«der arbeitsmarkt» 06/2005

Vom Herzblut zum Job-is-job-Feeling

Zeitzeugin Auf die Swissair folgte die Swiss, auf die Swiss die Lufthansa – die Zeiten waren gerade für das Personal sehr schwierig. Welche Gefühle sie auslösten, zeigt der Rückblick von Flight Attendant Catherine Seiler.

Wenn ihre Mutter sie auf den Flughafen mitnahm, schaute sie jeweils sehnsüchtig den Stewardessen nach. «Fliegen war mein Kleinmädchentraum», sagt sie. «Ich liebte den Flughafen. Es roch dort so anders.» Die Faszination für die Fliegerei hat die 31-jährige Flugbegleiterin Catherine Seiler von ihrer Mutter geerbt, die seit über dreissig Jahren im Passagierdienst bei Swissport, einer ehemaligen Tochterfirma der Swissair, tätig ist. Catherine Seiler ist mit der Swissair gross geworden. Freunde der Familie waren «Swissairler», das Familienkonto lief über die Swissair, die Swissair war immer präsent. «Die Firma war ein fester Wert in unserer Familie. Dass es sie einmal nicht mehr geben würde, war unvorstellbar.»
Im Oktober 1997 schlüpfte sie zum ersten Mal in ihre eigene Swissair-Uniform. «Ich fühlte mich sofort zugehörig. Diese Uniform passte zu mir, von Anfang an.» Sie war stolz, endlich selber ein Teil der Swissair-Welt zu sein. Der harte Alltag hat sie ernüchtert. Es machte ihr anfangs Mühe, mit einer ständig wechselnden Crew auf Anhieb funktionieren zu können. Die Arbeitszeiten waren hart, mal musste sie um 5.00 Uhr morgens antreten, mal um 22.00 Uhr abends. Wenn sie Reserve war, sass sie auf Abruf zu Hause und musste innerhalb einer Stunde am Flughafen sein, um unter Umständen für eine Woche nach Bangkok zu fliegen. An einem fixen Abend in der Woche einen Kurs zu besuchen, war unmöglich. Wochenende? Gab es nicht. Es war eng und hektisch in der Kabine und wenn ein Business-Passagier den Frust über einen verpatzten Deal an ihr ablud, musste sie freundlich lächeln. Anzügliche Bemerkungen ignorierte sie. Immer musste sie lächeln, auch wenn ihr die Beine schmerzten auf den hohen Absätzen und die staubtrockene Luft in den Augen brannte.
Dennoch liebte sie ihren Beruf, liebte es, das Swissair-Logo auf der Uniform zu tragen. «Unsere Firma wurde mit Topqualität gleichgesetzt. Das war dem Flugpersonal eingebrannt», meint Seiler. «Wir gaben uns nicht schnell zufrieden mit unserer Arbeit. Die Swissair war schliesslich eine der besten Airlines der Welt.» Die Swissair-Crew fühlte sich auf den Flughäfen der Welt als etwas Besonderes; vor allem die Piloten. Halbgötter in Uniform, so stolzierten sie umher. Dieser Glanz strahlte auf Flight Attendant Catherine Seiler ab. «Es war meistens amüsant und interessant auf den Rotationen. Wir sprachen über dies und das, selten über die
Firma.» Heute ist das anders: Die Gespräche kreisen ständig um die gleichen Themen: Stellenabbau, schlechtere Arbeitsbedingungen, die Probleme zwischen ehemaligen Crossair- und Swissair-Piloten. Mit der
Gründung der Swiss hat sich zwischen den früheren Crossair- und den Swissair-Piloten ein Graben aufgetan: Die Crossair-Piloten fühlten sich gegenüber den Swissair-Piloten benachteiligt, weil sie weniger verdienten
und vom Stellenabbau stärker betroffen waren, so ihre Kritik. Catherine Seiler sass im Hotelzimmer in Japan, als sie die Nachricht über das nahende Ende der Swissair erreichte. Ihr Freund, auch er ein ehemaliger Flugbegleiter, rief an: «Die ganze Flotte steht am Boden, die Swissair kann das Kerosen nicht mehr bezahlen.» Es war der Tag des Grounding – 2. Oktober 2001. Ihr war mulmig zumute. Richtig ernst genommen hat sie diese Information aber nicht: «Morgen fliegen wir wieder!» Die Crew traf sich wie üblich in der Hotellobby, doch die Stimmung war gedämpft. Einige hatten Angst, ihren Job zu verlieren, andere waren zuversichtlich, dass die Banken einen weiteren Kredit sprechen würden. Später rief ihr Freund erneut an: «Der Betrieb wurde eingestellt. Mit der Swissair ist es aus.» Jetzt hatte sie zum ersten Mal richtig Angst. Der Captain forderte die Crew auf, ihre Sachen zu packen, in Zivil in der Lobby zu erscheinen und alle Swissair-Logos von den Koffern zu entfernen. Nichts sollte auf Swissair hinweisen, damit sie am Flughafen nicht von Hunderten gestrande-ter Passagiere bestürmt würden. In der Abflughalle wurde Seiler dann trotz Beseitigung aller Indizien von einem Passagier angefallen, der ihr mit dem Ticket vor der Nase rumwedelte. «Mein Ticket ist nichts mehr wert. Die Swissair existiert nicht mehr!»
