«der arbeitsmarkt» 05/2005

Vom Amtssitz in den Pavillon

Nach sieben Jahren verlässt Hans-Peter Burkhard
das Amt für Wirtschaft und Arbeit Zürich. Bevor der Chefbeamte seinen neuen Posten als Direktor des Zentrums für nachhaltige Unternehmens- und Wirtschaftspolitik antritt, will er sich ein paar Wünsche erfüllen.

Mitte Februar. Hans-Peter Burkhards letzte Arbeitswoche im Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA). Er sitzt an einem gläsernen Besprechungstisch, in der Hand den Palm, vor sich einen Ausdruck der Wochenübersicht. Moderne Kunst an den Wänden. Man wähnt sich im Büro des CEO einer Grossbank. Hinter seinem Rücken ordentlich aufeinander gestapelt die Dossiers, bereit für die Übergabe. Burkhard zeigt auf die
zahlreichen grünen Balken in der elektronischen Agenda: «An diesen Tagen bin ich im Prättigau.» Die nächsten Wochen wird er oft in seinem Maiensäss anwesend sein, wo noch mit Holz geheizt und gekocht, wo der Strom mittels Solarzellen erzeugt wird.
Burkhard verlässt seinen Posten als Chef des kantonalen Amtes für Wirtschaft und Arbeit «mit einem lachenden und einem weinenden Auge», wie er sagt. Weinend, weil er viele gute Mitarbeitende verlassen muss, lachend, weil mit seiner Tätigkeit als Direktor des Zentrums für nachhaltige Unternehmens- und Wirtschaftspolitik (CCRS) etwas Neues beginnt. Lachend vielleicht auch, weil er den Medienrummel der letzten Wochen hinter sich lassen kann? Das Amt für Wirtschaft und Arbeit war letzten September in die Schlagzeilen geraten, nachdem die dem AWA vorgesetzte Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer die stellvertretende Leiterin des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums Opfikon freigestellt hatte. Fuhrers Eingriffe in Personalentscheide hätten im AWA für Verunsicherung gesorgt, hiess es damals. Kurz nachdem Hans-Peter Burkhard seinen Rücktritt bekannt gab, erklärte Fuhrer den Medien, im AWA seien personalrechtlich nicht akzeptable Vorkommnisse entdeckt worden. Das schnell gewachsene Amt habe ein Strukturproblem.
Dass sein Weggang auch mit veränderten Rahmenbedingungen seiner bisherigen Arbeit zusammenhängt, leugnet der scheidende Direktor nicht. Er will sich dazu aber nicht äussern. Nur so viel: «Über Strukturen kann man immer wieder nachdenken.» Die grössten Herausforderungen in seinen sieben Amtsjahren sieht er anderswo. Im Anstieg der Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Als er 1997 seinen Chefposten im Amt für Wirtschaft und Arbeit antrat, war die Arbeitslosigkeit bereits hoch, sank dann jedoch und stieg nach dem erneuten Einbruch 2001 mit 45000 Stellensuchenden in Schwindel erregende Höhen. «Niemand hätte gedacht, dass die Zahlen ein solches Ausmass annehmen würden», so Burkhard. Plötzlich waren auch gut qualifizierte Menschen – etwa aus Banken, Versicherungen oder Informatikbetrieben – arbeitslos. Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) platzten aus allen Nähten. Die arbeitsmarktlichen Massnahmen und die Beratung in den RAV mussten an die Bedürfnisse dieser Stellensuchenden angepasst werden. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit wuchs rasant an, zeitweise wurde täglich eine neue Person eingestellt. Bereits vor dem grossen Anstieg hatte sich die Mitarbeiterzahl des AWA auf einen Schlag verdoppelt: Im Jahr 2000 wurde
das Arbeitsamt der Stadt Zürich mit 200 Mitarbeitenden ins kantonale AWA überführt. Burkhards Aufgabe war es, die beiden Firmenkulturen zusammenzuführen. «Das brachte eine gewisse Dynamik mit sich, doch es klappte gut.»

