«der arbeitsmarkt» 06/2007

«Weg vom Managertum, hin zum Unternehmertum»

Seit ihrem Wahlerfolg im Kanton Zürich stösst die Grünliberale Partei (GLP) auch national auf Interesse. Was will die neue Kraft, die bei Wählerinnen und Wählern aus der politischen Mitte so gut ankommt? «der arbeitsmarkt» unterhielt sich mit Martin Bäumle, Nationalrat und Chefstratege der GLP, über Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigungspolitik.

Herr Bäumle, was ist Ihnen wichtiger, das Grüne oder das Liberale?

Martin Bäumle: Wirtschaft und Umwelt sind keine Gegensätze. Doch im Konfliktfall hat der Schutz der Umwelt Vorrang. Es gibt Parteien, die nur die Interessen der Wirtschaft vertreten. Da braucht es ein Gegengewicht, das auf einem partnerschaftlichen Verhältnis aufbaut. Opposition gegen die Wirtschaft hilft der Ökologie nicht. Im Übrigen ist Wirtschaft nicht an sich unökologisch.

Mit unserem wirtschaftlichen Handeln plündern wir die Natur.

Jedes menschliche Wirtschaften hat letztlich einen negativen Einfluss auf die Umwelt. Doch der Mensch darf die Natur nutzen und benutzen; wir müssen jedoch auch die Grenzen sehen im Sinne der Nachhaltigkeit, damit auch kommende Genera-tionen noch so erfolgreich wie wir leben können.

Was verstehen Sie unter Nachhaltigkeit?

Unter Nachhaltigkeit verstehe ich ein Gleichgewicht von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Das bedeutet, dass die Ressourcen wie Umwelt oder Sozialkapital nicht überstrapaziert werden. Wenn wir aus dem Raubbau an der Natur oder der Kinderarbeit in der Dritten Welt Gewinn ziehen, ist das weder ökologisch noch sozial nachhaltig. Da werden Ressourcen aufgezehrt, für die wir keinen fairen Preis zahlen. Es ist aber auch nicht nachhaltig, wenn man der Wirtschaft die Handlungsfähigkeit nimmt mit der Argumentation, sie erzeuge Emissionen oder sie beute Menschen aus, weil sie zum Beispiel je nach Branche auf Schichtarbeit angewiesen ist.

Was für eine Rolle spielt das liberale Element im politischen Programm der Grünliberalen?

Grundsätzlich gilt: Der Freiheitsgrad des Einzelnen muss so hoch wie nur möglich sein. Dazu kommt, dass liberal bei uns mit grün verknüpft ist. Das bedeutet, dass wir den ökologischen Anliegen nicht mit Vorschriften und Verboten, sondern mit Lenkungsmassnahmen zum Durchbruch verhelfen wollen. Wir wollen den Markt spielen lassen. Ich bin der Überzeugung, dass man mit Anreizmodellen weiter kommt als mit Verboten, auch in der Sozial- und der Arbeitsmarktpolitik.

Ist grünliberal nicht einfach wirtschaftsliberal mit grünem Feigenblatt?
Im Gegenteil. Gerade der ökologische Anspruch setzt der Freiheit Grenzen.

Worin besteht der Unterschied zu den «echten» Grünen?

In Umweltfragen sind die Unterschiede marginal. Wir Grünliberalen sind pragmatischer. Ich bin eher bereit, auch in ökologischen Fragen einen Kompromiss zu machen, wenn damit ein Ziel erreicht werden kann. Differenzen bestehen vor allem auf finanz-, wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet. Auch in der Ausländerpolitik haben wir Grünliberalen andere Meinungen und grenzen uns vom Linkskurs der Grünen ab.

Die Grünliberalen wurden auch schon als «Grüne light» bezeichnet.

Wir gehen eben pragmatisch an die Dinge heran. Den Flughafen zum Beispiel anerkennen wir als bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Ich weiss zwar, dass wir klimapolitisch im Flugbereich entschieden mehr machen müssten, doch die Schweiz kann das Problem nicht im Alleingang lösen. Wenn das «Öko light» ist, okay, damit kann ich leben.

Wie gefällt Ihnen das Etikett «Öko-Freisinn»?

