an dem sie geschnuppert hatten, verändert hat. Etwa, indem der Ehemann ausgezogen und ein neuer Freund eingezogen ist.
Zu den männlichen Au-pairs, die mit ihrer Situation nicht zufrieden sind, gehört Flurin Andermatt, 17, aus Biel. Er kam über eine Schule zu seiner Au-pair-Familie in der Westschweiz. Der Vater ist Amerikaner, beide Elternteile arbeiten und haben drei Kinder: einen Knaben im Alter von 13 und zwei Mädchen (Zwillingspaar) von 10 Jahren. Flurin wurde eher kühl aufgenommen und merkte schnell, dass die Familie einen ganz anderen Lebensstil pflegt, als er ihn sich von der eigenen Familie gewohnt war. Jedes Kind hat seinen eigenen Fernsehapparat, in der Garage stehen drei Autos. Während bei ihm zuhause das ökologische Bewusstsein ausgeprägt ist und er dazu erzogen wurde, auf getrennte Abfallentsorgung zu achten, stört ihn das fehlende Umweltbewusstsein seiner Au-pair-Familie: «Flaschen, Altmetall und Joghurtgläser werden ohne Unterschied in den Kehricht geworfen.» Oft brenne im ganzen Haus das Licht. Auch im Hinblick auf die Essgewohnheiten hat der Bieler seine liebe Mühe: «Die Familie isst nur wenig Gemüse und achtet beim Einkauf kaum auf die Herkunft der Lebensmittel.»
Flurin besucht an vier Morgen in der Woche die Schule und seine Arbeit als Au-pair beginnt um 14.00 Uhr, wobei er in der Regel schon früher anfängt. Nach Hause gekommen, muss er das Morgengeschirr wegräumen, den oberen Stock aufräumen, die Kinder- und das Badezimmer putzen und je nach Bedarf anfallende Arbeiten erledigen. Um 15.00 Uhr kommen die Kinder nach Hause, essen etwas und machen Hausaufgaben. Der Umgang mit ihnen hat dem 17-Jährigen schon von Anfang an Mühe bereitet: «Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb Kinder in diesem Alter rund um die Uhr betreut werden müssen.» Als er die Stelle angetreten habe, sei er davon ausgegangen, dass diese selbständig seien, die Kinderbetreuung – Hilfe bei den Hausaufgaben, Aufsicht beim Spielen, ab und zu Betreuung am Abend – mache jedoch 40 bis 50 Prozent seiner Arbeitszeit aus. Dies, obschon die Kinder seine Versuche, auf sie einzugehen, eher zurückgewiesen hätten. Weil er sich am Anfang zu wenig um sie kümmerte, trug ihm das einen Rüffel der Mutter ein. Sie beklagte sich darüber, dass er zuhause sitze und lese, während die Kinder unbeaufsichtigt seien. Weil auch seine Französischkenntnisse nur geringe Fortschritte machen, hat er sich schon mit dem Gedanken getragen, die Familie zu wechseln. Gespräche mit anderen Au-pairs hätten ihm aber gezeigt, dass es in anderen Familien schlimmer zugehe und handfeste Streitigkeiten an der Tagesordnung seien.

Spitzenreiter England und Irland

Da bei Antritt einer Lehrstelle immer mehr Fremdsprachenkenntnisse nicht nur erwünscht, sondern gefordert werden, hat die Nachfrage nach Au-pair-Stellen nach einem Tief im Jahr 2003 auch bei Mädchen wieder zugenommen. Vor allem Englisch- und Französischkenntnisse seien wichtig, wenn sich jemand bei ihnen um eine Lehrstelle bewerbe, erklärt etwa Axel Langer, Mediensprecher bei der UBS. Die Schweizer Grossbank vergibt pro Jahr rund 260 KV-Lehrstellen, pro Stelle bewerben sich etwa sechs Interessenten. Um eine Chance zu haben, werden nicht nur gute Noten verlangt, sondern auch der «Multicheck», eine Standortbestimmung, die von immer mehr Lehrbetrieben verlangt wird und bei der auch Englisch- und Französischkenntnisse geprüft werden.
Vor diesem Hintergrund hat auch die Nachfrage nach Au-pair-Stellen im Ausland zugenommen. Während «Pro Filia» im Jahr 2002 gesamteuropäisch 128 weibliche Au-pairs vermittelte, waren es 2004 bereits 159. Spitzenreiter in der Liste der Länder, in die vermittelt wird, sind England und Irland, gefolgt von Frankreich und Italien. Annemarie Feldmann, zuständig für die Auslandvermittlung, macht allerdings geltend, dass die Anforderungen beträchtlich gestiegen seien. Während früher der Wunsch, die Sprache zu lernen, genügt habe, würden heute im Minimum Basic-Kenntnisse» verlangt. Und: «Männliche Bewerber haben als Au-pair im Ausland kaum Chancen, weil die Konkurrenz an weiblichen Bewerberinnen aus den neuen EU-Ländern sehr gross ist.»

Vorurteile gegenüber männlichen Au-pairs

Für Au-pair-Anstellungen im Ausland gilt ein Mindestalter von 18 Jahren, weshalb auch die Angst vor sexuellen Übergriffen grösser sei als in der Schweiz, meint Heidi Koller, Inhaberin der Au-pair-Stellenvermittlung «Go 2 talk». Die Agenturen im Ausland müssten für eventuelle Beschwerden geradestehen und hätten deshalb kaum ein Interesse daran, männliche Jugendliche zu vermitteln. Mehr Möglichkeiten sehen beide Vermittlerinnen im Hinblick auf Praktikumsstellen oder eine Arbeit in handwerklichen Betrieben. So vermittelt «Pro Filia» Praktikumsstellen an Mädchen und Jungen in einem Sonderschulheim östlich von London, wobei die Anforderungen hier wesentlich höher sind als bei einer Au-pair-Vermittlung. Ein Vertreter des Heims kommt in die Schweiz und testet die Jugendlichen bezüglich Sprachkenntnisse und Motivation. Da die wöchentliche Arbeitszeit im Heim 38 bis 42 Stunden beträgt, ist ein Sprachkursbesuch kaum möglich.
Dass auch in der Schweiz Vorurteile in Bezug auf männliche Au-pairs nicht nur in der Theorie bestehen, bestätigen die Erfahrungen von Johannes Egli. Er fühlt sich manchmal als Exot, meint aber: «Treffe ich auf Vorurteile, erkläre ich, was mich an meinem momentanen Job reizt, und das wird akzeptiert.» Seine Kollegen hätten gar gefunden, er führe im Moment ein «easy Leben». Der Rheintaler hat einen guten Draht zu den Kindern, und Thomas, der ältere Sohn der Eymanns, findet es super, dass seine Mutter nach zwei weiblichen Au-pairs einen Jungen angestellt hat. Endlich jemand, der mit ihm Fussball und Tischtennis spielt.

Links: www.profilia.ch, www.aupair.ch, www.go2talk.ch

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