Persönliches Commitment und stehende Ovation

Den Beitrag, den ein Amt für Wirtschaft und Arbeit leisten kann, um die Arbeitslosigkeit langfristig in Grenzen zu halten, sieht er in der Schaffung guter Rahmenbedingungen für Unternehmen: «Nicht der Staat schafft Stellen, sondern die Wirtschaft.» Die Aufgabe des Staats sei es, Bedingungen zu schaffen, welche die Unternehmen nicht behindern: ein gutes steuerliches Umfeld etwa, eine gute Infrastruktur und vor allem ein auf die Zukunft ausgerichtetes staatliches Engagement in der Bildung. Hans-Peter Burkhard misst auch der Standortförderung eine entscheidende Bedeutung zu. Er hat sich stark dafür eingesetzt, etwa mit der Gründung der «Greater Zurich Area». Gemeinsam mit angrenzenden Kantonen soll der Wirtschaftsstandort gefördert, sollen Unternehmen mit guten Bedingungen angelockt und damit Stellen geschaffen werden. «Allein sind die Kantone zu schwach. Auch der Kanton Zürich. Wir müssen die Mittel zusammenlegen, weil wir gemeinsam mehr erreichen können.»
In der Einführung der «wirkungsorientierten Verwaltungsführung» war Burkhard ein Pionier. Mit dem Wechsel zur Verwaltungsführung nach den Prinzipien des «New Public Management» erfuhr das Amt eine tief greifende Veränderung: Ins Zentrum der öffentlichen Aufgaben rückte neu die Orientierung an der Wirkung und dem Kunden. «Verwaltung ist Dienstleistung nach aussen», so Burkhard. Auf dieser Philosophie ist auch die Steuerung des AVIG-Vollzugs in den Kantonen aufgebaut, woran Burkhard engagiert mitgewirkt hat. Im
Vordergrund steht dabei die Wirkung der RAV: Wie rasch gelingt es, Stellensuchende wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren? Bei den Mitarbeitenden des AWA war ein Umdenken gefordert, und dies möglichst schnell. «Vielleicht habe ich zeitweise meine Mitarbeitenden mit meinem Tempo überfordert», gesteht Burkhard ein.
Auch in der Interinstitutionellen Zusammenarbeit, einem weiteren wichtigen Projekt, ging er mit Siebenmeilenstiefeln ans Werk. «Gemeinsam mit Kollegen aus den Partnerämtern und auf Bundesebene mit dem Präsidenten der Partnerverbände habe ich dieses Projekt zügig vorangetrieben.» Ziel der Interinstitutionellen Zusammenarbeit ist eine Verbesserung der Koordination der Leistungen von Invalidenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe. Immer wieder ist in komplizierten Fällen
unklar, ob eine Person ein gesundheitliches Problem hat, weil sie arbeitslos ist, oder ob sie arbeitslos ist, weil sie ein gesundheitliches Problem hat. Man spürt, dass Hans-Peter Burkhard dieses Thema am Herzen liegt. Er nimmt einen Stift zur Hand, zeichnet drei grosse Kreise, die sich leicht überschneiden, und tippt auf die Schnittmenge. «Für diese Leute hier in der Mitte ist es unwürdig, zwischen Arbeitslosenversicherung, Invalidenversicherung und Sozialhilfe hin und her geschoben zu werden. Da sind neue Lösungen nötig. Lösungen, die letztlich auch weniger kosten.»
Es klopft an die Bürotür. Ein Mitarbeiter möchte sich von seinem Vorgesetzten verabschieden. Hans-Peter Burkhard drückt dessen Hand und wünscht ihm alles Gute, herzlich und leicht distanziert zugleich. Offiziell
hatte er sich von den Mitarbeitenden bereits an einer Mitarbeiterorientierung verabschiedet. Während des Applauses stand plötzlich einer nach dem anderen auf, bis alle im Saal klatschend vor ihm standen. Die Anerkennung seiner Mitarbeitenden hat ihn berührt. «Diese Standing Ovation war mein persönlicher Abschied», meint er.
Anfang März. Hans-Peter Burkhard sitzt an seinem zukünftigen Arbeitsplatz auf dem Universitätsgelände. Das Zentrum für nachhaltige Unternehmens- und Wirtschaftspolitik ist in einem schmucken Pavillon unterhalb der Universität einquartiert. Davor hat es ein Gärtchen, das ein wenig an Versailles erinnert: Kieswege, ein Springbrunnen, in Form geschnittene Hecken. Sein Büro hingegen wirkt noch spartanisch: ein Pult, ein paar Stühle, ein Computer. «Mit dem CCRS schliesst sich der Kreis», meint Burkhard. Bereits zu Beginn seiner Karriere, als er in einem Ingenieurbüro tätig war, befasste er sich mit Nachhaltigkeit. Dieser Begriff war allerdings noch nicht so populär wie heute. «Umwelt- und Langfristplanung» hiess die Abteilung, die sich mit nachhaltiger Planung in Verkehr, Gewässerschutz, Abfallwirtschaft und Luftreinhaltung beschäftigte.