Wenn der Freisinn noch wäre, was er vor hundert Jahren war, würde ich das als Kompliment verstehen. Zurzeit ist Freisinn allerdings kein guter Name, sondern eher ein Schimpfwort. Gegenwärtig versuchen sich die Freisinnigen einen ökologischen Anstrich zu geben, doch ihre grösste ökologische Leistung in den letzten vier Jahren war, dass sie in Zürich Al Gores Film über den Klimawandel gezeigt haben. Auf der anderen Seite kämpfen sie mit allen Mitteln gegen das Verbandsbeschwerderecht und versuchen, den VCS als Sündenbock für alle Probleme der Wirtschaft hinzustellen.

Sie haben als Stadtrat die Finanzen von Dübendorf saniert. Ist Sparen für Sie wichtig?

Sicher, ja. Die Finanzen im Griff zu behalten und gleichzeitig die Leistungen zu erbringen, die von der Bevölkerung gefordert werden, ist eine Herkulesaufgabe. Sparen ist eine Voraussetzung, um neue Aufgaben, die auf die Gesellschaft zukommen, auch finanzieren zu können. Es geht mir nicht primär darum, Steuern zu senken, sondern Gelder für neue Aufgaben freizumachen und Schulden zu reduzieren, um handlungsfähig zu bleiben.

Das bedeutet auch, dass man Arbeitsplätze opfert.

Das ist so. Doch in den letzten Jahren ist der öffentliche Sektor kontinuierlich gewachsen. Es kann nicht darum gehen, radikal Stellen abzubauen, doch dass auch beim Staat Stellen überprüft werden, darf kein Tabu sein.

Die heutige Weltwirtschaft ist nicht denkbar ohne Wachstum. Wie passen Wachstum und Nachhaltigkeit zusammen?

Wachstum hat Grenzen. Wir haben es in den letzten Jahren erlebt, dass das Wirtschaftswachstum nicht mehr zweistellig war. Wir sind schon weit oben; doch es gibt noch viele Länder mit Wachstumspotenzial, und sie haben die Chance, dieses Wachstum ökologisch verträglich abwickeln zu können. Inwieweit Wachstum nötig ist, um die Wirtschaft in Gang zu halten, hängt davon ab, wie viel man auszugeben bereit ist. Ich bin der Meinung, dass dieser Aufwand nicht ins Uferlose wachsen darf. Hier beisst sich die linke Theorie; die Linke ist zwar wachstumskritisch, doch gleichzeitig braucht sie zwingend ein Wachstum, um ihre Begehrlichkeiten finanzieren zu können.

Was, wenn wir kein Wachstum mehr haben?

Nullwachstum wird irgendwann ein Thema sein; dieser Fall wird wahrscheinlich eintreten. Damit werden sich die Industriestaaten auseinandersetzen müssen.

Werden wir das überleben?

Ja, aber es wird nicht einfach sein. Es wird darum gehen, mit gleich bleibendem Ertrag ein wachsendes Bedürfnis abzudecken. Doch es wird auch eine Frage der Qualität sein. Es gibt heute Wachstumsbereiche, die nichts mehr mit Qualität zu tun haben, etwa wenn wir Gesundheits- oder Umweltschäden beheben müssen. Das ist kein sinnvolles Wachstum.

Wenn wir die Entscheidung über die Entwicklung der Wirtschaft allein den Kräften des Marktes überlassen, werden wir immer nur Masse statt Klasse pro­duzieren.

Darum plädiere ich dafür, die Mehrwertsteuer durch eine Energiesteuer zu ersetzen. Damit würde ökologisches Verhalten steuerlich begünstigt. Es ist doch falsch, wenn heute der Bau von Solarpaneelen mit einer hohen Mehrwertsteuer belastet wird, Wegwerfprodukte wie der Tetrapak dagegen steuerlich privilegiert werden. Eine Energiesteuer würde dieses Verhältnis auf den Kopf stellen. Ökologisch falsches Verhalten hat heute keinen Preis; deshalb entwickelt sich der Markt in die falsche Richtung.

Würde Solarstrom so konkurrenzfähig?

Das Problem im Energiesektor ist die fehlende Kostenwahrheit. Wenn die AKW-Betreiber die wahren Kosten und das Risiko tragen müssten, würden keine Atomkraftwerke mehr gebaut. Eine europäische Energieabgabe anstelle der Mehrwertsteuer würde Kohlekraftwerke verteuern; das würde den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Energieeffizienz fördern.

Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien hat einen Preis, wie der Streit um die Erhöhung der Grimselstaumauer zeigt.
Mit dem Ausbau des Grimselstausees würde keine einzige zusätzliche Kilowattstunde Strom produziert. Das ist kein Ökostrom, sondern eine reine Pumpspeicher-übung, um billig importierten Atomstrom zu vergolden. Es geht dabei allein um finanzielle Interessen. Anders sähe es aus, wenn die Kapazität ausschliesslich zur Speicherung von erneuerbarer Energie verwendet würde, denn auch bei den Erneuerbaren besteht ein Bedarf an den Speicherkapazitäten der Schweizer Stauseen.

Wie kann man sicherstellen, dass nur erneuerbare Energie gespeichert wird?

Heute bräuchte es dazu vertragliche Absicherungen. Wenn wir anstelle der Mehrwertsteuer eine europäische CO2- oder Energieabgabe hätten, die hoch genug ist, bräuchte es nicht einmal das. Denn die Energie aus Kohle- und Atomkraftwerken wäre ohnehin zu teuer und würde bald verschwinden.

Thema Arbeit: Arbeit ist heute ein knappes Gut.

Stimmt nicht, nur bezahlte Arbeit ist knapp geworden. Es gibt daneben viel unbezahlte Arbeit, die oft von Frauen erledigt wird. Das Problem ist, dass wir zu wenig bezahlte Arbeit haben. Das Schlagwort Vollbeschäftigung halte ich übrigens für einen Unsinn. Das stammt aus den fünfziger und sechziger Jahren, als Vollbeschäftigung bedeutete, dass jeder Mann zwischen 20 und 65 einen Hundertprozentjob hat und damit eine Familie ernährt. Heute sieht die gesellschaftliche Realität anders aus. Vollbeschäftigung würde eine Verdoppelung gegenüber den sechziger Jahren bedeuten, als nur die Männer erwerbstätig waren.

Wir haben heute Arbeitslosigkeit, was jahrzehntelang praktisch nicht existierte.
Das Problem ist heute die Verteilung: Es gibt viele Doppelverdiener, während andere keinen Job mehr finden. Gravierender ist, dass diese Probleme seit Jahren auf die Invalidenversicherung abgeschoben werden, vom Staat wie von Privaten. Nachdem sich alle jahrelang an dieser bequemen Alternative gelabt haben, regt man sich nun plötzlich auf über die Folgen dieses Tuns. Auch im Bereich Fürsorge wurden Fehler gemacht, indem man es versäumte, Betroffene möglichst schnell wiedereinzugliedern.

Es ist doch nicht realistisch, alle in den Arbeitsmarkt integrieren zu wollen. Dafür muss man heute fit sein; immer mehr Menschen sind diesen Ansprüchen nicht gewachsen.

Der Arbeitsmarkt ist tatsächlich brutal geworden. Es müssen auch für weniger qualifizierte Menschen wieder Möglichkeiten geschaffen werden, am Erwerbsleben teilzunehmen, notfalls zu einem tieferen Lohn, der allenfalls durch staatliche Ergänzungsleistungen aufgebessert werden muss. Der Staat soll auch eine gewisse Unterstützung bieten, wenn jemand etwas für die Betroffenen macht.

Die öffentliche Hand soll bezahlen, wenn die Arbeitgeber prekäre Jobs schaffen?

Man muss auch die Wirtschaft in die Pflicht nehmen. Wie das gehen soll, weiss ich auch noch nicht. Doch der Staat beschäftigt auch Menschen, die zwar nicht die volle Leistung bringen, aber in ihr Team vielleicht eine menschliche Leistung einbringen, die für die andern sehr wertvoll ist. Ich behaupte, dass fast jeder das Potenzial hat, irgendwo eingesetzt zu werden. Doch es ist schwierig, für jeden den geeigneten Platz zu finden.

Die Arbeitgeber haben doch kein Interesse daran, solche Leute einzustellen.

Für KMU ist das auch oft gar nicht möglich. In einem Grossunternehmen oder in der Verwaltung hingegen können die anderen Mitarbeitenden einen Ausfall problemlos auffangen.

Glauben Sie denn, dass Grossunternehmen dazu bereit sind?

