«der arbeitsmarkt» 10/2006

Umstrittene Anonymität

Der Kanton Zürich lehnt es ab, in einem Pilotversuch mit anonymen Bewerbungen abzuklären, ob ausländische Lehrstellensuchende benachteiligt werden. In Genf ist ein ähnlicher Versuch mit negativem Entscheid zu Ende gegangen.

Allein die Endung -ic oder -ac im Nachnamen kann darüber entscheiden, ob ein Schulabgänger bei der Bewerbung um eine Lehrstelle schon bei der Sichtung der Dokumente durchfällt. Diese Erfahrung machen viele ausländische Jugendliche. 56 Prozent der rund 1000 Jugendlichen im Kanton Zürich, die vor den Sommerferien weder eine Stelle noch eine Zwischenlösung gefunden haben, sind Ausländer – bei einem Ausländeranteil von 27 Prozent bei den Schulabgängern.

Diesem Missstand wollte der grüne Zürcher Kantonsrat Ralf Margreiter entgegenwirken. Mittels eines im Mai 2006 eingereichten dringlichen Postulats forderte er den Regierungsrat auf, abzuklären, ob und wie Jugendliche bei der Lehrlingsselektion benachteiligt würden. Die Idee: In einem ilotprojekt wählt der Kanton auf Lehrbeginn 2008 einen Teil seiner über 600 Auszubildenden mittels anonymer Bewerbungen aus. Name, Vorname und Foto werden wegretouchiert. Der Regierungsrat erklärte sich bereit, mitzumachen, aber nur zusammen mit privaten Lehrstellenanbietern aus verschiedenen Branchen, damit die Ergebnisse aussagekräftiger würden. Die Mehrheit des Kantonsrates jedoch lehnte einen solchen Probelauf im August dieses Jahres ab. «Ich bin sehr enttäuscht», sagte Margreiter nach der gehässig verlaufenen Diskussion, «vor
allem von der FDP, die damit ein eigenes urliberales Anliegen, nämlich den chancengleichen Zugang zu Bildung, über Bord geworfen hat.» Alle hätten zwar den Handlungsbedarf erkannt, auch die Bürgerlichen, aber «handeln will man nicht».

Anlaufstelle für diskriminierte Lehrstellensuchende

Dabei ist die Idee nicht neu. Der französische Versicherungskonzern Axa war Anfang 2005 europaweit die erste Firma, die die Anonymisierung bei der Besetzung von Arbeitsstellen (nicht Lehrstellen) einführte, auf Grund eines Berichts über Diskriminierung. Diesen Frühling zog im Zuge der Banlieue-Unruhen die französische Regierung nach und schrieb gesetzlich fest, dass alle Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden ebenso verfahren müssten. Das Gesetz ist noch nicht in Kraft. In Genf ist just an dem Tag, an dem die Zürcher die Idee verwarfen, ein dreimonatiger Test mit anonymisierten Bewerbungen zu Ende gegangen, lanciert vom kantonalen Integrationsbüro.

In den Bewerbungsdossiers fehlten alle persönlichen Angaben: Name, Alter, Geschlecht, Zivilstand, Religion, Nationalität, Wohnort sowie das Passfoto. Nur noch die Ausbildung sowie die Berufserfahrung und  die -kompetenzen sollten für eine Anstellung ausschlaggebend sein. Mitgemacht haben die Migros, die Stadtwerke Genf und die Gemeinde Vernier. Fazit: Die anonymisierten Lebensläufe werden nicht eingeführt. Zwar waren unter den 22 Personen, die in dieser Zeit eingestellt wurden, vier, die in einem üblichen Verfahren auf Grund ihres Alters oder Geschlechts möglicherweise ausgeschieden wären. Doch der administrative Aufwand war für die Arbeitgeber zu hoch. Die Migros Genf und Vernier wollen dennoch eine interne Charta zum Thema erstellen. «Auf jeden Fall sind die Arbeitgeber für das Problem sensibilisiert worden», sagte Robert Cuénod vom Integrationsbüro.

In andern Schweizer Firmen sieht man keinen Anlass, die Rekrutierungspraxis zu ändern. Man betont die Diversität der Angestellten und deren fachliche Kompetenz. «Entscheidend ist bei einer Bewerbung die fachliche Eignung für eine Stelle, ungeachtet des Aussehens, der Herkunft, des Geschlechts oder der Religion», sagte SBB-Sprecher Roland Binz gegenüber der «Handelszeitung». Ob dies in der Praxis tatsächlich immer der Fall ist, ist fraglich. Denn gemäss einer Studie des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) sind in der Deutschschweiz 59 Prozent der Kosovo-Albaner und gut ein Drittel der Türken bei der Stellensuche benachteiligt.

Dass es ausländische Jugendliche auf dem Lehrstellenmarkt oft schwieriger haben als Schweizer, hat auch der Zürcher Regierungsrat eingeräumt. Aus diesem Grund wurde Anfang des Jahres eine Anlaufstelle für diskriminierte Lehrstellensuchende geschaffen. Und die Bildungsdirektorin Regine Aeppli, SP, deren Departement beim Pilotversuch federführend gewesen wäre, sagte, sie kenne im Kanton viele Betriebe, «die
Jugendliche mit fremdländischem Namen gar nicht zu einem Gespräch einladen». Das Pilotprojekt wäre aus Sicht der Linken ein weiterer Versuch gewesen, hier entgegenzuwirken und die Chancengleichheit auf dem Lehrstellenmarkt zu verbessern. Für die Bürgerlichen einer zu viel. Und unnütz. «Es hätte keine neuen Erkenntnisse gebracht. Was man hätte herausfinden wollen, weiss man schon», sagt Samuel Ramseyer, SVP, einer der Hauptopponenten im Rat. Chancengleichheit sei sowieso eine Illusion: «Hat der Lehrmeister die Wahl zwischen einem Sek-A-, -B- oder -C-Schüler, nimmt er den A-Schüler.» Für Margreiter spielt die SVP ein unsauberes Spiel: «Will man Massnahmen zur Erhöhung der Lehrstellenzahl – ein weiterer wichtiger Punkt in der ganzen Misere – beschliessen, ist sie dagegen und sagt, man müsse woanders ansetzen. Kommen solche neuen Ansätze, ist sie auch dagegen, mit der Begründung, diese schafften keine neuen Lehrstellen.» Obwohl das gar nicht der Punkt sei. Ramseyer erwidert, das Gewerbe schaffe Lehrstellen, aber der Lehrstellenmarkt funktioniere nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. «Staatliche Eingriffe verursachen nur Kosten.» Denke man den Versuch weiter, sei die Konsequenz die Schaffung von Quoten. «Und die verursachen neue Ungerechtigkeiten.» Viel sinnvoller seien für das Gewerbe die Lockerung von Vorschriften und Auflagen sowie steuerliche Anreize für Lehrmeister, die Lehrlinge ausbilden.  
Wie es in der Sache weitergeht, ist nicht klar. Die Kantonsverwaltung lässt es noch offen, ob sie den Versuch alleine durchführen will. Und Margreiter prüft, ob er ein Projekt gemeinsam mit privaten Partnern auf die Beine stellen will.

Einen Effekt in diesem für die Betroffenen nicht förderlichen Seilziehen jedenfalls erhoffen sich beide Seiten: dass die Ausbildner – ob staatlich oder privat, Gross- oder Kleinbetrieb – für das Thema sensibilisiert werden.  

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