«der arbeitsmarkt» 12/2005

Vision eines Gewerbeparks – grenzüberschreitend

Im «Swiss Euro Business Park» im deutschen – fast gänzlich von Schweizer Gebiet umschlossenen – Jestetten soll Schweizer Steuer- und Arbeitsrecht auf EU-Boden gelten. Damit könnten Firmen in die Randregion gelotst werden. Über rechtliche Möglichkeiten streiten sich Politiker und Gelehrte.

Zoll, bürokratischer Aufwand und fehlende Informationen bremsen den gegenseitigen Austausch zwischen Firmen aus dem Zürcher und dem süddeutschen Wirtschaftsraum. Zu diesem Schluss kommt die Credit Suisse im Standortmonitoring für den Wirtschaftsraum Zürich 2005, das im September veröffentlicht wurde. Auftraggeber waren die Standortförderer der Stiftung Greater Zurich Area. In der Studie wurden die Beziehungen zwischen der Greater Zurich Area und Süddeutschland näher beleuchtet.

Bei einem Glas Wein Pläne geschmiedet

Die angedeuteten Hemmnisse besässen aber eher einen «preistreibenden und Aufwand verursachenden denn verhindernden Charakter», deuten die Ökonomen die Zahlen aus ihrer Unternehmensbefragung. So bilde der Wirtschaftsraum Zürich mit dem süddeutschen Grenzraum wenn nicht einen gemeinsamen, so doch einen stark vernetzten Wirtschaftsraum. Um die Grenze durchlässiger zu machen, existierten viele Kooperationsformen. «Sie setzen wichtige Impulse, bleiben in ihren Möglichkeiten aber beschränkt», schreibt die Credit Suisse, denn: «Der Schlüssel für eine vertiefte grenzüberschreitende Zusammenarbeit liegt in Bern und Berlin.»
In Neuhausen am Rheinfall und in der deutschen Gemeinde Jestetten kam man schon früher und ohne Ökonomen zu diesem Schluss. Ende 1998 sassen der Jestetter Bürgermeister Alfons Brohammer und der
Neuhauser Gemeindepräsident Hansjörg Wahrenberger bei einem Glas Wein zusammen und schmiedeten Pläne, wie sie ihre Gemeinden attraktiver machen könnten. Die Nachbarorte beidseits der Grenze weisen im Vergleich zur umliegenden Region eine überdurchschnittliche Arbeitslosenquote auf: In Jestetten sind es um die 10 Prozent (Baden-Württemberg 6,9 Prozent), für Neuhausen gibt es keine genauen Zahlen; üblicherweise liegt die Quote über dem kantonalen Schaffhauser Schnitt von derzeit 3,1 Prozent. Brohammer und Wahrenberger analysierten Stärken und Schwächen ihrer Gemeinden: Neuhausen ist wegen des tiefen Steuerniveaus attraktiv für Unternehmen, es fehlt aber an Landreserven für Gewerbebauten. Jestetten verfügt über viel unbebautes Land, Gewerbe siedelt sich aber wegen der Lage kaum an. Dazwischen verläuft
die Grenze. So kamen die beiden Politiker auf die Idee eines grenzüberschreitenden Gewerbeparks (GGP).
Dieser sollte angrenzend an Neuhausen auf deutschem Boden liegen und rechtlichen Sonderstatus geniessen. Zolltechnisch gelte deutsches oder eben EU-Recht, gleichzeitig aber auch das liberalere Schweizer Arbeitsrecht und die Schweizer Steuerpraxis.