Schwierig. Die sind ja auch auf Gewinnmaximierung aus; da braucht es ein Anreizsystem. Der Wirtschaft muss auch klar werden, dass es für sie nicht interessant ist, einen Sozialfallstaat zu haben, der nicht mehr finanzierbar ist. Schliesslich müssen sie den über die Steuern auch wieder mitfinanzieren. Betriebswirtschaftlich ist es zwar interessant, einen Problemfall loszuwerden, doch volkswirtschaftlich kann es falsch sein.

Darum will jeder der Erste sein, der seine schwierigen Angestellten loswird.

So ist es, ja. Leider politisieren die meis-ten Politiker, vor allem im rechtsbürgerlichen Lager, rein betriebswirtschaftlich und lassen volkswirtschaftliche Aspekte ausser Acht.

Machen es die Grünliberalen besser?

Wir versuchen, es besser zu machen. Doch wir stehen noch am Anfang, und es handelt sich nicht um ein einfaches Problem. Wir suchen hier einen Ausgleich zwischen linken und rechten Positionen. Wir wollen ein glaubwürdiger Partner sowohl für Bürgerliche als auch für Linke sein, indem wir für Vorschläge von links wie von rechts offen sind und sie nicht einfach ablehnen, nur weil sie aus einer falschen politischen Ecke kommen.

Das Vakuum in der politischen Mitte ist gut für die Grünliberalen.

Sicher, und darauf will ich aufbauen. Wir haben gesellschaftliche Probleme, die wir angehen müssen und für die ein Ausgleich zwischen linken und rechten Positionen gefunden werden muss.

Mit welchem Rezept wollen Sie denn die sozialen Kosten in den Griff bekommen?

Mit Anreizen. Wenn heute jemand aus der Fürsorge rauskommt, hat er ja nur Nachteile: Er muss arbeiten, kommt vielleicht in einen Prozess hinein, mit dem er Mühe hat, und gleichzeitig muss er auch noch mehr abgeben. Am Ende hat er weniger in der Tasche als derjenige, der sich einfach fallen lässt. Das kann es doch nicht sein! Wie setzen wir also Anreize, damit auch der Betroffene sich bewegt? Denn das muss klar gesagt werden: Auch der Betroffene muss einen
Beitrag leisten.

Was halten Sie von Bundesrat Pascal Couchepins Ansatz, der demografischen Entwicklung mit einer Anhebung des Rentenalters zu begegnen?

Herr Couchepin wollte ganz bewusst provozieren. Wir haben tatsächlich ein demografisches Problem, das die Sicherheit unserer Renten tangiert. Pascal Couchepin hat das Thema salonfähig gemacht.

Es ging ihm nur darum, eine Debatte in Gang zu setzen?

Ja. Ob er aber daran glaubt, dass das auch umsetzbar ist? Rentenalter 67 würde die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen, sondern verschärfen. Dass wir ein Problem haben, ist aber unbestritten. Bundesrat
Couchepin hat das Thema auf eine plakative Art zur Sprache gebracht; das finde ich nicht besonders klug. Anstatt zu provozieren, hätte er besser einen pragmatischen Vorschlag gemacht.

Wie lautet Ihr Lösungsvorschlag?

Ich bin für eine Flexibilisierung des Rentenalters im Sinne eines Lebensarbeitszeit-Modells. Wer studiert hat und erst mit 30 richtig in das Arbeitsleben eingestiegen ist, der kann bis 67 oder 70 arbeiten, wenn er gesund ist. Ein anderer, der seit seinem 18. Lebensjahr auf dem Bau gearbeitet hat, ist möglicherweise mit 58 am Ende seiner Kräfte. Ihn kann man nicht bis 67 zur Arbeit zwingen. Da braucht es eine Flexibilisierung, aber sie muss finanzierbar sein. Voller Lohn bis 65, wie das die Linke fordert, das geht nicht.

Der Aufschwung der letzten Jahre fand auf dem Buckel der Arbeitnehmenden statt. Ist es nicht an der Zeit, sie am Erfolg teilhaben zu lassen?

