«der arbeitsmarkt» 11/2005

Vorreiterinnen der Bieler Bilingues

frac ist schweizweit das einzige Beratungszentrum für Frauen, das konsequent gleichwertig auf Französisch und Deutsch berät. Das zweisprachige Engagement besitzt Vorzeigecharakter. Eine Auszeichnung kommt da gerade recht.

«Nous sommes bilingues!» bedeutet bei frac ein klares Bekenntnis zur kulturellen Zweisprachigkeit der Stadt Biel. Für ihre Arbeit in französischer und deutscher Sprache wurde das Informations- und Beratungszentrum mit dem diesjährigen «Label du bilinguisme» ausgezeichnet. Das Etikett wird vom Verein bilinguisme+ verliehen, einem Tochterverein des Forums für die Zweisprachigkeit in Biel. Potenzielle Labelträger sind Betriebe in der Region Biel, die sich durch ihre zweisprachige Unternehmenskultur hervorheben. Dieses Jahr darf sich auch frac als würdiger Labelträger präsentieren. Mit gutem Grund: Die Institution bietet proportional zur zweisprachigen Bevölkerung der Region Beratungen auf Französisch und Deutsch an.
«Ein Label verpflichtet», hält Ralph Thomas von bilinguisme+ fest. Die Auswahlkriterien reichen von der sprachlichen Zusammensetzung des Personals bis zum öffentlichen Erscheinungsbild der Firma.
Ein Schlüsselkriterium stelle die prozentuale Zusammensetzung der Direktion beziehungs-weise des Kaders dar, sagt der Labelverantwortliche. «Zweisprachigkeit funktioniert dann, wenn sie auf allen Hierarchiestufen vorhanden ist», betont Thomas. Bei frac ist dies der Fall. Der Minimalanteil für jede Sprachgemeinschaft beträgt auf allen Stufen 30 Prozent. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann versichert, frac sei schweizweit das einzige Beratungszentrum mit Themenschwerpunkt «Frau und Arbeit», das dieses Kriterium erfüllt. 30 Prozent der Beratungen erfolgen auf Französisch, 70 Prozent in deutscher
Sprache.

Sprachdemonstration: Deutsch, Schweizerdeutsch, Französisch

Drei frac-Mitarbeiterinnen liefern in einer Gesprächsrunde die Probe aufs Exempel: Während Beraterin Fabienne Hostettler auf Französisch antwortet, bedient sich Andrea Frommherz des Schweizerdeutschen. Gründungsinitiantin und Vorstandsmitglied Nicole Ding-Schmid vertritt beide Seiten in einer Person und ist die einzig wahre Bilingue in der Runde. «Es gelingt uns sehr gut, die zwei Kulturen im Betrieb gleichwertig zu behandeln», begründet Andrea Frommherz das gute Abschneiden für das «Label du bilinguisme». Bereits bei der Gründung im Jahre 1999 ist der Grundgedanke der Zweisprachigkeit in die strategische Planung mit eingeflossen. Dabei ging es frac primär um die kulturelle Chancengleichheit. «Wenn man nicht von Anfang an zweisprachig denkt, kann man dies später nur teilweise kompensieren», weiss Nicole Ding-Schmid.

