«der arbeitsmarkt» 03/2015TEXT: Leila ChaabaneFOTO: Stefan Zürrer
Patrouille Suisse

Vertrauen im Blindflug

Auf ihren manuell gesteuerten Überschalljets vollführen die sechs Berufsmilitärpiloten der Patrouille Suisse eine spektakuläre Flugshow. Wie ein Dirigent führt der Leader die Staffel in der Luft. Ein Fehler von ihm hätte fatale Folgen für das ganze Team.

Wenn eine Menschenschar 20 Minuten lang den Kopf in den Nacken hält, einige dabei das Atmen vergessen, oder Kinder mit Lärmschutzkopfhörern und offenem Mund in den Himmel schauen, dann wahrscheinlich, weil die sechs F-5 Tiger mit dem grossen Schweizerkreuz eine spektakuläre Show vorführen. «Wie können die so nahe nebeneinander fliegen, ohne dass etwas passiert?», fragt sich so mancher. Und Buben schmieden in diesem Augenblick ihre Zukunftspläne: «Ich will Pilot werden. Und eines Tages zur Patrouille Suisse gehören.»

Bewerben zwecklos

«Wir nehmen keine Bewerbungen entgegen. Auch entscheidet kein Vorgesetzter, wer ins Team der Patrouille Suisse aufgenommen wird», sagt Hauptmann Simon Billeter «Billy», Berufsmilitärpilot seit 1997. Verlässt ein Pilot die Kunstflugstaffel, bestimmen die restlichen Teammitglieder den Nachfolger. In Frage kommen nur Berufsmilitärpiloten der Schweizer Luftwaffe, die auf dem Flugzeugtyp F/A-18 fliegen. Die rund 50 Piloten, welche diese Voraussetzung erfüllen, kennen sich und sind schon mit dem einen oder anderen aus dem Patrouille-Suisse-Team in der Militärstaffel geflogen.

Die Mitglieder achten bei der Auswahl nicht spezifisch darauf, den besten oder den erfahrensten Piloten zu bestimmen. Gemeinsam beraten sie sich, bis keiner aus dem Team mehr ein Veto einlegt und sich alle einig sind. «Es lässt sich nicht eingängig erklären, welches die wesentlichsten Voraussetzungen sind. Das Bauchgefühl entscheidet stark mit», sagt Simon Billeter. «Der Pilot muss ins Team passen, vertrauenswürdig sein und gewillt, eng mit uns zusammenzuarbeiten. Die Teamleistung muss für ihn vor der Eigenleistung stehen.»

Teamarbeit steht vor Einzelleistung

Simon Billeter erfüllte diese Voraussetzungen und wurde 2006 in die Patrouille Suisse gewählt. Seit 2013 ist er der Leader. Wie ein Dirigent sein Orchester durch das Konzert führt, stellt er sicher, dass die Formationen exakt vor den Zuschauern stattfinden. Jeder Einsatzbefehl geht von ihm via Funk an das Team. «Ich bin der Einzige, der die ganze Show durch freie Sicht hat. Die anderen sehen nur die Flieger vor, über oder unter sich. Sie haben keine Zeit, sich umzuschauen, die Geschwindigkeit oder die Flughöhe zu prüfen. Das übernehme ich.» Während einer Show denkt er stets zwei Figuren voraus, um bei unvorhergesehenen Umständen, wie zum Beispiel bei einem Wetterumschlag, spontan den Ablauf zu ändern. Die Patrouille Suisse verfügt über drei Programme, die den verschiedenen Wetterbedingungen angepasst sind und innerhalb einer Vorführung gewechselt werden können. «Verschätze ich mich, würden wir sechs irgendwo reinfliegen. Die anderen müssen mir blind vertrauen.»

Trotz seiner Verantwortung steht für Simon Billeter nicht die Einzelleistung im Vordergrund; eine Show könne nur erfolgreich sein, wenn alle als Team arbeiteten. Dabei denkt er auch an die Bodencrew. «Wir kennen Militärpiloten im Ausland, die vor einem Flug beinahe jede Schraube kontrollieren.» Nicht so das Patrouille-Suisse-Team. Die sechs steigen in ihre F-5 Tiger ohne einen prüfenden Blick auf ihre Flugzeuge. «Wir vertrauen unseren Technikern zu 100 Prozent, dass unsere Flieger in einwandfreiem Zustand und ‹fit to fly› sind.»