Die Ironie des Schicksals wollte es, dass eine Sabena-Crew, die im gleichen Hotel logierte, sich bereit erklärte, die Swissair-Crew mitzunehmen. Zwei Jahre zuvor hatte Swiss-air einen grossen Teil des Aktienkapitals der Sabena aufgekauft und sie damit vor dem Ruin gerettet. Sabena steckte das Häufchen geknickter Swissairler in die Business Class. «Wir wurden bestens umsorgt. Das habe ich der Sabena-Crew nie vergessen.» Von Brüssel nahm sie den Nachtzug nach Basel. Irgendwann kam sie endlich erschöpft zu Hause an. Sie hatte Angst um ihren Job. Trotz Müdig-keit zog sie sich die Uniform an und ging nach Bern, um mit anderen Swissair-Angestellten vor dem Bundeshaus für ihre Arbeitsplätze zu demonstrieren. «Wir wollten, dass die Swissair in Würde untergeht», meint sie. Als der Trupp pfeifend und skandierend am UBS-Gebäude vorbeizog, fanden sie dort ein Geisterhaus vor, obwohl es ein normaler Werktag war: Aus Angst vor
möglichen Anschlägen waren alle Rollläden unten, das Entree verdunkelt.
Das Grounding hat Catherine Seiler vor Augen geführt, wie vergänglich alles ist. Auch als die Finanzlage immer prekärer wurde, hatte sie keine Sekunde geglaubt, die Swissair könnte es einmal nicht mehr geben. «Der mächtige Vogel gehörte doch zur Schweiz wie die Schoggi und der Käse!», sagt sie. Dass sie
so lange nichts vom Super-GAU geahnt hat, erstaunt sie im Nachhinein selbst. Anzeichen gab es genug. Schon seit einiger Zeit hatte jeder Captain ein Bündel Banknoten dabei, das er vor dem Abflug dem Tankwart persönlich in die Hand drücken musste. Nur gegen Bargeld wurde der Tank mit Kerosen gefüllt. «Da hätte mir eigentlich klar werden müssen, wie es um die Swissair steht.»
Keine Swissair mehr – das war ein Schock für sie. Es wurden Kündigungen ausgesprochen. Mit allen Zulieferfirmen wie Swissport, Gate Gourmet, SR Technics usw. hingen an diesem Unternehmen rund 60000 Arbeitsplätze im Wirtschaftsraum Zürich und am Flughafen. Davon wurden nach dem Grounding rund 5000 Stellen abgebaut, 1000 davon beim Kabinenpersonal. Catherine Seiler hatte keine Angst, betroffen zu sein. Sie wusste, dass es diejenigen treffen würde, die noch nicht lange dabei waren. Trotzdem begann sie, sich nach anderen Stellen umzusehen. Welcher Schock das Grounding für die Gesellschaft war, spürte sie auf den Flügen deutlich. Häufig drückte ein Passagier ihre Hand und sagte wehmütig, das sei sein letzter Swissair-Flug gewesen. Andere hielten sie mit ausgeklügelten Strategien, wie man die Swissair hätte retten können, vom Arbeiten ab.
Die Swiss wurde geboren. Die Liebe war jedoch nicht mehr dieselbe. «Auf die Swiss habe ich mich nicht so stark eingelassen. Die Enttäuschung sass zu tief.» Sie beobachtete mehr oder weniger gelassen, wie der
Schuldenberg von Tag zu Tag wuchs und immer wieder von Stellenabbau die Rede war: Im Juli 2003 wurden erneut 620 Stellen beim Kabinenpersonal abgebaut. Hinzu kam laut der Gewerkschaft für das Kabinenpersonal «Kapers» ein «kalter Stellenabbau» von 100 bis 120 Flight Attendants, weil keine neuen mehr ausgebildet wurden und weniger Flugbegleiter pro Flug eingesetzt werden.
Die Übernahme durch die Lufthansa beschäftigte das Flugpersonal nur begrenzt, so Seiler. Ernüchterung und Resignation hatten sich breit gemacht, obwohl schon vor der Übernahme die Swiss im Januar 2005
einen weiteren Stellenabbau von 800 bis 1000 Stellen angekündet hatte. Einzig die ehemaligen Crossair-Piloten reagierten mit Streikdrohung, weil sie laut der Gewerkschaft Swiss-Pilots mit einem Abbau von rund 300 Stellen überdurchschnittlich betroffen wären. Sie fordern ein Reissverschlusssystem: Pro abgebauten Crossair-Pilot soll auch ein ehemaliger Swissair-Pilot abgebaut werden.
Catherine Seiler selbst ist über den Deal nicht unglücklich. «Alleine kann die Swiss nicht existieren.» Früher hat sie sich geschworen, niemals für eine andere Fluggesellschaft zu fliegen. Heute ist es ihr egal, welches Logo auf ihrem Namensschild steht. Hauptsache, sie kann weiterfliegen. Und Fliegen macht ihr immer noch Spass. Nicht nur weil sie gerne in der Welt herumkommt und neue Orte entdeckt. Auch weil Catherine Seiler die Anonymität mag, die ihr Beruf mit sich bringt: In einer fremden Stadt in ein Café zu sitzen, ein Buch zu lesen und für niemanden erreichbar zu sein. «Ob ich zu Swiss oder Lufthansa gehöre, was soll’s? Hauptsache, ich kann meinen Job ausführen.»

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