Das muss man differenzieren, es ist ja nicht überall nur schlecht gegangen. Allerdings gibt es Niedriglohnbereiche, die tatsächlich an eine untere Grenze stossen. Ich bin aber ein Gegner von Mindestlöhnen, denn sie lösen das Problem nicht, sondern führen dazu, dass gewisse Firmen hier nicht mehr existieren können. In diesen Fällen muss über Ergänzungsmassnahmen diskutiert werden. Es darf nicht sein, dass eine Familie mit Kindern, deren Eltern 180 Prozent arbeiten, am Ende weniger hat als eine vergleichbare Familie, die von der Fürsorge lebt.

Für die Entlöhnung der Topkader ist immer genug Geld vorhanden, da sind doch existenzsichernde Löhne – auch für einfache Tätigkeiten – nur eine Frage des Anstands.

Man kann die Arbeitgeber nicht dazu verpflichten, wie man sie auch nicht zwingen kann, Problemfälle einzustellen. Doch man muss die Unternehmer wieder dazu bringen, sich aus moralischen Überlegungen anständig zu verhalten. Darum sage ich: weg vom Managertum und wieder hin zum Unternehmertum. Denn ein Unternehmer denkt volkswirtschaftlich und nachhaltig; er will ja nicht nur Angestellte, sondern auch Konsumenten haben. Mitarbeitende, die arm und krank sind und sich nichts leis-ten können, sind schlechte Konsumenten. Einem Manager hingegen ist das egal; wenn seine Quartalsbilanz stimmt und die Aktienkurse steigen, ist ihm ein Bonus sicher.
Darum habe ich der Unternehmenssteuerreform zugestimmt: um Anreize zu schaffen für unternehmerisches Handeln. Unternehmertum ist ja immer auch ein Risiko.

Im Positionspapier der Grünliberalen Partei steht: «Da das Konkurrenzsystem in seiner heutigen Ausprägung umweltzerstörerisch wirkt, braucht es geeignete marktwirtschaftliche Steuerinstrumente.» Das Konkurrenzsystem wirkt auch im Sozialen zerstörerisch. Wie sollen seine negativen Auswirkungen in einer globalisierten Wirtschaft verhindert werden?

Die Berücksichtigung der ökologischen Kosten muss sich auch in anderen Ländern durchsetzen, und das muss international abgesichert werden. Sogar die Chinesen reden heute über Ökosteuern, und auch die sozialpolitische Situation wird dort früher oder später ein Thema sein. Mit dem besseren Wirtschaftsstatus wächst automatisch auch der Druck für bessere Umwelt- und Sozialbedingungen. Bei den Japanern hat man einst auch gesagt, die werden uns überrennen, weil sie kaum Sozialkosten haben. Heute hat Japan vergleichbare soziale Strukturen wie wir. Wir können China keine Sozialstandards vorschreiben, die müssen das Problem selbst lösen. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist Demokratie; ohne demokratische Strukturen können sich die Unterdrückten nicht wehren.

Wie sehen die Steuerinstrumente aus, die das Konkurrenzsystem zähmen
können?

Es braucht klare Rahmenbedingungen, die multilateral über die internationalen Instrumente und Organisationen abgesichert sind. Es muss dafür gesorgt werden, dass Ökologie weltweit einen Wert erhält, dann werden auch die Transportpreise steigen. Und minimale Sozialstandards müssen zwingend sein. Man muss die betreffenden Staaten davon überzeugen, dass das auch in ihrem Sinn ist, und unsere Unternehmen, die Arbeitsplätze nach China auslagern, dazu zwingen, dort auch Verpflichtungen zu übernehmen.

Noch ein Blick in die Zukunft: Werden die Grünliberalen bei den Nationalratswahlen im Herbst Fraktionsstärke erreichen?

Bin ich das Orakel von Delphi?! Es ist denkbar, dass im Herbst eine Fraktion öko-liberaler Kräfte zustande kommt. Das ist unser Ziel, auf das wir hinarbeiten. Doch es ist heute noch zu früh, um Prognosen zu stellen. Und wenn es nicht reicht, werden wir wohl eine Fraktionsgemeinschaft anstreben. Zwischen SP und FDP ist für mich fast alles diskutabel, tendenziell werden es aber die Mitteparteien sein.

Haben Sie eine Vision für unsere Gesellschaft?

Ich wünsche mir, dass die Schweiz den ökologischen Umbau schafft und zu einem Vorbild in der Welt wird und dass wir anderen helfen können, dies ebenfalls zu erreichen. Denn jeder Mensch hat Anspruch auf einen minimalen Wohlstand.

