«der arbeitsmarkt» 04/2013TEXT: Elisabeth Fry
Die Sozialfirma Trinamo

Weg vom Bastel-Image

Die Aargauer Sozialfirma Trinamo schafft ein Arbeitsumfeld, das dem ersten Arbeitsmarkt sehr ähnlich ist. Sie eröffnet neue Perspektiven für ihre Teilnehmer und Teilnehmerinnen und setzt dabei auf die Verbindung von Modernität mit Sozialem. Reto Schaffer, Geschäftsleiter von Trinamo, erklärt das Konzept.

In einem grauen Industriequartier von Aarau befindet sich das Café Mojo. Es ist ganz im Stil der 50er Jahre ausgestattet: mit einem riesigen Röhrenradio und restaurierten Stilmöbeln aus dieser Zeit. Damit kontrastieren moderne Stehtische, die in der hauseigenen Schreinerei gefertigt wurden. Auf den Tischen liegen selbst designte und handgemachte Glasuntersätze, an der Wand hängen T-Shirts aus der eigenen Näherei und Siebdruckerei, auf denen das selbst entworfene Logo prangt: Mojo.

Das Lokal ist ein Betrieb der Sozialfirma Trinamo. Diese entstand Anfang 2012 aus dem Zusammenschluss dreier kantonaler Anbieter von Beschäftigungsprogrammen, dem Verein Stollenwerk, der Stiftung Pegasus und dem Verein zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen Fricktal, WivA. Pegasus bot vor allem Einsatzplätze für IV-Bezüger und psychisch Beeinträchtigte, Stollenwerk und WivA hingegen boten Programme für Erwerbslose, Ausgesteuerte und Asylsuchende.

Herr Schaffer, warum wurde Trinamo gegründet?

Die Idee, die drei Organisationen zusammenzuführen, war schon vor ein paar Jahren entstanden. Es war offensichtlich, dass sich auf administrativer Stufe und in der Umsetzung viele Synergien ergeben würden. Zudem hatten Feldstudien gezeigt, dass eine Mischung der Klientel einen positiven Effekt hätte. Auch die Vorstände und Stiftungsräte der Institutionen sowie eine Beratungsfirma kamen zum Schluss, dass die Fusion zu einer Sozialfirma und einer Aktiengesellschaft die beste Lösung wäre. Auch die Klienten begrüssten mehrheitlich diese Idee, denn für sie eröffneten sich neue Perspektiven.

Sie führen die drei Organisationen seit 2008. Was hat sich durch den Zusammenschluss geändert?

Bei uns sind jetzt Leute mit verschiedensten Hintergründen tätig: Erwerbslose, Ausgesteuerte, IV-Bezüger, Asylsuchende, aber auch von der Suva oder anderen Versicherungen zugewiesene Personen. Bisher waren die Programme dieser verschiedenen Gruppen getrennt. Nun mischen wir die Leute der verschiedenen Zuweiser. Dies bedingt eine feine Abstimmung und sorgfältige Vorgespräche mit den jeweiligen Klienten, damit sich niemand ausgegrenzt fühlt. Hat eine Person das Programm erst einmal begonnen, können wir sie fördern. Damit verfolgen wir zwei Ziele: Erstens klären wir, ob die Person den richtigen Arbeitsbereich gefunden hat, und zweitens, ob wir sie aufgrund ihrer Ressourcen hin zum ersten Arbeitsmarkt fördern können.

Wie wirkt sich diese Durchmischung auf die Teilnehmenden aus?

Die Menschen befinden sich jetzt in einem Umfeld, das dem ersten Arbeitsmarkt eher entspricht. Sie arbeiten nicht mehr in homogenen Gruppen, sondern mit verschiedenen Beschäftigten, mit unterschiedlichen Berufen und unterschiedlicher Geschichte. Physisch beeinträchtigte Menschen zum Beispiel können mit Nichtbehinderten zusammenarbeiten und fühlen sich so nicht ausgeschlossen, oder eine erwerbslose Person arbeitet mit einem Asylsuchenden zusammen, denn auch das ist im ersten Arbeitsmarkt Realität. Wir können so ein Arbeitsumfeld bieten, das demjenigen des ersten Arbeitsmarktes ähnlich ist. Nämlich Normalität.