Die Gesamtverantwortung liegt bei Oberstleutnant Daniel Hösli «Dani». Zehn Jahre lang flog er selbst in der Kunstflugstaffel an verschiedenen Positionen mit. Seit 2001 ist er deren Kommandant. «70 Prozent meiner Tätigkeit ist Vorarbeit für die Shows. Stehen die Auftrittsorte fest, muss ich jeweils drei Monate im Voraus den Luftraum reservieren und abklären, wo das Publikum sitzen wird, damit wir die Formationen vor ihm darbieten.» Daniel Hösli trainiert die Patrouille Suisse und steht während der Show nahe bei den Zuschauern, um aus deren Perspektive den Piloten in der Luft Anweisungen zu geben. «Ich teile ihnen via Funk mit, ob sie symmetrisch und deckungsgleich fliegen oder ob sie die Positionen korrigieren müssen.»

Schweizer Rockstars der Lüfte

Letztes Jahr feierte die Patrouille Suisse ihr 50-Jahr-Jubiläum. Mit Stolz können die sechs Piloten, der Kommandant, die zwei Speakers und die Bodencrew sagen, dass noch nie ein Unfall passiert ist. Längst ist die Kunstflugstaffel der Schweizer Armee nicht nur noch an militärischen Anlässen zu sehen. Das Lauberhornrennen ist ohne den Auftakt der sechs rot-weissen Kampfjets beinahe unvorstellbar. Musikstars wie die Rolling Stones oder Madonna kamen an ihren Konzerten in Dübendorf in den Genuss der wohl schnellsten und lautesten «Vorgruppe» ihrer Karriere. Im Ausland ist die Patrouille Suisse gern gesehener Gast an Veranstaltungen wie der weltgrössten Flugshow, der Royal International Air Tattoo in England. 

Im Gegensatz zu vielen anderen Kunstflugstaffeln sind die Mitglieder der Patrouille Suisse hauptberuflich Militärpiloten und für den Luftpolizeidienst sowie die Luftverteidigung im Einsatz. Einen Drittel ihrer Arbeitszeit investieren sie in die Kunstfliegerei. Es ist eines der weltweit wenigen Teams, die ihre Shows auf Überschalljets ausführen, die auch operationell eingesetzt werden.

Kalkulierbares Risiko

Seit ihrer Geburtsstunde gelte für die Schweizer Kunstflugstaffel: «Die Sicherheit steht an oberster Stelle», sagt Kommandant Daniel Hösli. Jeweils im April trainieren die Piloten für zwei Wochen bis zu drei Mal täglich ausschliesslich für die Shows. In dieser Zeit führt das Team ein allfälliges neues Mitglied ein und probiert in sicherer Höhe und sicherem Abstand neue Figuren aus, die jeder Pilot einbringen kann. Stellt sich eine Formation oder ein Manöver als zu schwierig heraus, werden sie nicht ins Programm aufgenommen. Bevor die Saison beginnt, stehen den Piloten sechs bis acht weitere Übungstage zur Verfügung und je ein Probedurchlauf vor einer Vorführung. Das Programm entspricht ihren Trainingsmöglichkeiten und den gegebenen Verhältnissen. «Wir fliegen mit Geschwindigkeiten von 300 bis 1000 Kilometern pro Stunde. Der Abstand zwischen den Fliegern beträgt drei bis fünf Meter. Unsere Figuren sollen einem Schwierigkeitsgrad entsprechen, bei dem wir das Risiko einschätzen können», erklärt der Leader. «Wir wollen so präzise fliegen wie ein Schweizer Uhrwerk. Darauf konzentrieren wir uns.»