Ökologische Kraft in der Mitte

Die Zürcher Kantonsratswahlen von Mitte April brachten eine Überraschung: Die neu gegründete Grünliberale Partei um Nationalrat Martin Bäumle und Regierungsrätin Verena Diener holte auf Anhieb zehn Sitze. Der Hauskrach im grünen Lager ist noch lange nicht ausgestanden.

Es war heiss im April. In den Bergen schmolz der wenige Schnee, den der Winter, der wärmste seit 250 Jahren, gebracht hatte. Sonnenhungrige maulten, weil die Badi noch zu war, im April. Und dies führte uns vor Augen, was noch kommen könnte, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Wie sehr die Klimaproblematik das Volk beschäftigt, zeigten eindrücklich die Wah-len im Kanton Zürich von Mitte April, die als wichtiger Test für die Nationalratswahlen im Herbst gelten. Die Grünen, die in der Umweltpolitik das grösste Vertrauen geniessen, erreichten die Zehnprozentmarke und gewannen sieben Sitze dazu. Doch nicht nur sie schwangen in der Gunst der Wählerinnen und Wähler obenaus, sondern auch die Grünliberalen. Die junge Partei, erst 2004 gegründet, holte bei dieser ersten Urnenwahl auf Anhieb zehn Sitze, acht davon neu. Wahrhaft ein bäumiges Resultat.
Architekt dieses Erfolgs ist Martin Bäumle, 43, Atmosphärenwissenschaftler und erfolgreicher Finanzvorstand der Stadt Dübendorf. Er hat die Grünliberalen, deren Stratege, Ko-Präsident und einziger Nationalrat er ist, mit einem ökologisch-liberalen Profil im Machtvakuum der politischen Mitte positioniert. Seine Partei bietet sich Wählerinnen und Wählern an, die zwar für Ökologie stimmen wollen, aber mit linkem Etatismus und gewerkschaftlichen Standpunkten nichts am Hut haben. «Nicht alle Umweltbewegten definieren sich links», sagt der Politologe Andreas Ladner, Professor für Schweizerische Verwaltung und Staatspolitik am Lausanner Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung IDHEAP. «Es ist offenkundig, dass in der politischen Mitte ein Potenzial für diese Position besteht.» Auch für Ladner war der Erfolg der Grünliberalen in Zürich eine Überraschung. Dass eine neu gegründete Partei, die ausser Bäumle und Diener kaum bekannte Exponenten habe, einen solchen Erfolg eingefahren habe, sei schon aussergewöhnlich.
Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind es, was die beiden grünen Parteien scheidet – und geschieden hat. Denn die Grünliberale Partei Zürich ist aus einem Zwist heraus entstanden. Bäumle hatte zusammen mit Vreni Püntener die Zürcher Grünen geführt, bis er nach heftigen internen Konflikten über die Marschrichtung, die seit dem Wahlerfolg von 2003 geschwelt hatten, im Frühsommer 2004 abgewählt wurde. Mit Groll im Herzen und beflügelt von der missionarischen Überzeugung, dass sich die Natur auch mit marktwirtschaftlichen Instrumenten schützen liesse, setzten sich Martin Bäumle und die Regierungsrätin Verena Diener von den Grünen ab und schritten zur Gründung der eigenen Partei.
Die «echten» Grünen sind auf den Abtrünnigen noch heute nicht besonders gut zu sprechen. Meinungsverschiedenheiten sind bei den Grünen nichts Aussergewöhnliches; seit ihren Anfängen in den siebziger Jahren ist die grüne Bewegung in der Schweiz sehr heterogen. Sie zeichnet sich durch föderalistische Strukturen und eine bemerkenswerte politische Vielfalt aus. Doch der gemeinsame Nenner ist stark und hält die Partei dank einer guten Dialogkultur zusammen. «Bäumles Verhalten hat uns befremdet», sagt Hubert Zurkinden, Generalsekretär der Grünen Schweiz. «Seine Abwahl als Präsident war ein demokratischer Entscheid, dem er sich nicht beugen wollte.» Ist Martin Bäumle ein Eigenbrötler? «Ja», sagt Zurkinden. «Bäumle sucht die Aufmerksamkeit, indem er sich mit seiner Meinung in Szene setzt und in einer Gruppe aus der Reihe tanzt. Das macht die Zusammenarbeit mit ihm schwierig.»