Das Rüstzeug für die Verwaltung aus der Privatwirtschaft

Das Interesse an gesellschaftlichen Zusammenhängen geht noch weiter zurück. Fragen wie «Wie kann unsere Gesellschaft gute Bedingungen schaffen für die zukünftige
Gesellschaft?» beschäftigten Burkhard schon in der Jugend. Seine berufliche Karriere begann er nach dem Doktortitel beim Polizeiamt der Stadt Zürich. Er wechselte in die Privatwirtschaft und war 15 Jahre in einem Ingenieurunternehmen tätig, zuletzt als Partner und Mitglied der Geschäftsleitung. «Diese Jahre haben mich in meinem Denken und in meinem Führungsverhalten geprägt.» Burkhard wechselte in die Verwaltung, war acht Jahre in der Baudirektion des Kantons Zürich als Chef des Amtes für technische Anlagen und Lufthygiene tätig. Es folgten sieben Jahre Amt für Wirtschaft und Arbeit.
In seinen bisherigen Tätigkeiten hat er unzählige grosse Projekte realisiert und dabei Leute aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung zusammengebracht. Sein Talent, Menschen zusammenzubringen, Bezüge herzustellen, wird schnell spürbar. Jede Person, der er begegnet, stellt er der Journalistin vor und spinnt einen Faden zwischen den Menschen: «Frau Mains leitet das Projekt AMOSA: Wäre die Entwicklung des Arbeitsmarkts im Gastgewerbe nicht ein Thema für Ihre Zeitschrift?» «Herr Bolleter arbeitet in der Stiftung sozial verantwortliche Wirtschaft. Das ist für euch doch auch interessant.»
In seiner Karriere hat er sich stets von seiner Vorstellung leiten lassen, eine gesellschaftliche Situation zu schaffen, welche die Chancen von zukünftigen Generationen nicht verbaut. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit. «Es braucht ein Ziel vor Augen: Man muss wissen, wohin man will.» Um zu diesem Ziel zu gelangen, brauche es ausserdem Beharrlichkeit, Leistungsbereitschaft und Flexibilität. Burkhard ist überzeugt, dass heutzutage eine hohe Flexibilität unabdingbar sei. «Viele Leute neigen dazu, sich auf ihren heutigen Beruf zu reduzieren.» Der Beruf des Lehrers beispielsweise erfordere verschiedene Kompetenzen: rhetorische Fähigkeiten, die Fähigkeit, Wissen zu vermitteln, Sozialkompetenz im Umgang mit Jugendlichen und Erwachsenen, kommunikative Fähigkeiten und auch gewisse Führungskompetenzen. Statt sich auf eine Stelle als Lehrer zu fixieren, solle man sich überlegen, in welchen anderen Jobs diese Fähigkeiten auch gefragt seien. In der heutigen Arbeitsmarktsituation sei es wichtig,  «vorzusorgen». Auch die Unternehmen seien ja gezwungen, sich weiterzuentwickeln. «Wer diese Entwicklungen frühzeitig wahrnimmt und sich auch weiterentwickelt – etwa mit einer Weiterbildung –, ist im Vorteil.» Trotzdem kann heutzutage jeder die Stelle verlieren. «Wichtig ist», so Hans-Peter Burkhards Rat, «offen zu bleiben, breit nach einer neuen Stelle zu suchen und Geduld zu haben.»

In der Übergangsphase Träume verwirklichen

Ihm selber fehlt diese allerdings manchmal. Die Ungeduld sei seine Schwäche, meint er. Dass ihm alles etwas zu langsam geht, ist auch während des Gesprächs spürbar. Kaum ist die Frage ausgesprochen, folgt jeweils die Antwort, niemals muss er sich eine Aussage lange überlegen. Seine Antworten sind klar, analytisch, jeder Satz druckreif formuliert. Er wirkt gelassen. Seine Erscheinung ist perfekt: eleganter dunkler Anzug, weisses Hemd, passende Krawatte. Überhaupt ist ein Sinn für Ästhetik spürbar: In der schlichten Büroeinrichtung, in der Kleidung. Aus einer gelassenen Distanz blickt er auf die Zeit zurück, und man spürt: Der Entscheid, das AWA zu verlassen, ist bereits vor einiger Zeit gefallen. Jetzt blickt er nach vorn.
Ganz unbeschäftigt wird er in den nächsten Wochen zwar nicht sein. Es bleibt die Tätigkeit im Verband Schweizerischer Arbeitsämter, wo er noch bei ein paar grösseren Projekten mithilft. Doch sonst will er vor
allem neuere Arbeiten und Bücher über Nachhaltigkeit in der Wirtschaft lesen, sein Englisch aufpolieren und reisen. Hans-Peter Burkhard weiss: «Wer in einer solchen Übergangsphase nicht lang gehegte Wünsche
verwirklicht, macht einen Fehler.»

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