Wegen der Topografie muss das Programm oft angepasst werden. Im Gebirge beeinflussen nicht nur die Berge die Planung der Show, sondern auch die Tatsache, dass das Publikum über einen grossen Raum verteilt ist. Für die Zuschauer eine besondere Attraktion. Sie stehen auf den Bergen, zwischen welchen die Piloten durchfliegen, und haben die Möglichkeit, auf die Flieger hinunterzuschauen. Dies fordert die Kunstflugstaffel, weil sie einerseits den Sicherheitsabstand zwischen 230 und 450 Metern zu den Besuchern halten muss. Anderseits sollen die Formationen genau dort stattfinden, wo sie am besten ersichtlich sind.

«Natürlich sind unsere Shows nicht fehlerfrei. Wir steuern alles manuell und haben keinen Autopiloten oder Radar zur Hilfe. Die Distanzen schätzen wir visuell, anhand von Merkpunkten, wie den Flügelspitzen, ein», sagt Hauptmann Simon Billeter. Die Piloten seien während der Vorführung stets am Ausbessern, um die Positionen halten zu können. «Je weiter hinten oder aussen der Pilot fliegt, desto mehr auszugleichen hat er.» Schrecksekunden gibt es für das Team allenfalls dann, wenn der Vordermann aufgrund einer Böe stärker korrigieren muss, als der Hintermann erwartet hat, und er sich nur mit Mühe in der Formation halten kann. Für die Zuschauer sind diese Korrekturen meist nicht ersichtlich. Während die sechs scheinbar in einer Linie fliegen, befinden sich die Jets tatsächlich zwei Meter nach unten oder nach aussen versetzt, um nicht in den Abgasstrahl des Vordermannes zu geraten.  

Für Kommandant Daniel Hösli muss die Patrouille Suisse vier Risikofaktoren im Auge behalten. Das Wetter ist einer davon und darf vom Leader während der ganzen Show nicht ausser Acht gelassen werden. Obwohl der Luftraum während einer Veranstaltung abgesperrt ist, ist nicht auszuschliessen, dass sich ein Privatflugzeug in die «restricted area» der Flugshow verirrt. Der Flugraum wird überwacht und die Staffel informiert. Letztes Jahr an der Air14 in Payerne beispielsweise wurde während einer Show das Programm kurzerhand unterbrochen, weil die Rega einen Zuschauer holen musste.

Auch Vögel sind für die Piloten eine nicht zu unterschätzende Gefahr. «Prallt ein Flugzeug mit 1000 Stundenkilometern mit einem Vogel zusammen, kann das Tier massive Schäden verursachen.» Daniel Hösli weiss, wovon er spricht. Er selbst musste einst in Payerne notlanden, weil er mit einer Möwe zusammengeprallt war. Sie durchschlug Flügel und Tank seines Fliegers.

Selbst wenn die Piloten während aller Shows hochkonzentriert sind, könne Routine ein Risikofaktor sein. Deshalb nehmen sie ihre Vorführungen auf Video auf und analysieren sie gemeinsam. «Es ist wichtig, dass sie genau schauen, wie sie geflogen sind, und sich eigene Fehler eingestehen. Jeder sollte immer als Vorsatz haben, noch besser werden zu wollen.»

Wer nicht «fit to fly» ist, bleibt am Boden

Die Patrouille Suisse hat keine Ersatzpiloten. Trotzdem kann jedes Mitglied vor einer Show sagen, wenn es sich nicht fit fühlt. «Sei es, weil einer krank ist, schlecht geschlafen hat, weil das Kind die ganze Nacht weinte oder weil er Ärger hat und sich nicht auf den Flug konzentrieren kann», sagt Hauptmann Simon Billeter. «Die Gründe sind nicht relevant.» Kommandant Daniel Hösli fügt an: «Das passiert aber selten. Alle wollen unbedingt fliegen. Da kommt es eher vor, dass das Team einen Piloten am Boden lässt, weil es bemerkt, dass er nicht fit ist.»

Fehlt ein Mitglied, passt die Staffel ihr Programm so gut wie möglich an und fliegt trotzdem. Mit einer Ausnahme: «Wenn ich als Leader ausfalle, können die anderen niemandem nachfliegen, und die Show fällt aus», sagt Simon Billeter. «Allenfalls machen die beiden Solisten eine kleine Vorführung.» 