Trinamo ist eine Aktiengesellschaft. Das ist ein Paradigmenwechsel.

Wir sind meines Wissens die erste Non-Profit-AG in der Schweiz und haben so Signalwirkung für andere. Ein grosses Plus ist, dass unsere Klienten nicht mehr stigmatisiert werden. Ein Familienvater, der bei uns arbeitet, kann jetzt sagen: «Ich arbeite bei der Trinamo AG», und niemand weiss, dass er einen geschützten Arbeitsplatz hat. Das erlaubt ihm mehr Normalität, mehr Integration. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir jetzt bei neuen Zuweisergruppen vorstellig werden und Leistungsverträge aushandeln können.

Trägt Trinamo ihre Kosten selbst?

Das Ziel ist ein Verhältnis von 50 zu 50 zwischen uns und dem Kanton, was die Kostenübernahme betrifft. Im Moment sind wir bei 41 zu 59. In circa drei Jahren sollten wir den Break-even erreichen. Am meisten Kosten haben wir bei den Mehrwertsteuern eingespart, die wir uns vorher gegenseitig verrechnen mussten. Das hat 50 000 Franken ausgemacht, die wir jetzt besser einsetzen können. Jede einzelne Werkstatt, jeder Betrieb wird mehr zum Unternehmen. Wir konnten neue Auftraggeber gewinnen und nähern uns dem ersten Arbeitsmarkt an.

Wie konnten Sie die neuen Auftraggeber gewinnen?

Durch unsere Grösse können wir umfangreichere und professionellere Aufträge annehmen. Wir verhandeln mit Kanton, Gemeinden und auch direkt mit Unternehmen. Uns ist wichtig, dass wir vom Bastel-Image wegkommen. Wir haben ein gescheites Fördermodell gefunden und ein modernes Umfeld gestaltet. Dazu gehören die Erneuerung der Gebäude, in denen wir arbeiten, und unsere Produktepalette. Die Beschäftigten sollen trendige Gegenstände herstellen, mit denen sie sich identifizieren können. Wir wollen Wirtschaftstrends mit Sozialem zusammenbringen.

Was sind die letzten Produkte, die Sie eingeführt haben?

Wir stellen seit Neuestem fast sämtliche Bestandteile einer Designerlampe her. Den Auftrag erhielten wir von einem renommierten Unternehmen. Seit letztem Jahr bauen wir sogar Solarpanels. Zum Glück hatten wir bereits sehr gut ausgebildete Festangestellte, die in der Lage sind, unsere Beschäftigten anzuleiten. Klar, wir mussten die einzelnen Arbeitsschritte weit herunterbrechen und «auseinanderbeineln». Natürlich müssen wir auch Konzessionen machen, zum Beispiel für Leute in niederschwelligen Programmen. Sie stellen einfache, aber trendige Gegenstände her, zum Beispiel die Glasuntersetzer oder die aufgezogenen Poster.

Können die Teilnehmer bei Trinamo auch hierarchisch aufsteigen?

Ja, wir haben ein ausgeklügeltes Fördermodell. Wir verfügen über drei Förderstufen in unseren Werkstätten, wo die Beschäftigten einfachere Arbeiten verrichten. Innerhalb dieser Stufen können sie aufsteigen. Ist eine Person auf der obersten Stufe angelangt, kann sie in einem unserer Betriebe arbeiten, in denen die Arbeit anspruchsvoller ist. Und wenn sie sich auch hier bewährt, kann sie schliesslich in den ersten Arbeitsmarkt wechseln.

Welche Bildungs- und Beratungsangebote offerieren Sie?