Widersprüchliches von Rechtsgelehrten

Die Idee war geboren, nun begann der lange Marsch durch die Institutionen. Bald konnten der Schaffhauser Regierungsrat und die Landesregierung Baden-Württemberg für die Idee gewonnen werden. Diese wiederum trugen die Idee in Bern und Berlin vor. Gleichzeitig ersuchten sie um Projektunterstützung seitens der EU,
die genehmigt wurde. Ein Höhepunkt bisheriger Bestrebungen war die Unterzeichnung einer  deutsch-schweizerischen Regierungserklärung zur Entwicklung von Gewerbegebieten im Grenzraum vom 20. September 2002 am Zollamt Hard Jestetten/Neuhausen.
Danach wurden zwei Fachgruppen eingesetzt. Die Fachgruppe Land traf sich mit Grundstückeigentümern zu Vorgesprächen. Die meisten signalisierten Bereitschaft zum Verkauf. Die Fachgruppe Recht beauftragte die Universität St.Gallen und die Universität Konstanz mit Gutachten. Während vom Schweizer Rechtsgelehrten wenige Einwände gegen den GGP kamen, äus-serte sein deutscher Kollege Bedenken. Laut Professor
Kay Hailbronner bringt die Anwendung des Schweizer Arbeitsrechts auf deutschem Boden verfassungsrechtliche Probleme mit sich (siehe Kasten). Fazit: Ohne Staatsvertrag und ohne Segen der EU-Kommission sei kein
GGP möglich.
Ende 2004 stellten die Staatskanzlei Schaffhausen in Bern und das Regierungspräsidium Freiburg in Berlin Gesuch um Aufnahme von Verhandlungen zu einem Staatsvertrag. Seitdem beugen sich bundesdeutsche und eidgenössische Experten über die Materie, und es ist ruhig geworden um den GGP. Zu ruhig für den Schaffhauser Nationalrat Gerold Bührer (FDP), der in diesem Frühling vom Bundesrat wissen wollte, wie es um den «Swiss Euro Business Park» stehe (so heisst das Projekt inzwischen). Bundesrat Joseph Deiss versprach, sich für den GGP einzusetzen, wies aber auf die rechtlichen Schwierigkeiten hin. Um diese zu besprechen, soll sich eine Schweizer Expertengruppe mit Vertretern des Staatssekretariats für Wirtschaft, der Direktion für Völkerrecht und des Kantons Schaffhausen mit deutschen Experten treffen. Die nötigen Vorabklärungen seien auf deutscher Seite aber noch nicht getroffen, so Deiss. Im November brachte er bei einem Treffen mit dem neuen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Günther H.Oettinger, das Projekt zur Sprache.
Während sich die Experten mit dem GGP beschäftigen, treten die zuständigen Politiker einer nach dem
anderen ab. Baden-Württemberg bekam einen neuen Ministerpräsidenten, Jestetten einen neuen Bürgermeister, Berlin eine neue Regierung und Neuhausen einen neuen Gemeindepräsidenten. Letzterer heisst Stephan Rawyler, gehört der FDP an und befürwortet den GGP. Seine Geduld währt aber nicht ewig: «Wird in zwei bis drei Jahren kein klarer Entscheid über dessen Machbarkeit gefällt, muss das Projekt beerdigt werden.» Von deutscher Seite erhofft er sich nach dem Regierungswechsel frischen Wind in der Sache. Dennoch erwartet er Widerstand: «Die deutsche Seite hat es nicht einfach. Man weiss zwar, dass das strikte deutsche Arbeitsrecht ansiedlungswillige Firmen zum Teil abschreckt. Würde ein entsprechender Staatsvertrag zum GGP abgeschlossen, käme das einem offiziellen Eingeständnis gleich.» Die verfassungsrechtlichen Zweifel der Expertise teilt Rawyler nicht: «Mit einem Staatsvertrag können jegliche Sonderrechte eingeführt werden. Das ist eine Frage des Willens.»
Da ist der Staatsschreiber des Kantons Schaffhausen, Reto Dubach, gleicher Meinung: «Mit einem Staatsvertrag wäre es sehr wohl möglich, im GGP eine vom deutschen und vom EU-Recht abweichende Regelung bezüglich Arbeitsschutz-, Betriebsverfassungs- und Sozialversicherungsrecht einzuführen. Es ist das Wesen eines Staatsvertrags, dass er von innerstaatlichen Regelungen abweicht. Klar geht die Verfassung vor, doch sind Verfassungsartikel zumeist nicht derart konkret abgefasst, dass sie keine Abweichungen zuliessen.»
Das sei auch die offizielle Haltung der Schaffhauser Regierung, unterstreicht Dubach. Wie Rawyler hofft
er, dass mit einer neuen Regierung auch neue Meinungen zum Thema GGP in Berlin einziehen. «Die Signale aus dem Auswärtigen Ministerium von Joschka Fischer waren eher negativ», sagt er und relativiert: «Einfacher wird das Geschäft aber auch mit einer neuen Regierung nicht.»
Dubach, der sich als Staatsschreiber von Amtes wegen um die Aussenbeziehungen seines Kantons
kümmert, erwähnt aber noch einen weiteren das Projekt verzögernden Aspekt. Die deutsche FDP lancierte die Idee, in Ostdeutschland Sonderwirtschaftszonen, ähnlich derjenigen im GGP, einzurichten, um vermehrt
Investoren anzulocken. Die Idee fiel bei den anderen Parteien vorerst durch. Die FDP hält aber hartnäckig
daran fest. Dubach dazu: «Bei Gesprächen über den GGP stellt sich immer wieder die Frage, inwiefern er präjudizierenden Charakter für andere Gegenden hätte.»
Für ihn ist klar, dass die geografische Lage Jestettens und Neuhausens und die davon herrührenden Probleme eine Sonderlösung mit Sonderrechten verlangen und der GGP damit nicht einfach auf andere Gebiete anwendbar sei.Da trifft er sich mit Alfons Bank. Als Referent für grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Regierungspräsidium Freiburg, sozusagen einer Aussenstelle der Landesministerien, kümmert er sich für Baden-Württemberg vor Ort um das Dossier GGP. Die These, dass der GGP ein Präjudiz für die von der FDP geforderten Sonderwirtschaftszonen in Ostdeutschland darstellen könnte, hält er für «eine Spekulation». Weiter bezweifelt er den präjudiziellen Charakter des Projekts aufgrund der speziellen Wirtschafts- und verkehrsgeografischen Situation im Raum Schaffhausen, die nicht auf andere Räume übertragen werden könne. Bank misst dem Projekt zwar «visionären Charakter» bei, meint aber auch: «Das ist rechtlich anspruchsvoll. Möglicherweise müsste zur Schaffung der für notwendig erachteten rechtlichen Rahmenbedingungen gar die deutsche Verfassung geändert werden.»

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