Flat Eric und die weissen Socken

Vor einer Show geht der Leader mit dem Team das Programm durch. Jeden Formationswechsel kündigt er an, als wären sie bereits in der Luft. «Wir machen das wie die Skifahrer und gehen den Ablauf mental durch.» Ihre einheitliche Uniform ergänzen sie bei jeder Vorführung durch ein kleines, für die Zuschauer nicht ersichtliches Detail. Denn auch Kerle mit Nerven wie Stahlseile brauchen ihren Glücksbringer und pflegen ihre Rituale. «Alle sechs Patrouille-Suisse-Piloten tragen an Vorführtagen weisse Socken», erzählt Simon Billeter grinsend und erklärt: «Wir sagen dann, die weissen Socken haben wir bereits gefasst.» Eine ironisch-humorvolle Anspielung zu den weissen Socken im Sarg. Vergisst ein Mitglied die Socken, muss es barfuss in die Fliegerstiefel. «Flat Eric», das Stofftier mit den langen Armen und Beinen, ist ihr Maskottchen. Es ist bei jeder Show dabei und fliegt bei einem der Piloten mit. Bevor die Männer in ihre rot-weissen F-5 Tiger steigen, ziehen sie die Fallschirme an, klopfen sich gegenseitig auf den Rücken und wünschen sich einen guten Flug.

Perfektion als Visitenkarte

«Es fühlt sich jedes Mal von Neuem gut an, wenn ich den Jungs in der Luft zuschaue», sagt Kommandant Daniel Hösli. Nervös sei er dabei nicht. «Aber das ist bei allen so. Wir sind ausgebildet, belastbar zu sein. Auch unter schwierigen Bedingungen.» Er wisse, dass die Piloten bei voller Konzentration seien und ihre Show im Griff hätten. «Natürlich wäre es möglich, dass sie noch enger kreuzen oder noch näher nebeneinander und tiefer fliegen. Doch optisch würde dies für das Publikum keinen grossen Unterschied machen.» Das Gesamtbild müsse stimmen und die Sicherheit gewährleistet sein. «Wir müssen für die Zuschauer eine perfekte, sichere und spektakuläre Show vorführen. Aber wir müssen kein Rennen gewinnen.»

Berufsmilitärpilot
Einem Militärpiloten stehen viele Einsatzbereiche im In- und Ausland offen. Ob mit Kampfflugzeug, Helikopter oder Transportflugzeug, die Piloten können während ihrer beruflichen Laufbahn unterschiedliche Funktionen wahrnehmen. 
Anforderungen Schweizer Bürger mit einwandfreiem Leumund, Berufsmatur, Offiziersgrad, berufliche und fliegerische Eignungsabklärung, unter 26 Jahre alt, zwischen 160 und 195 Zentimeter gross, Sehschärfe von mindestens 0.5.
Ausbildung Die Auszubildenden werden in der Pilotenschule der Luftwaffe angestellt und erhalten ein Salär. Die Ausbildungskosten übernimmt der Arbeitgeber. Im Vertrag ist eine Rückzahlungsklausel integriert: Verpflichtung für mindestens vier Jahre nach Abschluss der Ausbildung.Studiengang «Bachelor of Science in Aviation».Ausbildung zum Verkehrspiloten. Ausbildung Berufspilot der Luftwaffe für zukünftige Jet- oder Helikopterpiloten.
Abschluss «Bachelor of Science in Aviation» sowie Brevetierung «Berufsmilitärpilot».Patrouille Suisse Die Kunstflugstaffel fliegt pro Jahr 10 bis 16 Vorführungen. Davon findet ein Drittel im Ausland statt. Die Shows gehen zu Lasten des ordentlichen Flugtrainings, es entstehen keine weiteren Ausgaben. Die Kosten betragen pro Jahr zwischen 160 000 und 180 000 Franken. Ein Patrouille-Suisse-Pilot verdient nicht mehr als die anderen Berufsmilitärpiloten.

 

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