Wir bieten Assessments, Coachings, Outplacements, das Bewerbungsdossier-Center, Suchtberatung und Hilfe beim Ausfüllen der Steuererklärung. Die berufliche Weiterbildung erfolgt im Arbeitsprozess. Wir haben professionelle Festangestellte, die ihr Wissen weitergeben, zum Beispiel der diplomierte Küchenchef in der Kantine.

Das Hauptziel einer Sozialfirma ist aber die Integration. Ist die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen und Sozialbezügern überhaupt noch möglich?

Die Schlagworte im sozialen Umfeld heissen Teilhabe und Inklusion. Alle sollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Neben der Arbeitsintegration ist auch die soziale Integration wichtig. Trinamo liefert mit ihrem Geschäftsmodell eine Antwort auf beide Integrationsfragen. Es spielt am Ende nicht so eine grosse Rolle, ob eine beschäftigte Person in den ersten Arbeitsmarkt wechselt oder bei uns bleibt, wo das Arbeitsumfeld sowieso fast wie im ersten Arbeitsmarkt ist. Zu sagen ist jedoch, dass die Programme der Erwerbslosen und Ausgesteuerten immer kürzer werden. Die Dauer beträgt heute drei bis sechs Monate. Auch die IV ist eher zurückhaltend mit der Finanzierung von längeren Programmen. Viele Zuweisergruppen gewähren heute erst einmal drei Monate, um zu sehen, ob sich die Investition lohnt. Bei guten Resultaten wird das Programm verlängert. Gemessen werden Leistung, Pünktlichkeit, die Befolgung von Vorschriften, um nur ein paar Faktoren zu nennen.

Sie dürfen den ersten Arbeitsmarkt nicht konkurrenzieren. Sind Ihnen da nicht enge Grenzen gesetzt?

Bei den Leuten mit IV sind wir keinen Restriktionen unterstellt. Neu dürfen wir ein bis zwei arbeitslose Personen in gewissen Programmen beschäftigen, bei denen sie vorher nicht zugelassen waren. Bei einer so geringen Anzahl entsteht keine Konkurrenz. Ein weiterer Faktor ist die Abwanderung der Arbeitsplätze ins Ausland. Wenn wir nachweisen können, dass der betreffende Arbeitsplatz nach Rumänien oder China verlegt würde, dürfen die Erwerbslosen in der Schweiz diesen Job machen. So hat es die tripartite Kommission des Kantons entschieden, in der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Behörden zusammenarbeiten. Trotzdem muss die Kirche im Dorf bleiben, und wir achten sehr auf einen sorgfältigen Mix der Leute.

Worin besteht für Sie als Geschäftsleiter die grosse Herausforderung in der neuen Sozialfirma?

Ich habe mehr mit den Bereichs- und Abteilungsleitern zu tun als direkt mit den Beschäftigten. Trotzdem sehe ich mich nahe bei den Leuten. Mir ist das Menschenbild wichtig. Ich will nicht kategorisieren und Menschen aufgrund von fehlenden Ressourcen stigmatisieren. Ich bin für einen pragmatischen Zugang: Was können wir machen mit dem, was da ist? Ich befürworte den lösungsorientierten und systemischen Zugang, so können wir viel auffangen. Es gibt immer mehr Unsicherheitsfaktoren, da braucht es Mut und Freude, um diese auszuhalten.

Reto Schaffer, 52, ist seit 2008 Geschäftsleiter von Stollenwerk, Pegasus und WivA – heute Trinamo AG. Ursprünglich hat er die Hotelfachschule absolviert, später die Marketingplanerschule. Er ist zertifizierter Auditor, diplomierter Heimleiter, Systemorientierter Sozialpädagoge und hat eine Ausbildung in Unterstützter Kommunikation gemacht. Er hat sich in den verschiedensten Sparten bewiesen: Er hat zwei Durchgangszentren für Asylsuchende geleitet und die Stiftung Kind und Autismus aufgebaut, eine Sonderschule mit Beratungsstelle und Kurswesen. Auch im kalten Drogenentzug war er fünf Jahre in der Teamleitung tätig.

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