Zweisprachigkeit stösst auf Schwierigkeiten

Die Vorteile der Zweisprachigkeit auf dem regionalen Arbeitsmarkt sind nicht zu unterschätzen. Die Beherrschung beider Landessprachen sei für verschiedene Berufsgruppen von der Kassiererin und KV-Angestellten bis zur Akademikerin eine wichtige Voraussetzung für eine Anstellung, bestätigt Fabienne Hostettler. Frommherz betont, es sei für eine effiziente Beratungsarbeit wichtig, die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt genau zu kennen, und fügt hinzu: «Für eine soziale Institution sind wir sehr wirtschaftsnah.» Soll das eigene Personal zweisprachige Dienstleistungen anbieten und die Marketingstrategien auf Französisch und Deutsch konzipieren, müssen im Betrieb beide Sprachen gesprochen werden, sagt Thomas von bilinguisme+. Das Label versuche, das Bewusstsein für die Vorteile der Zweisprachigkeit zu schärfen. Zielgruppe seien vor allem Betriebe, die die französisch- und deutschsprachigen Arbeitskräfte der Region absorbieren könnten. Die Labelträger hingegen können das Etikett nutzen, um ihre Produkte- oder Dienstleistungspalette auf Französisch und Deutsch zu vermarkten. «Im Gegensatz zur öffentlichen Verwaltung achten wir auf eine Zweisprachigkeit, die von der Basis ausgeht», so Thomas.
Trotz den Vorteilen auf dem Arbeitsmarkt stösst kulturelle Zweisprachigkeit auch in Biel auf Schwierigkeiten. Hinter dem zweisprachigen Stadtbild scheinen Berührungsängste den interkulturellen Austausch zu erschweren. Neben der Zweisprachigkeit stellt frac das Konzept der «Niederschwelligkeit» in den Vordergrund. Das Informations- und Beratungszentrum als Ladenlokal in der Fussgängerzone zu präsentieren, hat seinen Grund: Man müsse nicht zuerst eine «hohe Schwelle» besteigen, das heisst durch ein mehrstöckiges Gebäude strampeln und sich durch dunkle Gänge vorkämpfen, um einen Termin zu vereinbaren, erläutert Frommherz. Im Gegensatz zur Fürsorge gebe es bei frac kein Machtgefälle zwischen Kundin und Beraterin und somit weder eine Kontrollpflicht noch Gefühle der Diskriminierung. «Das Konzept gibt allen dieselben Chancen, denn es signalisiert, dass alle willkommen sind», sagt Frommherz. Ding-Schmid fügt hinzu, das Konzept helfe auch der ausländischen Wohnbevölkerung und den Migrantinnen, ihre Sprachhemmungen abzubauen.

Deutschschweizerinnen sind militanter als die welschen Frauen

«Niederschwelligkeit» als Brückenschlag zwischen den Kulturen gilt nicht nur für Sprachgemeinschaften. Auch das Geschlechterverhältnis könne als ein Kulturaustausch im weiteren Sinne verstanden werden, erklärt Frommherz. Bei frac gehe es nebst der frauenspezifischen Laufbahnberatung auch um wirksame Lösungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Dialog zwischen Frau und Mann würde nur dann funktionieren, wenn frau sich über ihre eigenen Bedürfnisse und beruflichen Ziele im Klaren sei, betont die frac-Beraterin. Hostettler weist darauf hin, auch Männer seien für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu sensibilisieren. Die Frage der Vereinbarkeit dürfe von der Gesellschaft nicht als Frauenproblem abgetan werden. Die frac-
Beraterin, die französisch spricht, stellt fest, das Bewusstsein für Chancengleichheit sei in der Schweiz in beiden Sprachgemeinschaften vorhanden. Ding-Schmid stimmt ihr bei, nimmt allerdings Unterschiede auf der ideologischen Ebene wahr. In der Deutschschweiz hätten die Frauenrechtskämpferinnen der Siebziger- und Achtzigerjahre ihre Anliegen wirksam an die Öffentlichkeit gebracht. Die Forderung nach einer gerechten Aufteilung der Erwerbs- und Haushaltsarbeit werde von Frauen in der Deutschschweiz heute noch viel häufiger und expliziter gestellt als in der Romandie. In der welschen Schweiz verlaufe dieser Prozess viel natürlicher, weil die Frauen moderater im Ton seien. Schlechter funktioniere der Dialog der Geschlechter in der Romandie nicht. Nur stehe die Geschlechterbeziehung in der französischen Schweiz weniger militant im Rampenlicht der Öffentlichkeit.
Vorrangiges Ziel des Informations- und Beratungszentrums ist die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Trotz vieler Errungenschaften und gleicher Bildungschancen ändere sich die Erwerbssituation der Frauen bereits mit der Berufswahl, argumentiert Frommherz. Aus 500 Berufen würden sich drei Viertel der Mädchen immer noch für «typisch weibliche» Berufsbilder entscheiden. Die geringe Bezahlung in diesen Berufen sei ein entscheidender Grund, dass Lohnunterschiede von durchschnittlich 20 Prozent auf dem Schweizer Arbeitsmarkt immer noch eine Realität sind, schlussfolgert die Geschäftsführerin.
Solange diese Chancenungleichheit auf dem Arbeitsmarkt nicht verschwunden ist, wird die Informations-
und Beratungsarbeit von frac notwendig sein – und zwar in beiden Landessprachen.

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