Schwierig war offenbar auch die Zusammenarbeit in der Fraktion. Zurkinden wirft Bäumle vor, zentrale Anliegen der Grünen nicht mitzutragen. «Bäumle stimmt zwar in Umweltfragen mit den Grünen, in sozialen Fragen aber bürgerlich oder gar rechtsbürgerlich», sagt Zurkinden. Das zeigte sich bei der Revision des Ausländerrechtes. Auch in der Sicherheitspolitik hat man das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Als Einziger der grünen Fraktion befürwortete Bäumle die Wahl Christoph Blochers in den Bundesrat. «Wenn jemand in Gewissensfragen nicht mit der Fraktion stimmen will, akzeptieren wir das», sagt Zurkinden. «Doch Bäumle hat auch in taktischen Dingen die Zusammenarbeit verweigert.»
Nach dem Zürcher Wahlerfolg hat Martin Bäumle angekündigt, die ökoliberalen Kräfte der Schweiz unter einem nationalen Dach vereinigen und so ein bürgerliches Gegengewicht zu den «linken Grünen» schaffen zu wollen. «Bäumle sagt seit drei Jahren, dass er die ökoliberalen Kräfte der Schweiz bündeln will», sagt Hubert
Zurkinden. «Bis heute ist aber nichts passiert.» Ob es ihm tatsächlich gelingen wird, in der politischen Mitte eine Ökopartei aufzubauen, bleibt ungewiss. Denn auch innerhalb der Grünen Partei gibt es liberale Kräfte, beispielsweise die Ökoliberale Bewegung Schaffhausen oder die Grüne Freie Liste Bern. Doch man pflegt die Einheit in der Vielfalt. «Unter dem grünen Dach gibt es verschiedene Richtungen», sagt auch Zurkinden. «Doch umwelt- und wirtschaftspolitisch ziehen wir am gleichen Strang: Wir wollen den ökologischen Umbau der Wirtschaft.» Zwar gebe es in konkreten sachpolitischen Fragen sehr wohl Unterschiede. Anstatt über die Differenzen zu streiten, besinnt man sich aber lieber auf die Gemeinsamkeiten: «Parteiintern führen wir eine lebhafte, faire Debatte über die Ausrichtung der Partei. Für uns Grüne ist das Zusammengehen wichtig.»
Das Zusammenführen ökoliberaler Kräfte unter einem nationalen Dach hält Andreas Ladner nicht für prioritär. Für den Aufbau einer nationalen Partei sei vielmehr zentral, dass dafür auch namhafte Exponenten gewonnen werden können. Darin sieht der Experte das grösste Problem: «Gute Namen lassen sich nicht aus dem Hut zaubern.» Zwar hätten die Grünliberalen in Zürich einen erfolgreichen Start gehabt. Mit Blick auf den Wahlherbst jetzt rasch ein nationales Dach zimmern zu wollen, hält Ladner aber für eine grosse Herausforderung. «Entscheidend für die längerfristige Entwicklung sind vor allem der Aufbau der Partei und das Entwickeln der konzeptionellen Grundlagen.» Hat es denn in der Schweizer Parteienlandschaft überhaupt Platz für eine ökologische Mitte? «Die Perspektiven für eine nationale ökoliberale Partei hängen nicht nur von der eigenen Positionierung ab, sondern auch von der-jenigen der anderen Parteien.»
Dass eine zweite grüne Partei, die sich in der Mitte positioniert, zum Prüfstein für die Grünen wird oder gar in der Abspaltung eines liberalen Parteiflügels endet, fürchtet Grünen-Sekretär Zurkinden nicht. «Das wäre vielleicht eine Konkurrenz, aber sicher keine Zerreissprobe.» Andreas Ladner sieht das anders: «Die Möglichkeit, eine gemässigte Alternative wählen zu können, könnte für manche Sektionen sehr wohl
zu einer Zerreissprobe werden. Denn ursprünglich waren die Grünen, ähnlich wie heute die Grünliberalen, primär eine Umweltpartei. Dass mit der Integration der Grünalternativen Anfang der neunziger Jahre der linke, gewerkschaftsnahe Flügel Oberhand gewonnen hat, gefällt nicht allen.»

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